Die Frage nach der Religion beginnt bei einem Stück Kunst, das eigentlich gar nicht
zur Documenta13 gehört. Im Vorfeld hatte es einen Konflikt gegeben zwischen den Ausstellungsmachern
und der katholischen Kirche: Den Turm von Sankt Elisabeth, mitten in Kassel und direkt
am Hauptplatz der Documenta, schmückt ein Werk von Stephan Balkenhol, was die künstlerische
Leiterin der Documenta, Carolyn Christov-Bakargiev, wörtlich als „Bedrohung“ empfand.
Die evangelische Kirche wollte ebenfalls anlässlich der Documenta Kunst zeigen, zog
diese Idee dann aber zurück, als die Ausstellungsleitung ihr Missfallen bekundet hatte.
Die
Documenta war im Vorfeld mit viel Theorie belastet worden. Gerade die Verantwortliche
für die Auswahl der Kunst, Carolyn Christov-Bakargiev, ist mit vielen recht absurd
klingenden Ideen in den Medien aufgetreten. Es waren Belehrung und abstrakte Konzepte
zu befürchten. Das Betreten des Documenta-Geländes belehrt aber schnell eines Besseren.
Es geht nicht um Theorie, um Welterklärung, um Posthumanismus und all die Begriffe,
die zuvor genannt wurden. Es geht um Schauen und Hören. Es geht um Kunst.
Mika
Taanila zeigt drei Filme nebeneinander, die den Bau eines Atomkraftwerkes zeigen.
Mensch und Maschine, Natur und Energie, Zeit und Wachsen nebeneinander.
„News
from nowhere“ besteht aus zwei Filmen, ebenfalls nebeneinander gezeigt, eine Form,
wie sie bereits Alltag in der Kunst geworden ist. Es geht um Ordnung und Labor, Bestimmung
und Funktion auf der einen Seite und Chaos und Durcheinander, Kunst, Rohheit, Dreck
und Schaffen auf der an anderen Seite. Beide Szenen spielen in einer irgendwie postapokalyptisch
anmutenden Situation, beide können unsere Zukunft sein, es findet kein Dialog zwischen
ihnen statt, stattdessen sitzt man davor und fragt sich, worauf wir jetzt zugehen.
Dabei ist das alles - was es auch erst zu Kunst macht - nicht pädagogisch oder moralisch
mit Absicht versetzt.
Beeindruckend sind auch die künstlerischen Aufarbeitungen
dokumentarischen Materials. Haníbal Lopez zeigt eine Performance, in der ein Mitglied
der guatemaltekischen Todesschwadron von seinen Taten berichtet. Rosella Biscatti
lässt uns an Terroristenprozessen in Italien in den 80er Jahren teilnehmen, der Ausstellungsraum
zeigt dazu Betonblöcke aus dem Hochsicherheitsgericht auf dem Foro Italico in Rom,
die bei Abbruch des Gebäudes in Sicherheit gebracht wurden. Vergangenheit und Bewältigung
und Erinnerung und Gegenwart der Reste kommen zusammen.
Einer der Höhepunkte:
Nalini Malanis Kunstwerk „Search of Vanished Blood". Eine Installation aus einer Kombination
aus Video- und Schattenspiel in der Documenta-Halle. Das Werk greift pakistanische
Dichtung auf, aber auch demjenigen, dem sich das nicht erschließt, bietet sich ein
sinnenreiches Schauspiel über den ganzen Raum, umrahmt von Musik und psychedelischen
Tönen. Durch fünf an der Decke angebrachte sich drehende Glaszylinder werden 6 verschiedene
Filme an die Wand projiziert, rundum im ganzen Raum entstehen Bilder durch Überblendungen
und Wachselspiel. Dazu kommen die Schatten, die die auf den Glaszylindern angebrachten
Figuren in die Filme werfen. Ebenso surreal wie die Optik ist die Akustik, die Töne
begleiten und kontrastieren, verzerren und zeigen ihre eigenen Klangbilder.
Das
ist die eine Seite. Anderes ist weniger beeindruckend und kommt aus dem Feld der Beliebigkeit
leider nicht hinaus. Abgespielte Protestlieder aus der Musikbox mit einem Liederbuch
dazu, die Texte an die Wand gemalt. Auch Sonja Ivecovic Vitrine mit Esel-Stofftieren,
die alle die Namen berühmter Revolutionäre und unabhängiger Geister tragen - The Disobedient
– überzeugt nicht wirklich. Auch gerät einiges der überall anzubindenden Videokunst
dann doch etwas zu gewollt. Das trübt aber nicht das überwiegende Bild der Vielfalt
und der Qualität, das sich auf der Documenta zeigt.
Zum Schluss noch einmal
zurück zur Ausgangsfrage: Und wie war das nun mit der Religion?
Vielleicht
hat die Ausstellung sogar ein wenig Angst vor Religion. Die eingangs erwähnte Äußerung
der Macherin kann so verstanden werden, aber auch der Titel des Buches, das die Documenta
begleitet. „Buch der Bücher“ heißt es, und an diesem Titel überhebt sich die der Wille
zur Ironie. So unglaublich einmalig und wegweisend ist diese Ausstellung nun wirklich
nicht, spirituell möchte ich sie auch nur bedingt nennen. Der Titel wirkt, als wolle
man dadurch jede Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung vermeiden.
Aber:
Die Kunst befragt das Menschliche, die Zukunft, die Erinnerung und das Hoffen und
Sehnen, alles Dinge, zu denen der Glaube etwas beizutragen hat. So gesehen steckt
auch in dieser Documenta Vieles in Sachen Religion, was sich zu erkunden lohnt, mag
das die Ausstellungsmacherin nun wollen oder nicht.
Ein Besuch ist die Ausstellung
auf jeden Fall wert.