2012-07-08 10:58:02

Papstreise in den Libanon: Einheit gesucht


RealAudioMP3 Der Besuch Benedikt XVI. im Libanon dürfte nicht nur eine Botschaft des Friedens für die gesamte Region sein, sondern auch ein Appell an die dort lebenden Christen zur Einheit. Im religiös vielleicht vielfältigsten Land der Welt sind Religion und Politik bis heute eng miteinander verknüpft. Die Bürgerkriege und die damit einhergehenden Bündnisse haben auch die christliche Gemeinschaft immer wieder vor Zerreißproben gestellt. Großer Schatten über der religiös-politischen Gemengelage heute: der Konflikt im Nachbarland Syrien. Der Vatikan hatte in dieser Woche das detaillierte Programm der Libanonreise vom kommenden September vorgestellt. Doch ob der Papst den Libanon dieses Jahr überhaupt besuchen kann, darüber ist sich der Islamexperte und gebürtige Libanese Ralph Ghadban gar nicht so sicher. Anne Preckel traf den Migrationsforscher und Berater der Deutschen Islamkonferenz in diesen Tagen in Berlin.

„Diesmal hat der Papstbesuch nicht eine lokale libanesische Dimension, sondern eine nahöstliche Dimension: Es geht um die Präsenz der Christen im Nahen Osten im Allgemeinen. Und der Libanon ist das einzige Land, wo der Papst hinfahren kann, er kann nirgendwo anders hin. Der Libanon hat symbolische Bedeutung: Er ist ein Land, wo Christen politisch noch eine relevante Position haben. Daher besteht der Papst darauf, trotz der unsicheren Lage dorthin zu fahren. Aber – ob er das tatsächlich tun wird, weiß man nicht, je nachdem, wie sich die Situation bis dahin entwickelt. Das hängt sehr stark von der Situation in Syrien ab.“


„Es geht um die Präsenz der Christen“

Welche Auswirkungen hat denn die Syrienkrise bislang im Libanon gehabt? Infolge des Konfliktes im Nachbarland war ja von Schießereien in Vororten von Tripolis zu hören...

„Diese Spannungen gab es zwischen Sunniten und Schiiten, die Christen hatten damit nichts zu tun. Es gab auch in Saida und Beirut Spannungen. Der Konflikt, der jetzt auf uns zukommt, ist ein Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Und das ist viel gefährlicher als die alten Konflikte, denn das sind ja wirklich die zwei großen Gemeinschaften im Libanon.“

Wie geht die Kirche im Libanon damit um? Wie versucht sie vor dem Hintergrund, die christliche Position im Land abzusichern bzw. zu stärken?

„Um aus der Misere herauszukommen, hatte der damalige Patriarch der Maroniten, Kardinal Antonius II. Khoraiche [in diesem Amt von 1975 bis 1994, Anm. d. Red.] etwas Entscheidendes gemacht: Er hat die Versöhnung mit den Drusen realisiert, die wie die Maroniten auf dem Berg im Herzen des Libanon sitzen. Das ist schon ein sehr wichtiger Schritt gewesen, um sich abzusichern, weil die Drusen genau wie die Christen eine bedrohte Minderheit sind. Das war die Basis für die spätere Versöhnung mit den Sunniten, als Rafic Hariri seine Position geändert hat - Hariri war ja nur am Anfang mit Syrien verbunden, es gab das Bündnis zwischen Saudi-Arabien und Syrien für die Situation im Libanon. Kurz vorher, im Jahr 1997, war Johannes Paul II. in den Libanon gekommen; die Versöhnung fand dann im Jahr 2000 statt.“

Würden Sie sagen, dass der jetzige Patriarch Bechara Rai diese Linie fortsetzt?

„In der jetzigen Lage haben wir eine andere Situation. Der neue Patriarch hat andere Vorstellungen davon, mit wem er paktieren soll... Rai hat versucht, einen Mittelweg zu finden und Versöhnung voranzutreiben, indem er eine Annäherung zu Hisbollah eingeleitet hat.“



Johannes Paul II. besuchte den Libanon im Jahr 1997

Sie haben den Besuch von Papst Johannes Paul II. angesprochen, der ja ein Paar Jahre nach dem Bürgerkrieg ins Land kam. Der Heilige Stuhl hatte sich zuvor mehrfach für eine Beendigung des Bürgerkrieges eingesetzt und in dem Kontext auch an die Christen appelliert. Welche Bedeutung hatte der Besuch von Benedikts Vorgänger damals für die Christen im Libanon?

