Ein als Bösewicht
„Joker“ verkleideter verwirrter Einzeltäter stürmt ein Kino in Denver und tötet ein
Dutzend meist junge Menschen, darunter Kinder. In Oslo lässt ein ideologisch verblendeter
Einzeltäter eine Autobombe hochgehen, die acht Menschen das Leben kostet, um dann
als Soldat verkleidet auf einer Insel nicht weit von der norwegischen Hauptstadt entfernt
ein Massaker unter Jugendlichen anzurichten. Ein Jahr ist diese Tat nun her, der Täter
steht vor Gericht. Auch der Täter von Denver konnte sofort überwältigt werden und
wartet nun auf seinen Prozess, der ihm die Todesstrafe einbringen könnte. Zurück bleibt
die Ratlosigkeit. Was hat den Täter getrieben, hätte man diesen sinnlosen Tod so vieler
junger Menschen verhindern können? Die Menschen rücken enger zusammen, die Fragen
bleiben. In Denver wurde am Sonntag Abend mit einer Vigilfeier der Opfer des Amoklaufs
in der Vorstadt Aurora gedacht. Die Vigil wurde gemeinsam von der Stadt Denver und
Vertretern von verschiedenen Religionsgemeinschaften organisiert. Der Erzbischof von
Denver, Samuel Aquila, betonte gegenüber Radio Vatikan noch einmal, wie unverständlich
diese Art von Ereignis bleibe. Für den Bischof ist es nicht die erste Begegnung mit
dem Terror:
„Als ich die Nachricht am Freitagmorgen bekam, hat das sofort
Erinnerungen an Columbine wach gerufen, an den Amoklauf in der Schule von Liddleton
1999. Der Horror kam zurück. Ich hatte damit näher zu tun, denn damals habe ich die
Familien und einige der betroffenen Jugendlichen beratend begleitet. Der Schmerz ist
schwer und sitzt tief. Die Fragen, die da aufkommen, setzen sich in Geist und Seele
fest und sind kaum zu beantworten, wenn man mit dieser Art von Bösem, von Sünde konfrontiert
wird.“
Das Counselling, also übersetzt etwa die seelsorgerische und psychologische
Beratung aus dem Glauben, ist auch jetzt das, was die Kirche den Menschen von Denver
anbieten kann, so Erzbischof Aquila.
„Sicherlich ist diese Art des Zuhörens
die beste Art und Weise, wie wir als Katholiken, als Christen auf die Bedürfnisse
der Menschen reagieren können, die zutiefst erschüttert sind von der Tragödie und
diesem bösen Ereignis. Wir in der Diözese kümmern uns vor Ort um die Menschen, die
Beratung und Seelsorge und Begleitung brauchen. Unsere Hilfswerke werden das auch
weiterhin während der nächsten Wochen tun, um den Menschen wirklich zu helfen und
sie in dem zu unterstützen, was sie gerade durchmachen.“
Während Denver
noch unter Schock steht, hatte ein europäisches Land genau ein Jahr lang Zeit, sich
von einem der schlimmsten Attentate seiner Geschichte zu erholen: In Norwegen wurde
an diesem Sonntag in allen Kirchen mit Gedenkliturgien der Opfer der Anschläge von
Oslo und Utoya gedacht. Wer nun aber meinen mochte, der Prozess und das Eindringen
in die Gedankenwelt des Attentäters habe Fragen beantworten können, wird enttäuscht
worden sein. Für den katholischen Bischof von Oslo, Bernt Eidsvig, sind die Wunden
jedenfalls noch lange nicht geheilt:
„Es ist natürlich heute weniger akut,
aber ich denke, es gibt nach wie vor nicht mehr Menschen, die sagen, sie verstünden
nun mehr davon, was abgelaufen ist. Der Attentäter ist durch den Prozess, der in Kürze
zu Ende geführt werden wird, nicht leichter zu verstehen. Er zeigt menschliche Züge,
aber hat auch eine ideologische Überzeugung, die fast niemand teilt. Ansonsten gibt
es natürlich eine Bearbeitung der großen Trauer, die viele erfahren haben.“
Zu
Trauerbearbeitung gehörte im christlichen Sinn auch Vergebung. Doch hier gebe es ein
grundlegendes Problem dabei, dem Attentäter zu vergeben, so der Bischof:
„Vergebung
ohne Reue ist eine schwierige Sache. Wir können zu Gott beten, dass er ihn in seiner
Gnade aufnimmt und dass er zu wirklicher Reue bewegt wird. Aber weiter möchte ich
nicht gehen.”
Kurz nach dem Attentat gab es sogar die Befürchtung, die
Volksseele könnte durch den Terror Schaden genommen haben und etwas von ihrer Offenheit
verlieren. Diese Gefahr zumindest sieht der Bischof gebannt.
„Ich glaube,
das Volk hat sich nicht sehr verändert, man hatte eine gewisse Angst, dass eine Organisation
hinter ihm stünde, aber es zeigt sich nun, dass das nicht der Fall ist. Er ist ein
Einzelgänger und hat allein agiert.“
Und genau diese Einzeltäter sind
es, die das demokratische Grundverständnis eines Staates an seine Grenze bringen.
Kann es denn ein gerechtes Urteil für einen Mann geben, der 77 Menschen getötet hat?
„Das
kann man meines Erachtens sicherlich nicht. Das Problem ist nun, zu entscheiden, ob
er psychisch zurechnungsfähig ist, oder ob er krank ist. Man weiß nicht, was das Gericht
entscheidet, aber in beiden Fällen wird das sicherlich zu weiteren Problemen führen.
Ich glaube, das Volk würde ihn für zurechnungsfähig erklären, wenn es gefragt würde,
aber das ist hier natürlich eine juridische Entscheidung, und keine demokratische.“