2012-07-08 10:56:50

Aktenzeichen: Hermann Hesse – Zum 50. Todestag


RealAudioMP3 Der im Jahre 1946 mit dem Literaturnobelpreis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Hermann Hesse ist weltweit der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller. Die Gesamtauflage seines in nahezu 60 Sprachen übersetzten Werkes beträgt über 150 Millionen Exemplare. Hermann Hesse gilt als „Autor der Krise“, der immer auf der Suche nach der eigenen, der wirklichen Identität ist.


Hermann Hesse ist der Sohn eines deutsch-baltischen Missionars und einer Missionarstochter mit schwäbisch-schweizerischer Herkunft. 1877 geboren wuchs er im Schwarzwaldstädtchen Calw und Basel auf, wo der Vater an Missionarsinstituten tätig war. Seine Kindheit war bestimmt durch religiöse Zwänge und Erwartungen. Schon früh weckte das in ihm einen Hang zur Rebellion. Ständig wechselte Hesse die Schulen. 1891 legte er das „Landexamen“ im evangelisch-theologischen Klosterseminar Maulbronn ab. Nach wenigen Monaten flüchtete er aber von dort, weil er „entweder Dichter oder gar nichts werden“ wollte.
Nach einer Mechanikerlehre bei der Calwer Turmuhrenfabrik erlernte Hesse den Beruf des Buchhändlers in Tübingen und Basel und veröffentlichte seine ersten Schriften. Ab 1904 lebte er als freier Schriftsteller. Etwa 3.000 Buchrezensionen hat er im Laufe seines Lebens für 60 verschiedene Zeitungen und Zeitschriften verfasst. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb er noch Erzählungen und Gedichte, aber keinen Roman mehr. Er entdeckte die Malerei und die Gartenarbeit für sich, und pflegte die Kunst der Korrespondenz. Hesse verstarb in der Nacht zum 9. August 1962 in Montagnola im Tessin im Schlaf an einem Gehirnschlag. Er wurde 85 Jahre alt.


Alle Werke Hesses enthalten eine stark autobiografische Komponente. Sein Leben und dichterisches Werk ist geprägt durch eine ständige Auseinandersetzung mit den Fragen der Religion und des Glaubens, die ihm praktisch in die Wiege gelegt waren. Er wurde hineingeboren in eine protestantisch-pietistisch orientierte Familie aus Missionaren, Predigern und Theologen. Außerdem kam Hesse aufgrund der Missionstätigkeit von Vater und Großvater in Indien schon früh mit dem Hinduismus und dem Buddhismus in Kontakt. Später auch mit dem chinesischen Taoismus. Hesse entwickelte die Idee einer Synthese zwischen den Religionen auf der Basis einer universellen Mystik. Er suchte nach der Einheit aller Menschen und glaubte an „eine Religion außerhalb, zwischen und über den Konfessionen, die unzerstörbar ist“. Die Selbstverwirklichung und die Selbstwerdung wurden das zentrale Thema seiner Schriften.


Für den Rundfunk hat der öffentlichkeitsscheue Hermann Hesse nur eine einzige Erzählung, das 1913 entstandene Märchen „Der Dichter“ gelesen. Es schildert den langen und entbehrungsreichen Weg, den der chinesische Dichter Han Fook einschlagen muss, bis es ihm schließlich glückt, die Kunst zu beherrschen, „scheinbar nur das Einfache und Schlichte zu sagen, damit aber in des Zuhörers Seele zu wühlen, wie der Wind in einem Wasserspiegel”. Hören wir dazu einen Ausschnitt. Es liest Hermann Hesse.


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Soweit – meine sehr verehrten Hörerinnen und Hörer – ein Auszug aus dem vom Autor Hermann Hesse selbst gelesenem Prosatext „Der Dichter“. Ein wahrer Archiv-Fund. Damals war Hermann Hesse 35 Jahre alt. Noch vier Jahrzehnte später hatte diese Geschichte vom chinesischen Poeten Han Fook so wenig an Bedeutung für ihn verloren, dass er sie 1955 für eine Rundfunksendung auf Tonband sprach. Es ist seine früheste selbst gelesene Erzählung, die uns als Tondokument überliefert ist. Sie zeigt Hesses Wahlverwandtschaft mit den Kulturen Ostasiens und nimmt Motive aus späteren Dichtungen wie „Siddhartha“ und „Das Glasperlenspiel“ vorweg.



Dass der Dichter Hermann Hesse das Schwierige einfach auszudrücken verstand, ist einer der vielfältigen Gründe für die weltweite Wirkung seiner Werke. Das zeigt sich auch in den Jahreszeitengedichten, welche das Lebensgefühl der Monate vom Frühling bis zum Herbst ebenso bildlich wie musikalisch vergegenwärtigen.