„Papst Johannes Paul II. ist damals in den Libanon gekommen, um die Position der Christen im Land zu stärken: Unter der syrischen Herrschaft saßen die Führer der Christen entweder im Gefängnis oder waren im Ausland, und die durch die Syrer ausgewählten Führer vertraten die Christen nicht. Sie haben eine neue politische Führung installiert, die in ihrem Dienste stand. Daher waren die Christen total verlassen und verließen selbst auch das Land. Der Papst wollte ihre Präsenz stärken, gegen die syrische Herrschaft, wenn man so will. Und mit Erfolg – der Besuch hat die Leute inspiriert und ihre Position gestärkt. Nicht nur die Christen, sondern auch Muslime, vor allem unter den Sunniten. Und er hat indirekt dazu beigetragen, dass im Jahre 2005 Syrien aus dem Libanon vertrieben wurde.“

18 Religionsgemeinschaften sind im Libanon offiziell anerkannt, dann gibt es noch Minderheiten, die keine politische Vertretung haben, weil sie zu klein sind. In kaum einem Land der Welt leben so viele Religionen auf so kleiner geographischer Fläche. Die Worte Johannes Pauls II. „Der Libanon hat eine Mission“ haben damals auch viele Muslime bewegt, heißt es. Können Sie das bestätigen?

„Das Zusammenleben wurde damals durch den Besuch des Papstes unterstützt, er hat einen großen Eindruck bei den Muslimen hinterlassen. Es stellt sich im Libanon sehr intensiv die Frage: Wie kann man das Zusammenleben in der Vielfalt organisieren? Der Besuch des Papstes hat das unterstützt, sein Slogan hat das bis heute unterstützt, aber er wird von bestimmten Leuten nicht eingehalten. Und weiter sind die Christen auch untereinander nicht einig, das ist das Hauptproblem. Und diese Zerstrittenheit führt – zusätzlich zu der Position von bestimmten Gruppen, die den Anteil der Christen an der Gesellschaft und der Politik wegnehmen wollen – dazu, dass ihre Gesamtposition geschwächt wird und dass sie das Land verlassen.“


„Die Christen sind gespalten“

Woher rührt denn diese Uneinigkeit der Christen im Libanon?

„Die Christen haben den Bürgerkrieg eigentlich verloren. Und sie haben im Jahr 1985 durch den Kampf zwischen den beiden Maroniten Michel Aoun [Anm. d. Red.: libanesischer Offizier und Politiker, unterstützt heute Najib Mikati] und Samir Geagea [Anm. d. Red.: Vorsitzende der rechtsorientierten Miliz Forces Libanaises FL] eine Art kollektiven Selbstmord begangen. Und seitdem haben sie keine politische Relevanz mehr. Nach 1990 hatten wir die direkte Herrschaft der Syrer, und die Syrer haben systematisch daran gearbeitet, dass die Christen verdrängt werden. Sie haben die politische Führung geköpft, haben Agenten geholt, die nicht die Konfessionen vertreten, und politisch gesehen haben sie den Sunniten und Schiiten, also den mit ihnen verbündeten Muslimen, freie Hand gegeben.“
Und wie ging es für die Christen nach der syrischen Okkupation weiter?

„Nachdem die Syrer vertrieben wurden, hat die Spaltung der Christen zwischen Aoun und Geagea weiterbestanden. Und Aoun, der behauptete, die Christen zu vertreten, hat mit der Hisbollah ein Bündnis unterschrieben. Und die anderen, das ist die Gruppe vom 8. März, sind mit den Leuten von Hariri verbündet, der Gruppe vom 14. März. Diese zwei Gruppen werden auf der einen Seite von den Schiiten und auf der anderen Seite von den Sunniten angeführt. Und die Christen sind zwischen beiden gespalten, sie sind so eine Art Accessoire. Sie spielen keine wichtige Rolle mehr wie vor dem Bürgerkrieg, sie haben keine politische Relevanz mehr als Gründungselement des Landes, was sie ja früher waren. Wenn sie sich einigen, können sie etwas erreichen und bewegen, aber das schaffen sie nicht. Im Grunde brauchen ihre Feinde nur darauf warten, dass sie sich selbst vernichten...“


„Von wegen politische Mitsprache“

Das hört sich nach großer Uneinigkeit, aber auch nach Diskriminierung an. Aber ist den Christen durch das konfessionelle politische System im Libanon nicht die politische Mitsprache gesichert?

