Die Papst-Predigt beim römischen Patronatsfest im Wortlaut
Papst Benedikt XVI. hat an diesem Freitag im Petersdom 46 neuen Erzbischöfen, die
im vergangenen Jahr in ihre Ämter berufen wurden, das Pallium als Zeichen ihrer Metropolitan-Würde
als Leiter einer Kirchenprovinz verleihen. 44 von ihnen überreichte der Papst das
Pallium am Beginn des Festgottesdienstes zum römischen Patronatsfest Peter und Paul
persönlich. Zwei weitere Erzbischöfe erhalten das Pallium nach Vatikan-Angaben an
ihrem Metropolitan-Sitz von einem Vertreter des Papstes. An der Messe zum römischen
Patronatsfest Peter und Paul nahm auch eine hochrangige Delegation des Ökumenischen
Patriarchats von Konstantinopel teil. Hier die Predigt des Papstes auf Deutsch im
Wortlaut:
Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im bischöflichen und
priesterlichen Dienst, liebe Brüder und Schwestern!
Wir sind um den Altar
versammelt, um in festlichem Glanz die heiligen Apostel Petrus und Paulus, die Hauptpatrone
Roms, zu feiern. Unter uns weilen die im letzten Jahr ernannten Erzbischöfe der Metropolitansitze;
sie haben soeben das Pallium erhalten, und ihnen gilt mein besonderer und freundschaftlicher
Gruß. Ebenfalls anwesend ist eine von Seiner Heiligkeit Bartholomäus I. entsandte
hochrangige Delegation des ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, die ich in
brüderlicher wie herzlicher Verbundenheit empfange. In ökumenischem Geist freue ich
mich, den Chor der Westminster Abbey, der gemeinsam mit der Cappella Sistina die musikalische
Gestaltung der Liturgie übernommen hat, zu begrüßen und ihm zu danken. Ich grüße auch
die Damen und Herren Botschafter sowie die Repräsentanten des öffentlichen Lebens:
Allen danke ich für ihre Anwesenheit und für ihr Gebet.
Vor der Petersbasilika
stehen bekanntlich zwei imposante Statuen der Apostel Petrus und Paulus, die leicht
an ihren Attributen – den Schlüsseln in der Hand des Petrus und dem Schwert in den
Händen des Paulus – zu erkennen sind. Auch auf dem Hauptportal der Basilika Sankt
Paul vor den Mauern sind Szenen aus dem Leben und aus dem Martyrium dieser beiden
Säulen der Kirche gemeinsam dargestellt. Die christliche Überlieferung betrachtet
von je her die heiligen Petrus und Paulus als untrennbar – zusammen stehen sie tatsächlich
für das ganze Evangelium Christi. In Rom hat dann ihre Verbindung als Brüder im Glauben
eine besondere Bedeutung erlangt. Die christliche Gemeinde dieser Stadt sah sie nämlich
als eine Art Gegenaltar zu den mythischen Gestalten von Romulus und Remus, dem Brüderpaar,
auf das man die Gründung Roms zurückführte. Man könnte auch noch an eine andere kontrastierende
Parallele denken, ebenfalls zum Thema der Bruderschaft: Das erste Brüderpaar der Bibel
zeigt uns nämlich die Wirkung der Sünde, als Kain den Abel tötet. Dagegen haben Petrus
und Paulus, obwohl sie menschlich sehr verschieden waren und es in ihrer Beziehung
nicht an Konflikten gefehlt hat, eine neue, nach dem Evangelium gelebte Art, Brüder
zu sein, verwirklicht – eine authentische Art und Weise, die eben durch die in ihnen
wirkende Gnade des Evangeliums Christi möglich wurde. Nur die Nachfolge Christi führt
zur neuen Brüderlichkeit: Das ist die erste grundlegende Botschaft, die das heutige
Hochfest jedem von uns überbringt und deren Bedeutung sich auch in dem Ringen um jene
volle Gemeinschaft widerspiegelt, die der ökumenische Patriarch und der Bischof von
Rom wie auch alle Christen ersehnen.
In dem Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium,
den wir eben gehört haben, legt Petrus ein Zeugnis seines Glaubens an Jesus ab, indem
er ihn als Messias und Sohn Gottes bekennt; er tut das auch im Namen der anderen Apostel.
