2012-08-18 11:29:46

Versöhnung Polen - Russland: „Die Gespräche waren nicht leicht“


RealAudioMP3 Es könnte ein Meilenstein in der Geschichte von zwei Nachbarländern sein: Die orthodoxe Kirche Russlands und die katholische Kirche Polens haben am Freitag eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Warum „entdeckt“ Polens katholische Kirche gerade jetzt das Thema Versöhnung mit Russland? Das fragte Radio Vatikan den polnischen Politikwissenschaftler und Publizisten Andrzej Grajewski, Autor mehrerer Bücher über die neuere Geschichte Polens, Russlands und Deutschlands.

„Die Annäherung zwischen der katholischen Kirche und der russisch-orthodoxen Kirche erfolgt seit ein paar Jahren allmählich. 2009 kamen nach Polen die Mönche aus dem Hl. Nilus-der-Jüngere- Kloster in Ostaszków, wo sich im Herbst 1939 ein Gefangenenlager für ein paar Tausend polnischer Kriegsgefangenen, die im Frühling 1940 durch NKWD in Twer erschossen wurden, befand. Das war ein Teil der Opfer der Massaker von Katyn. Die Mönche haben um eine Kopie der Tschenstochau-Muttergottes- Ikone gebeten, die sie in der Kapelle, die dem Andenken an ermordete Polen gewidmet ist, platziert haben. Diese Pilgerfahrt hat einen langen, fast drei Jahre dauernden Dialog angefangen. An diesem Dialog hat eine Gruppe der polnischen Bischöfe unter dem Vorsitz des Senior-Primas, Erzbischof Henryk Muszyński, und des Vorsitzenden der Auswärtigen Abteilung des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, der mit der Ermächtigung von Patriarch Kyrill handelte, teilgenommen.

Da die beiden Seiten jeweils andere Erwartungen gegenüber dem gemeinsamen Dokument hatten, waren diese Gespräche nicht leicht. Schließlich haben sie sich für ein Dokument in Form einer Ansprache entschieden, das sich weniger mit der Beurteilung der Vergangenheit, sondern mehr mit der Stellungnahme gegenüber den gegenwärtigen Problemen unserer Zivilisation beschäftigte und zur Notwendigkeit des gemeinsamen Zeugnisses gegenüber dieser Probleme aufrief.“

Was bedeutet das für das Verhältnis der katholischen Kirche zur nationalkonservativen Opposition in Polen unter Jaroslaw Kaczynski?

„Die Absichten der russischen Seite während dieses Gesprächs waren für die Opposition unter dem Zeichen von PIS nicht klar. Dieses Milieu fürchtet sich, dass der Dialog der beiden Kirchen die Wahrheit über die Notwendigkeit der Abrechnung mit der Vergangenheit verwischt und von den Regierenden zur Diskreditierung verschiedener Forderungen der Opposition – u. a. zur glaubwürdigen Erklärung der Flugzeugkatastrophe bei Smoleńsk – genutzt wird. Meiner Meinung nach sind diese Befürchtungen aber unbegründet, weil die Bischöfe vorhatten, eine Geste der Versöhnung zu zeigen. Es war nicht die Absicht der Bischöfe, den Politikern auszuhelfen.“

Wie berichtet die polnische Presse in diesen Tagen über den Besuch Kyrills I., was sagen Politiker?

„In den Medien wird über den Besuch meistens positiv berichtet, obwohl auch kritische Stimmen zu hören sind, dass alles nur eine leere Geste sein könne und das politische Leben seinen eigenen, alten Gang hat, und das alles im Grunde genommen beim Alten bleibt. Ich hoffe, dass diese Kritiker nicht Recht behalten werden, obwohl der Besuch Kyrills natürlich zu keiner schnellen Wende führt.

Es ist nämlich notwendig, eine Versöhnungsinfrastruktur aufzubauen, d. h. zahlreiche bürgerliche, kommunale Projekte durchzuführen. Notwendig ist auch eine Änderung der Mentalität, besonders bei jungen Leuten. Deswegen wäre es sehr wichtig , ein Polnisch-Russisches Jugendwerk zu gründen.“

Was erhoffen Sie sich von der Gemeinsamen Erklärung der beiden Kirchen? Wie geht es jetzt weiter mit der polnisch-russischen Versöhnung, sind weitere Schritte geplant?

„Das gemeinsame Dokument ist eine Chance für die Zukunft, da es eine neue Dialogplattform zwischen Polen und Russen schafft. Das ist eine Ebene für einen religiösen Dialog, die uns sehr gefehlt hat. Bis jetzt hat der religiöse Faktor das Gefühl der Eigentümlichkeit oder auch Feindlichkeit bei der Wahrnehmung der anderen Nation verstärkt, was mit schwierigen historischen Erfahrungen verbunden war. Zurzeit zeigen uns die Bischöfe der beiden Kirchen, dass das Christentum eine wichtige gemeinsame Ebene für die geistliche Inspirationen, für das Lernen der Kultur des Dialogs und die gegenseitige Vergebung sein kann.“



Andrzej Grajewski wurde 1953 in Bielsko-Biala geboren. Der Politikwissenschaftler gehörte ab 1980 zur „Solidarnosc“, arbeitet für die Wochenzeitschrift „Gosc Niedzielny“ und war 1999/2000 Vorsitzender des „Instituts für Nationales Gedenken“.

(rv 18.08.2012 sk)








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