Mali: „Wir stehen vor den Trümmern jahrzehntelanger Arbeit“
Die Vorgänge in Mali
sind eine „Krise ungeheuren Ausmaßes“. Das sagt der Nuntius in dem westafrikanischen
Land, Erzbischof Martin Krebs. Am Donnerstag hat der UNO-Weltsicherheitsrat den islamistischen
Kämpfern im Norden Malis erstmals Sanktionen angedroht, nachdem sie seit drei Monaten
die Macht in der Region an sich reißen, historische Stätten verwüstet und Hunderttausende
Menschen zur Flucht gezwungen haben. Und an diesem Samstag berät die Westafrikanische
Wirtschaftsgemeinschaft zusammen mit Vertretern Malis in Ouagadougou in Burkina Faso
über Strategien zur Überwindung der Krise. Jedenfalls: Die Souveränität des Staates
Mali sei bedroht, die Menschenrechte aufs schwerste beeinträchtigt, fasst Erzbischof
Krebs die Lage zusammen. Und kirchlich gesprochen, „stehen wir vor den Trümmern jahrzehntelanger
Arbeit von Priestern, Ordensleuten und Laien“, sagt der aus Deutschland stammende
Vatikandiplomat im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Christen sind entweder in den
Süden Malis, also in die Hauptstadt Bamako, oder in die Provinzhauptstadt Mopti oder
anderswohin geflohen. Das sind die Inlands-Flüchtlinge. Noch mehr sind aber ins Ausland
geflohen, nach Benin, Togo, Kamerun, Nigeria, Burkina Faso. Man spricht von insgesamt
über 300.000 Flüchtlingen, die Inlands- und Auslandsflüchtlinge zusammen genommen.
Die geflohenen Christen sind aber nicht nur Katholiken, sondern in der Mehrzahl Protestanten.
Die katholische Kirche im Süden kümmert sich mit ihren spärlichen Mitteln und den
Zuwendungen, die sie bekommt, nicht nur um die eigenen Leute, sondern auch um die
Protestanten. So hat etwa die Erzdiözese Bamako rund 20 protestantische Flüchtlingsfamilien
in einer Schule untergebracht. Anfang Juni war ich in Bamako, um eine Kirche zu weihen,
und habe dort einige der katholischen Flüchtlinge aus Timbuktu wiedergesehen, deren
Besitz geplündert wurde. Im Gespräch ist beunruhigend, dass die Menschen ihren Schmerz
nicht direkt zeigen, sondern eher durch ungewöhnliche Schweigsamkeit und Sprachlosigkeit.
Ein Missionar vom Orden der Weißen Väter, der mehrere Jahre lang Pfarrer in Gao war,
hat mir berichtet, dass Ende März die bis vor kurzem dort tätigen Missionare nur mit
knapper Not den einfallenden Islamisten entkommen sind. Die Gruppe der Weißen Väter
hatte ihre Abreise auf einen bestimmten Tag festgelegt und ist vor Morgengrauen aufgebrochen.
Es ist anzunehmen, dass es um sie geschehen gewesen wäre, wenn sie nur 20 Minuten
später losgefahren wären! In Gao sind die Pfarrkirche, das Pfarrhaus und das Haus
der Ordensschwestern geplündert worden. Ich habe Bilder gesehen, die die Verwüstung
zeigen. Dennoch: Das größte Elend haben die Flüchtlinge.“
In Nordmali gibt
es kein Bodenschätze. Was ist für die von außen kommenden Islamisten dort interessant,
und warum ist es ihnen scheinbar mühelos gelungen, die Macht an sich zu reißen?
„Was
immer anziehend ist, ist das Machtvakuum. Das Wasser fließt immer dahin, wo Platz
ist. Im Norden Malis ist kaum eine starke Regierung zu spüren gewesen und kein starkes
Militär, deshalb ist Nordmali zusammen mit anderen Teilen der Sahelzone immer ein
Durchgangsgebiet für Kriminelle gewesen. Dort, wo keine staatliche, polizeiliche,
militärische Kontrolle vorhanden ist, kann man tun und lassen, was man will, deshalb
ist das ein Durchgangsland für kriminelle Händler aller möglichen „Waren“, wenn Sie
so wollen: Waffen, Drogen, Menschen. Das ist der Grund, warum Mali so interessant
ist für diese Gruppen.“
Inwiefern wirkt sich der islamistische Umschwung
in Mali auf den gesamten Sahel aus?