„Im Abkommen von Taif [vom 22.10.1989, das den libanesischen Bürgerkrieg beendete, Anm. d. Red.] wurde beschlossen, dass die Besetzung der politischen Ämter und der Verwaltung durch jeweils 50 Prozent Muslime und 50 Prozent Christen geregelt ist. Sie haben aber die Macht des Staatspräsidenten, also des Christen, auf die zwei anderen Sitze verteilt, auf den Parlamentspräsidenten, einen Schiiten, und auf den Premierminister, einen Sunniten. Daher hatten wir unter der syrischen Herrschaft eine ,Troika‘-Führung: es gab keinen Kopf mehr. Und das passte den Syrern, denn wenn es keinen Kopf mehr gibt, ist ja die syrische Macht die Referenz. Daher rannten die drei Präsidenten ständig nach Damaskus, bei jedem kleinen Konflikt waren sie alle dort beim realen Inhaber der Macht.“

Was folgern Sie daraus?

„Das zeigt, dass das Taif-Abkommen nicht richtig umgesetzt wurde! Zweitens wurde es in der Verwaltung nicht realisiert: Der Anteil der Christen in der Verwaltung ist von 43 Prozent im Jahre 1990 auf 15 Prozent im Jahre 2010 zurückgegangen. Wenn man bedenkt, dass der Staat der Hauptarbeitgeber im Land ist für den Lebensunterhalt, dann braucht man diese Posten. Diese Christen sind jetzt draußen, die jungen Leute haben eine Möglichkeit weniger und verlassen das Land.“

Wie sieht es denn demographisch heute mit dem Anteil der Christen im Libanon aus?

„Mit dem Einbürgerungsdekret von 1994 wurden zwischen 200.000 und 300.000 Menschen eingebürgert, das waren zu 80 bis 90 Prozent Muslime. Das hat die ganze Struktur des Landes endgültig geändert. Die Christen haben nie, nie mehr ein Chance – selbst wenn sie aus dem Ausland zurückkehren, was ausgeschlossen ist , wieder eine Mehrheit zu bilden. Das ist ein Zustand, den man verinnerlichen und als Ausgangsbasis jeder Überlegung benutzen muss: Christen sind jetzt eine Minderheit im Land, ihre Zahl variiert je nach Angabe zwischen 29 und 32 Prozent der Bevölkerung. Vor dem Bürgerkrieg waren sie noch 51 Prozent.“


„Wer sein Eigentum verkauft, existiert im Libanon nicht mehr“

Viele Christen mussten auch ihr Hab und Gut verkaufen müssen, so hört man. Vor allem im Hisbollah-dominiserten Süden des Landes kann man Christen an einer Hand abzählen.

„Das ist ein großes Problem, weil die Muslime systematisch die Ländereien der Christen kaufen. Wir haben zwei Phasen gehabt: Unter der syrischen Herrschaft war der Hauptkäufer Hariri selbst, überall hat er gekauft. Jetzt sind die Hauptkäufer die Schiiten, vor allem im Südlibanon. Dort wird es bald keine Christen mehr geben: Die verkaufen ihr Land und es werden Summen geboten, die über den Marktpreisen liegen, wirklich Wucherpreise, damit die Interessenten das Land kaufen können. Und das ist in beiden Fällen organisiert, es stehen Länder dahinter, Saudi-Arabien und dann der Iran. Wer sein Eigentum verkauft, existiert dort nicht mehr und geht weg. Meiner Familie ist es ähnlich ergangen.“

Kommen wir zum Besuch Benedikt XVI. im Libanon zurück. Welche Botschaft kann der Papst vor diesem Hintergrund an das Land und insbesondere an die Christen richten?

„Dem Vatikan geht es um Öffnung, das ist die Garantie für das Zusammenleben. Es geht um Öffnung und Kooperation mit den Muslimen, aber gleichzeitig um Menschenrechte, dass Christen eben Bürger wie alle anderen werden, das ist der Einsatz des Heiligen Stuhles. Und der Besuch des Papstes ist in diesem Sinne zu verstehen.“

Und wie wird der Papstbesuch wohl von der politischen Führung aufgenommen werden? Meinen Sie, es könnten gar Taten folgen, die in Richtung Öffnung, Kooperation und Gleichberechtigung der Religionen gehen oder ist das unrealistisch?

„Ich weiß nicht, ob die Politik des Landes diesem Besuch eine große Bedeutung beimessen wird. Beim Besuch Johannes Pauls im Jahr 1997 waren viele Parteien daran interessiert, in seinem Besuch einen Akt der Opposition zur syrischen Besatzung zu sehen. Aber jetzt ist das Interesse der Nicht-Christen an der Existenz der Christen so gering, denen ist es egal, ob sie bleiben oder gehen.“

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Ghadban.

(rv 05.07.2012 pr)











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