Nicht nur der heilige
Petrus fand seine letzte Ruhe am Mons Vaticanus, dem Vatikanhügel: Tausende von Männern
und Frauen der Antike sind auf dem antiken Friedhof beigesetzt, der heute unter dem
Vatikanstaat liegt. Rund ums Petrusgrab, also genau unter der Petersbasilika, stapeln
sich die Gräber fast übereinander –schließlich wollten die frühen Christen möglichst
in der Nähe des Apostels begraben sein. Doch ein paar hundert Meter entfernt davon
ruhen die Otto Normalverbraucher des alten Rom bis heute – fast – ungestört. Stefan
Kempis berichtet. Oben: eine Tankstelle, ein Parkplatz, eine Mensa, ein Supermarkt,
alles Teil des Vatikanstädtchens. Untendrunter: eine andere Welt. Gräber aus der Zeit
vor 2.000 Jahren, wie kleine Häuschen längs einer Straße angelegt. Die ältesten von
23 vor Christus. Die jüngsten – in Anführungszeichen – aus dem Jahr 337. „Die
Ausgrabungsstätte Santa Rosa gehört zu einem viel größeren Bereich: Wir sind hier
an der via triumphalis, die am Vatikanhügel entlangführte, und zu beiden Seiten gibt
es Gräber. Teil einer Nekropole, die sehr wichtig ist, weil sie außerordentlich gut
erhalten ist.“ Giandomenico Spínola ist Archäologe; in der Oberwelt leitet
er die Antiken-Abteilung der Vatikanischen Museen. Aber sein Herz schlägt hier unten,
in der Unterwelt des Vatikans. „Schon in den dreißiger Jahren wurde hier gebuddelt“,
erzählt er. Immer wieder mal gab`s dann weitere Grabungen, 2004 setzte man dann den
Spaten an, um aus vielen verschiedenen archäologischen Zonen eine einzige zu machen.
Wiedervereinigung unter Tage, auf fünfhundert Quadratmetern. Vierzig Grabhäuschen
stehen hier, insgesamt zweihundert Grablegen zählten die Experten. „Die Bedeutung
dieser Ausgrabungen hat vor allem damit zu tun, dass in Rom vor allem die Monumentalgräber
sehr gut erhalten sind: Das Mausoleum des Hadrian, das Grab der Cecilia Metella an
der Via Appia. Das waren die Grablegen von römischen Kaisern oder von reichen Privatleuten.
In unserer Nekropole hingegen findet man vor allem Verstorbene aus dem einfachen Volk.
Und dazu gibt es in der Regel kaum schriftliche Quellen; hier lernen wir nun die Bestattungsgewohnheiten
der mittleren und einfachen Bevölkerung kennen, der Sklaven und der Freigelassenen.“ Nicht
nur in Rom – in ganz Mittelitalien gibt es keinen zweiten Friedhof dieser Zeit, auf
dem sich Gräber von Menschen aus allen möglichen Schichten und Milieus finden. In
mehrfacher Hinsicht hatte die Nekropole von Santa Rosa Glück: Alles ausgräberische
Interesse konzentrierte sich lange auf den prominenten Petrus, nicht auf die Unbekannten
am Friedhofsrand. Die von der Schweizergarde bewachten Vatikanmauern schreckten Grabräuber,
auf italienisch tombaroli, ab, wie sie anderswo in Rom und Latium bis heute
gängig sind. „Und dann hat auch noch ein Erdrutsch dafür gesorgt, dass diese
Gräber ausgesprochen gut erhalten blieben: Wir haben wirklich alle Kultobjekte und
alles, was die Römer damals für die Bestattungsriten verwendet haben, genau so gefunden,
wie es vor zweitausend Jahren hiergelassen wurde!“ Wenn Giandomenico Spínola
tun könnte, was er wollte, dann würde er überall graben: unter der ganzen Vatikanstadt.
Er ist sich sicher, dass er da fündig würde. „Unter einem Großteil des heutigen
Vatikans könnten wir mit dem Spaten in der Hand Spuren dieser Nekropole finden: Sie
bedeckte ja praktisch den ganzen Teil des Hügels an der Seite des heutigen Stadtviertels
Prati! Es ist also ein riesiges Gräberfeld. Das wissen wir, weil wir letztes Jahr
eine Grabung mit den modernsten stratografischen Methoden durchführen konnten – dadurch
haben wir viel substanziellere Daten über das archäologische Areal gewonnen.” Stratografie,
das ist die Untersuchung verschiedener Schichten. Wie eine Zwiebel läßt sich das unterirdische
Rom heute noch schälen, immer ältere Schichten treten dabei zutage. Rom wurde nicht
an einem Tag erbaut; wann immer es in Trümmer sank, wurde einfach oben auf den Trümmern
neugebaut. Die Nekropole Santa Rosa unter dem Vatikan läßt sich besichtigen: „Wir
haben einen Besucherweg auf Laufstegen angelegt. Jeder, der kommt, kann die Nekropole
von oben besuchen, man ist da außerordentlich nah dran. Außerdem haben wir 11 touchscreen
aufgebaut; über sie kann der Besucher eine Rekonstruktion der Gräber sehen oder auch
eine 3-D-Aufnahme, um sozusagen in die Gräber hineinzugehen und sich virtuell in ihnen
umzusehen.“ Wer die Inschriften liest, dem treten Namen aus der Antike entgegen:
Publius Cesilius Vittorinus zum Beispiel. Das war ein Römer aus dem 3. Jahrhundert,
dessen Sarkophag ein Halbrelief ziert. Oder die Familie der Passiener, die in der
Zeit des Nero und unter der Dynastie der Flavier lebte – zwei Altäre in ihrem Grabraum
zeugen davon. Einige Inschriften geben an, woher der Verstorbene kam, welchen Beruf
er hatte. Einer war Briefträger, ein anderer kümmerte sich bei den Pferderennen im
Zirkus um die Tiere, ein dritter war im Theater des Pompeius – das lag da, wo heute
der „Campo de Fiori“ ist – für das Bühnenbild mitzuständig. Alcimus hieß dieser Mann,
den ein etwas unbeholfenes Relief auf seiner Grabstele zeigt, Sklave des Nero und
Zeitgenosse des Petrus: Zweitausend Jahre nach seinem Tod hat er für uns jetzt wieder
ein Gesicht. (rv 31.07.2012 sk)