„Patentöchter“: Ein schwieriger Dialog im Schatten der RAF
Oberursel bei Frankfurt,
am 30. Juli 1977: Der Banquier Jürgen Ponto ahnt nichts Böses, als Susanne Albrecht
sich zum Tee anmeldet. Er kennt sie ja, die Familien sind befreundet. Aber die 26-Jährige
hat zwei Begleiter dabei – wie sich herausstellt, Terroristen der RAF. Mehrere Schüsse
fallen, Ponto stirbt vor den Augen seiner Frau.
35 Jahre später: Die jüngere
Schwester der Terroristin, Julia Albrecht – übrigens das Patenkind Pontos –, und Pontos
Tochter Corinna Ponto brechen ein Schweigen, das Jahrzehnte gedauert hat. Zaghaft,
dann mutiger kommen sie ins Gespräch – schriftlich. Ergebnis ist das Buch „Patentöchter
– Im Schatten der RAF“. Es ist ein in Deutschland beispielloser Dialog: Angehörige
von Tätern reden mit Angehörigen von Opfern. Wie kam das in Gang? Das fragte unser
Redakteur Stefan v. Kempis sie auf einer Podiumsdiskussion, die die „Konrad-Adenauer-Stiftung“
unlängst in Rom organisiert hat.
„Die Ungeschütztheit, mit der Ponto und Albrecht
sprechen, schafft eine grandios berührende Nahaufnahme einer Episode deutscher Geschichte,
die, wie sich zeigt, alles andere als verarbeitet ist.“ So urteilt das Nachrichtenmagazin
„Der Spiegel“. „Und gleichzeitig ist das Buch ein Dokument grandiosen Scheiterns,
weil am Ende den beiden Angehörigen die Überwindung der Tat nicht gelingt. Denn das
Merkwürdige ist, die beiden Frauen sprechen über Susanne Albrecht wie über eine Tote.
Doch Susanne Albrecht ist nicht tot. Sie lebt seit ihrer Haftentlassung 1996 unter
einem anderen Namen in Bremen. Sie ist dort Lehrerin.“
Eine Äußerung des Bedauerns
gibt es von Susanne Albrecht: Sie findet sich in ihren Prozessakten. Ein einziger
Satz: „Letztlich ist mir klar, dass ich das Schlimmste tat, was man tun konnte, dass
ich das Leben der Familie Ponto und meiner Eltern zerstört habe.“ Der Satz reicht
Corinna Ponto nicht, und auch Julia Albrecht ist das nicht genug. „Nichts ist geheilt“,
sagt sie. „Liebe Corinna, wo stehen wir heute?“, fragt sie in dem Buch. „Das Schweigen
zu durchbrechen war sicherlich ein Antrieb. Nicht nur dem Schweigen der Jugendjahre
etwas entgegenzusetzen, sondern auch dem Schweigen, das bis heute die Aufklärung ganzer
Tatkomplexe, aber auch der Motive, Ursachen und Gründe überdeckt.“ Diese Worte rühren
an das, was Corinna Ponto zu schaffen macht: dass man nämlich aus ihrer Sicht noch
gar nicht die ganze Wahrheit über die RAF, ihre Morde und ihre Hintermänner weiß.