Mit dem Verbot der
Beschneidung hat das Kölner Landgericht eine neue Etappe in der Auseinandersetzung
zwischen Religion und Staat ausgelöst. Ich sage ausgelöst, denn der Richterentschluss
wird nicht das letzte Wort in dieser Sache sein. Es gibt anders lautende Urteile und
damit Rechtsunsicherheit, außerdem ist die Religionsfreiheit ein zu wichtiges Thema,
als dass man seine Begrenzung allein dem Landgericht Köln überlassen könnte.
Verschiedentlich
haben sich Vertreter der betroffenen Religionen Islam und Judentum, dann aber auch
des Christentums zu Wort gemeldet. Sie sehen eine Einschränkung der Religionsfreiheit.
Und genau das ist es: Der Raum der Möglichkeiten, Tradition und Brauch und Gebot zu
leben, ist eingeschränkt worden.
Dabei ist die juristische Seite einleuchtend:
Ein Mensch hat ein Recht auf die Unversehrtheit des eigenen Körpers, auch Eltern dürfen
dort nicht eingreifen.
Das Landgericht hat nun der Gesellschaft aufgegeben,
die Grenzen neu zu bestimmen. Kann ich einen Menschen vor den Konsequenzen bewahren,
in eine Religion hineingeboren zu werden? Wo verläuft diese Grenze genau?
Stellen
wir uns vor, die nächste Klage beträfe nicht körperliche Schäden, sondern seelische,
weil beim Kind im Klassenzimmer ein Kreuz hängt oder im Dorf die Glocken läuten oder
in der Straße ein Minarett steht: Ein Mensch zieht vor Gericht, weil er sich psychisch
betroffen sieht. Hier werden die Gerichte anders entscheiden, der Mensch ist nicht
vollständig vor den Einflüssen der Außenwelt abzuschirmen. Wenn wir Religionsfreiheit
dulden wollen, dann müssen wir auch ihre Öffentlichkeit dulden.
Hier hilft
ein kleiner Seitenblick auf die Debatte um die Religionsfreiheit in den USA. Hier
in Europa meist als etwas übertrieben wahrgenommen geht es genau um dies: Dass Religionsfreiheit
gilt, da sind sich alle einig. Wogegen sich die Kirchen wehren ist nur die Umdeutung
auf Gottesdienstfreiheit. Also: Religion ja, aber nur in dafür vorgesehenen Räumen,
sicher verstaut und der säkularen Welt nicht im Wege stehend. Das geht nicht. Auch
nichtreligiöse Menschen werden sich den Anblick von Religion nicht vollständig ersparen
können.
Das bringt uns zurück zum Urteil: Wir werden debattieren müssen, wie
Religion in einem Rechtsstaat ihre Sitten, Gebräuche und Gebote leben können. Auch
die Religionen, in diesem Fall das Judentum und der Islam, werden ihre Praxis diskutieren
müssen, wie es ja auch bereits passiert. Den Religionen im öffentlichen Raum wird
nicht erspart bleiben, dass sie sich - dass wir uns - die Frage stellen, was wirklich
zur Religion dazu gehört und wie wir unseren Glauben in der modernen Öffentlichkeit
leben wollen und können.