Nach Ansicht des griechisch-katholischen
Priesters Hanna Ghoneim aus Syrien haben viele Christen in Syrien Angst vor einem
Sturz des Assad-Regimes. Das sagte Ghoneim dem katholischen Medienhaus Sankt Michaelsbund
während einer Deutschlandreise: „Was kommt, wenn Assad weg ist?“, sei eine häufig
gestellte Frage, so der Direktor eines theologischen Institutes in Damaskus und Leiter
einer Pfarrgemeinde dort. Die Christen würden nicht zu Assad persönlich stehen, seien
aber daran interessiert, dass das Land zivilisiert wird und eine Entwicklung stattfindet,
erklärte Ghoneim. Solange das Regime glaubwürdig verspreche, Reformen anzustreben,
würden die Christen es unterstützen, so Ghoneim:
„Wir unterstützen
Assad, solange er bei diesem Programm bleibt. Ich sage Ihnen ehrlich, vor Ausbruch
der Revolution ging es Syrien viel besser als heute. Die Sicherheit war größer und
man hatte Pläne. Es gab schon einen Willen zur Reform, was man heute gerne vergisst.
Solange Assad gute Intentionen hat, stehen die Christen auch hinter ihm. Die Christen
bilden aber keine eigenen Partei, sondern sie sind überall im Land engagiert. Es gibt
Christen im Regime und in der Opposition, und sogar auch in der Regierung. Wir engagieren
uns für das Land. Deshalb sind wir der gleichen Meinung wie die Orthodoxen und auch
viele Muslime: Wir müssen die Reformen unterstützen, die Assad will. Wir dürfen ihn
aber nicht dabei unterstützen, Menschen zu attackieren.“
Das gewalttätige
Vorgehen der syrischen Regierung gegen Zivilisten lehnt der Geistliche klar ab. Aber
scheinen vor diesem Hintergrund Assads Reformversprechen, auf die Ghoneim setzt, tatsächlich
noch glaubwürdig? Nicht glaubwürdig ist jedenfalls seiner Meinung nach die Berichterstattung
westlicher Medien über Syrien. Von „ausgewogener Berichterstattung“ könne wohl kaum
die Rede sein, wenn man ständig „nur eine Seite“ sprechen lasse, so der Priester:
„Die Situation in Syrien ist sehr schlecht, wie man es hier ja auch
berichtet. Andererseits muss ich beanstanden, dass man in den westlichen Medien oft
nur die syrische Opposition zu Wort kommen lässt und Quellen sprechen lässt, die fragwürdig
sind. Das heißt: Man spricht von Aktivisten oder Menschenrechtlern, ohne Namen zu
nennen.“
Die Perspektive, dass die Regierung stürzen könnte, sorge
unter vielen Christen für große Angst, so der Geistliche weiter. Die orthodoxen Kirchen,
aber auch Vertreter der griechisch-katholischen Kirche in Syrien warnten deshalb vor
einem Sturz Assads. Wenigstens funktioniere derzeit noch der politische Betrieb in
dem Land, meint Ghoneim, mit der Wirtschaft ginge es dagegen steil bergab: Viele Menschen
lebten mittlerweile unter der Armutsgrenze. Vor diesem Hintergrund erscheine ein Machtwechsel
als zusätzlich destabilisierendes Element.
„Was hat man für einen Ersatz
nach Assad? Es gibt kein politisches Programm für ein Danach. Es gibt im ganzen Land
einen starken Willen, dass man selbst auf die Beine kommt, und es ist nicht sicher,
dass ein Sturz des Regimes dazu beitragen könnte.“
Er selbst sei auch
in diesen Tagen in ständigem Kontakt mit seiner Gemeinde, die in einer Hochburg der
Rebellen liege. Von Opfern habe er zum Glück bislang nichts gehört. Was den größeren
Kontext des Konfliktes betrifft, sieht Ghoneim Syrien im Spannungsfeld globaler Interessen:
„Das Problem liegt nicht in Syrien, sondern im Ausland. Hier stehen
Weltmächte dahinter. So wie es aussieht, liegt unser Schicksal nicht in Syrien selbst,
sondern wird zwischen Russland und den USA entschieden.“
Die Kirche
könne in dieser Situation schwerlich vermitteln, fügt er dann an. Sie sei nicht als
politisches Element zu verstehen:
„Die Kirche hat eher eine gesellschaftliche
Aufgabe. Und als Kirche kann man wenig beeinflussen, was die Weltinteressen belangt.
Unser Interesse richtet sich auf die Menschen im Land. Wir bestärken sie darin, standhaft
zu bleiben, bis die Krise vorbei ist. Wir hoffen sehr, dass diese Krise nicht allzu
lange andauert.“
Trotz der sehr schweren Lage hat Ghoneim die Hoffnung
auf eine friedliche Lösung für Syrien noch nicht aufgegeben.
„Ich bin
zuversichtlich, dass das Land wieder auf die Beine kommt und der Frieden wieder einkehrt,
allerdings werden die Herausforderungen nach der Krise sehr vielfältig sein. Versöhnung
ist ein wichtiger Begriff. Man wird sich um die Versöhnung aller Beteiligten dort
bemühen müssen. Ein Signal der Regierung, das sollte man auch erwähnen, ist, dass
man in der Regierung ein Ministerium für nationale Versöhnung eingerichtet hat. Der
Minister tut alles Mögliche, um die Menschen zusammenzubringen und Versöhnung möglich
zu machen.“
Bei mehreren Anschlägen in Damaskus waren in den vergangenen
Monaten Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Die Opposition und das Regime hatten
sich jeweils gegenseitig beschuldigt. Am Mittwoch, dem 18. Juli, zählten die Regimegegner
landesweit insgesamt 18 Tote. Immer wieder wird auch von Massakern des Regimes gegen
die Zivilbevölkerung berichtet. Deutliche Worte findet in diesem Zusammenhang der
Jesuitenpater Paolo dall´Oglio, Gründer der Klostergemeinschaft Deir Mar Musa, der
erst kürzlich wegen Drohungen das Land verlassen musste. Sein Appell an die Internationale
Gemeinschaft ist klar:
„Es geschehen gerade viele Gleichgewichtsverschiebungen
in dem, was wir den inneren Machtzirkel in Syrien nennen. Das sind Anzeichen für eine
große Schwächung des Regimes. Die Wochen, die nun kommen, werden uns zeigen, wohin
das Ganze führt. Wir riskieren einen langen Bürgerkrieg, der absolut zu vermeiden
ist; die gesamte Region wäre destabilisiert.“
Das weitere Vorgehen
der internationalen Gemeinschaft müsse jetzt auf Moderation und Verhandlung setzen,
um alle Mitglieder der Staatengemeinschaft zu einem konstruktiven Handeln zu bringen,
appelliert der Jesuit. Dabei gelte es keine Zeit zu verlieren.
„Die
internationale Gemeinschaft muss absolut etwas unternehmen! Russland will Sicherheit?
Der Westen muss Klarheit fordern. Der Iran fordert den Schutz der Schiiten? Der Westen
soll den Schutz von Menschenrechten fordern. Auf dieser Basis ist ein gemeinsames
Verständnis möglich. Die Bedrohung der Menschenrechte und die Gefahr von neuen Massakern
ist unglaublich hoch, und deshalb ist es wichtig, dass alle sich zusammen tun und
etwas unternehmen, um Syrien und die Syrer zu schützen.“