Ich weiß nicht, ob man bereits von
einem islamistischen Umschwung reden kann. Wir haben es gegenwärtig zu tun mit einer
Okkupation islamistischer Kräfte, die gestützt werden von diesen Gruppen, die als
rein kriminell anzusehen sind, weil sie sich durch Entführungen, Erpressungen, Drogen-
und Menschenhandel finanzieren. Die Kontrolle, die die islamistischen Gruppen im riesigen
nordmalischen Territorium ausüben, hat ein enormes Prestige und könnte möglicherweise
ähnliche Gruppen, die im Sahel aktiv sind, zur Zusammenarbeit bewegen. Es könnte allerdings
auch zu Rivalitäten zwischen diesen Gruppen kommen, sodass die Zone am Ende für niemanden
mehr kontrollierbar ist. Die Lage ist undurchsichtig, auch was die Zukunft angeht.
Man kann natürlich Drohszenarien entwerfen, und sagen, es gibt in Mali ein neues,
ein schlimmeres Afghanistan. Aber das sind theoretische Überlegungen. Ich möchte das
Entwerfen von Bedrohungs-Szenarien eher als Mittel begreifen, um die internationale
Gemeinschaft zu motivieren und zu mobilisieren. Aber die Zukunft voraussagen kann
niemand.“
Stichwort „die internationale Gemeinschaft mobilisieren“: Seit
Wochen diskutieren etwa die Staaten der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS
darüber, ob sie eine militärische Eingreiftruppe in den Norden Malis entsenden. Aus
Ihrer Sicht als Nuntius – wäre ein solcher Eingriff sinnvoll?
„Das ist
eine strikt politische und militärische Frage, deren Beantwortung den Vereinten Nationen
überlassen ist. Die UNO ist dabei, im Verein mit den Nachbarstaaten Malis, zumal der
westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, einen Plan zu entwerfen. Die Frage kann
nur auf internationaler Ebene gelöst werden, weil es der genauen Abwägung der politischen
und militärischen Möglichkeiten bedarf – und vor allem eines gemeinsamen politischen
Willens. Aber das sind Fragen, die außerhalb meiner Kompetenz als Nuntius liegen und
die auf internationaler Ebene geklärt werden müssen.“
Wenn die Islamisten
ihr Werk ungehindert fortsetzen können, welche Perspektiven haben Mali und seine Bevölkerung
mittelfristig?
„Mali ist eine hochzivilisierte Gesellschaft mit uralten
Traditionen. Malier sind zurecht stolz auf ihre Zivilisation, sie werden sich nicht
einfach der Gewalt beugen, sondern ihre Kultur verteidigen. Auf der anderen Seite
beobachtet man gelegentlich einen Hang zum Fatalismus, wenn die Übermacht zu groß
erscheint. Fatalismus ist aber kein Weg für die malischen Christen, die sich in ihrem
Land nicht als Minderheit verstehen, sondern als echte Malier. Zusammen mit vielen
anderen werden sie sich gegen eine Religion der Gewalt wenden. Orientierung hat der
Heilige Vater gegeben, der bei seinem Besuch in Benin im vergangenen November gesagt
hat: Geoffenbarte Worte, die Heilige Schrift oder den Namen Gottes zu gebrauchen,
um unsere Interessen, unsere so leicht willfährige Politik oder unsere Gewalttätigkeit
zu rechtfertigen, ist ein sehr schwerer Fehler. Ich möchte sagen, es gilt mittelfristig,
die nationale und internationale Gemeinschaft zu mobilisieren für eine gewaltfreie
Ausübung von Religion. Das ist die Perspektive, die ich für Mali sehe, und zumal für
die Christen.“