Autoren:
Gerhard Lohfink, Ludwig Weimer Titel: Maria – nicht ohne Israel.
Eine neue Sicht der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Verlag:
Herder, Freiburg Preis: ca. 30 Euro
Rezensiert
von: Stefan v. Kempis, Radio Vatikan, am 11.08.2012
In ein paar Tagen
feiern wir Mariä Himmelfahrt – da lohnt ein Blick in ein Marienbuch der überraschenderen
Art. „Maria, nicht ohne Israel“ heißt es, was wohl nicht zufällig an den Bestseller-Titel
„Nicht ohne meine Tochter“ erinnert. Die Autoren, zwei ausgewiesene Theologen von
der „Katholischen Integrierten Gemeinde“, sehen in Maria keineswegs „eine heimliche
Göttin“ oder gar „ein Gegengewicht gegen einen angeblich fernen ... Gott“; stattdessen
steht sie ihnen „für die Herkunft des Christentums aus Israel“. Und das ist ein theologischer
Geniestreich: Ausgerechnet aus dem vor über 150 Jahren proklamierten Dogma von der
Unbefleckten Empfängnis Mariens (das, wie die Autoren betonen, keineswegs etwas mit
der Zeugung Jesu zu tun hat, sondern das Bewahrtwerden Mariens von der Erbsünde meint)
lesen die Autoren eine „Mit-Aussage über die Würde des Judentums“ heraus.
„In
Zukunft“, so schreiben sie, „darf es keine Marienfrömmigkeit mehr geben, die nicht
Israel mit in den Blick nimmt. Gerade am Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Marias
lässt sich das begründen. Denn dieses Dogma scheint uns ein Dogma auch über Israel
zu sein, über Israel, das die ganze Wahrheit über Gott und seinen Plan mit der Welt
finden durfte. Dieser tiefere Sinn des Dogmas würde aufleuchten, wenn sich zeigen
ließe, dass Maria das Realsymbol für die alttestamentliche Vorgeschichte Jesu ist
– für eine Geschichte der Erwählung...“ Die „Basis der kirchlichen Aussagen über Maria“,
das sei „die erregende, in der Welt einmalige Geschichte Israels“. Und die Kirche
hat Jahrzehnte vor der Shoah, „ohne es selbst schon in seiner ganzen Tragweite sehen
zu können“, im Dogma von der Unbefleckten Empfängnis „die unverlierbare Würde Israels
mitausgesagt.“
Um das zu belegen, rollen Lohfink und Weimer das ganze Alte
Testament neu auf, was zu interessanten Erkenntnissen führt. Dann schildern sie Maria,
die „Tochter Zion“, als „Figuration“ für Israel: Wenn sie im „Magnificat“ u.a. Abraham
besingt, dann „repräsentiert sie wie Abraham das Gottesvolk“: In ihr hat Gott Israel
„endgültig angenommen“, und darum fasst Maria „die gesamte Geschichte Israels bis
zu diesem Zeitpunkt in sich zusammen“, sie spricht von ihrer eigenen Geschichte, „indem
sie von der Geschichte Israels spricht“. Und wenn nun Maria tatsächlich „Inbild des
wahren Israel“ sei, dann – so schließen Lohfink und Weimer – „ist auch Israel die
Mutter der Kirche“ und „die Mutter aller Christen“. Alle Mariendogmen führten „über
Jesus Christus zurück zu der Wurzel Israel“, und Maria sei „das Realsymbol für die
Einheit von Synagoge und Kirche“.
Ein reiches, überraschendes Buch, in dem
die Argumentation immer behutsam bleibt und den Leser nie übertölpelt. Ein Buch, das
reiche Aufschlüsse über die Kirche, ihr Verhältnis zum Judentum und die Heilige Schrift
bietet.