Ein historischer Moment
für Libyen: Etwa ein Jahr nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi hat der Übergangsrat
die Macht abgegeben. Mit einer Feier in Tripolis in der Nacht zum Donnerstag begann
das Parlament seine Arbeit; es war am 7. Juli aus den ersten freien Wahlen seit ca.
vierzig Jahren hervorgegangen. Bischof Giovanni Martinelli ist Apostolischer Vikar
von Tripolis – er sagte uns in einem Interview: „Das Klima ist sehr ausgelassen!
Die Libyer wollen der Welt zeigen, wie sich ihr Land verändert hat, und sie bemühen
sich wirklich um einen demokratischen Weg. Natürlich ist noch nicht alles erreicht
und abgeschlossen, aber es ist mit Sicherheit der Anfang eines wichtigen Wegs, und
den Libyern ist das bewusst. Dieses Ereignis der Machtübergabe wird von der ganzen
libyschen Gesellschaft mit Freude begangen!“ Am 17. Februar des letzten Jahres
war der Aufstand gegen Gaddafi losgebrochen – nur wenige Tage, nachdem im Nachbarland
Ägypten Präsident Hosni Mubarak von Demonstranten aus dem Amt verjagt worden war.
Bei den Kämpfen in Libyen, die sechs Monate dauerten, brachen alte Konfliktlinien
im Land auf, die bis heute spürbar sind; die Gefahr, dass das Land auseinanderbricht,
ist noch keineswegs gebannt. „Ich glaube, die Spaltungen lassen sich nicht einfach
wegretuschieren: Die Unterschiede sind nun mal da. Allerdings sehe ich doch bei allen
im Moment einen starken Willen, die Einheit des Landes zu wahren. Libyen ist geeint
– aber der Weg zu dieser Einheit ist nicht mit einer Proklamation geschafft, der fängt
jetzt überhaupt erst an. Immerhin habe ich den Eindruck, dass der Wahlausgang Ideen
und Personen nach vorne gebracht hat, die imstande sind, dem Land ein Gleichgewicht
zu geben.“
200 Abgeordnete sitzen in der neuen „Assemblée Nationale“, zu
deutsch Nationalversammlung: Islamisten sind darunter, Liberale und Unabhängige. Bei
mehr als der Hälfte der Mandatsträger ist die politische Zuordnung noch nicht so richtig
klar. Die Abgeordneten sollen eine Regierung einsetzen und eine neue Verfassung auf
den Weg bringen. „Wir schließen jetzt ein Kapitel der Diktatur“, sagte der Leiter
des Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschalil, in der Nacht auf Donnerstag. Allerdings
sieht Bischof Martinelli noch viele Spuren der Gaddafi-Ära in Libyen:
„Man
findet noch die Fotos aus der Zeit fast überall, wohin man sieht. Was bleibt, sind
auch die begangenen Verbrechen, die Trauer in den Familien. Ich spüre überall den
Drang, sich endlich von einem Alptraum zu befreien, der leider viele Jahre hindurch
auf uns gelastet hat.“