Es liest wiederum Hermann Hesse



Bericht des Schülers

Mein Lehrer liegt und schweigt schon manche Tage.
Oft weiß ich nicht, ob er mit Schmerzen ringe,
Ob mit Gedanken. Wenn ich etwas sage,
So hört er nicht. Doch wenn ich sitz und singe,
Lauscht er geschlossenen Auges wie entrückt,
Vielleicht ein Wissender des höchsten Grades,
Vielleicht ein Kind, von etwas Klang beglückt,
Doch stets der Regel treu des Mittlern Pfades.


Zuweilen regt er die erstarrte Hand,
Als hielte sie den Schreibestift und schriebe.
Dann wieder ist der Türe zugewandt
Sein Blick mit einer unsagbaren Liebe,
Als hör er Boten nahn auf Engelsflügeln
Und sähe Himmelspforten offen stehn
Oder auf seiner fernen Heimat Hügeln
Wie einst im Morgenhauch die Palmen wehn.


Oft ist mir bang, als sei ich krank statt seiner,
Als war ich selber grau, erloschen, alt
Und jener dünnen Blätterschatten einer,
Wie sie der Morgen an die Mauer malt.
Doch er, der Meister, scheint von Wirklichkeit,
Von Sein, von Wesen ganz getränkt und trächtig.
Indes ich schwinde, wird er weltenweit
Und füllt die Himmel strahlend und allmächtig.



Frühlingstag

Wind im Gesträuch und Vogelpfiff
Und hoch im höchsten süßen Blau
Ein stilles, stolzes Wolkenschiff. . .
Ich träume von einer blonden Frau,
Ich träume von meiner Jugendzeit,
Der hohe Himmel blau und weit
Ist meiner Sehnsucht Wiege,
Darin ich stillgesinnt
Und selig warm
Mit leisem Summen liege,
So wie in seiner Mutter Arm
Ein Kind.



Der Blütenzweig

Immer hin und wider
Strebt der Blütenzweig im Winde,

Immer auf und nieder
Strebt mein Herz gleich einem Kinde
Zwischen hellen, dunkeln Tagen,
Zwischen Wollen und Entsagen.
Bis die Blüten sind verweht
Und der Zweig in Früchten steht,
Bis das Herz, der Kindheit satt,
Seine Ruhe hat
Und bekennt: voll Lust und nicht vergebens
War das unruhvolle Spiel des Lebens.



Julikinder


Wir Kinder im Juli geboren
Lieben den Duft des weißen Jasmin,
Wir wandern an blühenden Gärten hin,
Still und in schwere Träume verloren.


Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
Der brennt in flackernden roten Schauern
Im Ährenfeld und auf den heißen Mauern,
Dann treibt seine Blätter der Wind davon.


Wie eine Julinacht will unser Leben
Traumbeladen seinen Reigen vollenden,
Träumen und heissen Erntefesten ergeben,
Kränze von Ähren und rotem Mohn in den Händen.



September

Der Garten trauert, kühl sinkt in die Blumen der Regen.
Der Sommer schauert
still seinem Ende entgegen.
Golden tropft Blatt um Blatt
nieder vom hohen Akazienbaum.
Sommer lächelt erstaunt und matt
in den sterbenden Gartentraum.
Lange noch bei den Rosen
bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh, langsam tut er die müdgeword'nen Augen zu.


Es las Hermann Hesse.


Verehrte Hörerinnen und Hörer – Wenn der Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse, dessen Originalstimme wir heute hörten, Bücher schrieb, dann warf er die großen Fragen der menschlichen Existenz auf. Bis heute üben die Werke des vor genau 50 Jahren verstorbenen Autors eine besondere Faszination auf Leser in aller Welt aus. Wie gesagt, Hermann Hesse ist international der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Die Gesamtauflage seiner in nahezu 60 Sprachen übersetzten Werke liegt bei mehr als 150 Millionen Exemplaren.


Und zum Abschluss noch sechsmal Hesse im Telegrammstil:


Siddhartha ist Hesses Auseinandersetzung mit der indischen Philosophie und Religion. Die Erzählung über den indischen Brahmanensohn trägt autobiografische Züge. – Der Steppenwolf schildert auf radikale Weise das Leben des in sich zerrissenen Intellektuellen Harry Haller, eines Außenseiters um die 50, und galt mit seiner komplexen Struktur als Erneuerung des Romans. – Unterm Rad handelt vom Schicksal des begabten Schülers Hans Giebenrath, der in einem Dorf im Schwarzwald lebt und dem Druck des Vaters und der Lehrer nicht standhalten kann. – Narziss und Goldmund spielt im Mittelalter und erzählt vom Eintritt des jungen Goldmund ins Kloster Mariabronn, wo er auf den sensiblen und intellektuellen Narziß trifft und Freundschaft mit ihm schließt. – Das Glasperlenspiel schließlich, Hesses letztes großes Werk, erzählt die Geschichte um Josef Knecht, den Meister des esoterischen Glasperlenspiels. Es spielt in einer Zukunftswelt und wurde zu einem Kultbuch der 68er-Generation.


Aldo Parmeggiani


(rv 08.07.2012 ap)

















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