Als Antwort offenbart der Herr ihm die Sendung, die er ihm anvertrauen will, nämlich
„petra“, der „Fels“ zu sein, das sichtbare Fundament, auf dem das gesamte geistliche
Gebäude der Kirche errichtet ist (vgl. Mt 16,16-19). Doch in welcher Weise ist Petrus
der Fels? Wie muß er diese Sonderposition verwirklichen, die er natürlich nicht für
sich selbst erhalten hat? Die Erzählung des Evangelisten Matthäus sagt uns zunächst,
dass die Erkenntnis der Identität Jesu, die Simon im Namen der Zwölf kundgetan hat,
nicht aus „Fleisch und Blut“, das heißt aus seinen menschlichen Fähigkeiten hervorgegangen
ist, sondern auf einer besonderen Offenbarung Gott Vaters beruht. Unmittelbar danach,
jedoch, als Jesus sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung ankündigt, reagiert
Simon Petrus genau nach dem Impuls von „Fleisch und Blut“: Er „machte ihm Vorwürfe
… Das darf nicht mit dir geschehen!“ (16,22). Und Jesus erwiderte: „Weg mit dir, Satan,
geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen“ (V. 23). Der Jünger, der durch
die Gabe Gottes ein starker Fels werden kann, zeigt sich auch als das, was er in seiner
menschlichen Schwachheit ist: ein Stein auf der Straße, ein Stein, an dem man anstoßen
und zu Fall kommen kann – skandalon, auf Griechisch. Hier tritt die Spannung, die
zwischen der Gabe, die von Herrn kommt, und den menschlichen Fähigkeiten besteht,
offen zutage. Und in dieser Szene zwischen Jesus und Simon Petrus sehen wir das Drama
der Geschichte des Papsttums, die gerade durch das Miteinander dieser beiden Elemente
gekennzeichnet ist, gewissermaßen vorweggenommen: Einerseits ist das Papsttum dank
dem Licht und der Kraft aus der Höhe das Fundament der in der Zeit pilgernden Kirche;
andererseits kommt im Laufe der Jahrhunderte auch die Schwäche der Menschen zum Vorschein,
die nur durch ein Sich-Öffnen auf das Handeln Gottes hin verwandelt werden kann.
Und
es erscheint im heutigen Evangelium mit Nachdruck die klare Verheißung Jesu: „Die
Mächte der Unterwelt“, das heißt die Mächte des Bösen, werden nicht die Oberhand gewinnen
können, „non prevalebunt“. Dabei kommt einem die Erzählung von der Berufung des Propheten
Jeremias in den Sinn, zu dem der Herr, als er ihm die Sendung aufträgt, sagt: „Ich
selbst mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur ehernen
Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester von Juda und gegen
die Bürger des Landes. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen;
denn ich bin mit dir, um dich zu retten“ (Jer 1,18-19). In Wirklichkeit ist die Verheißung,
die Jesus dem Petrus gibt, noch größer als diejenigen, welche den alten Propheten
gemacht wurden: Diese waren nämlich nur durch ihre menschlichen Feinde bedroht, während
Petrus gegen die „Mächte der Unterwelt“, gegen die zerstörerische Macht des Bösen
verteidigt werden muß. Jeremias empfängt eine Verheißung, die ihn als Menschen und
seinen prophetischen Dienst betrifft; Petrus wird in Bezug auf die Zukunft der Kirche,
der neuen Gemeinschaft beruhigt, die von Jesus Christus gegründet ist und sich über
das persönliche Leben des Petrus hinaus auf alle Zeiten erstreckt.
Kommen wir
nun zum Symbol der Schlüssel, von dem wir im Evangelium gehört haben. Es verweist
auf den Spruch des Propheten Jesaja über den Verwalter Eljakim, von dem es heißt:
„Ich lege ihm den Schlüssel des Hauses David auf die Schulter. Wenn er öffnet, kann
niemand schließen; wenn er schließt, kann niemand öffnen“ (Jes 22,22). Der Schlüssel
stellt die Autorität über das Haus David dar. Und es gibt im Evangelium noch ein anderes
Wort Jesu, das an die Schriftgelehrten und an die Pharisäer gerichtet ist, denen der
Herr vorwirft, den Menschen das Himmelreich zu verschließen (vgl. Mt 23,13). Auch
diese Aussage hilft uns, die Verheißung an Petrus zu verstehen: Ihm als dem treuen
Verwalter der Botschaft Christi kommt es zu, die Tür des Himmelreiches zu öffnen und
zu beurteilen, wer aufzunehmen und wer zurückzuweisen ist (vgl. Offb 3,7). So drücken
die beiden Bilder – das der Schlüssel und das des Bindens und Lösens – ähnliche Bedeutungen
aus und bestärken sich gegenseitig. Das Wort vom „Binden und Lösen“ gehört zum rabbinischen
Sprachgebrauch und spielt einerseits auf doktrinelle Entscheidungen an und andererseits
auf die Disziplinargewalt, also auf die Macht, die Exkommunikation zu verhängen und
aufzuheben. Die Parallele „auf Erden … im Himmel“ gibt die Gewähr, dass die Entscheidungen
Petri in der Ausübung dieser seiner kirchlichen Funktion auch vor Gott Gültigkeit
besitzen.
Im 18. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, das dem Leben der kirchlichen
Gemeinde gewidmet ist, finden wir ein weiteres Wort Jesu an seine Jünger: „Amen, ich
sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden
sein und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein“
(Mt 18,18). Und der heilige Johannes gibt in seiner Erzählung von der Erscheinung
des auferstandenen Christus am Osterabend inmitten der Apostel dieses Herrenwort wider:
„Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem
ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20,22-23). Im Licht dieser
Parallelen wird deutlich, dass die Autorität zu lösen und zu binden in der Macht besteht,
die Sünden zu vergeben. Und diese Gnade, die den Kräften des Chaos und des Bösen ihre
Wirksamkeit entzieht, liegt im Herzen des Dienstes der Kirche. Diese ist nicht eine
Gemeinschaft von Vollkommenen, sondern von Sündern, die zugeben müssen, dass sie der
Liebe Gottes bedürfen, daß sie es nötig haben, durch das Kreuz Jesu Christi gereinigt
zu werden. Die Aussagen Jesu über die Autorität Petri und der Apostel lassen gerade
dieses erahnen: dass die Macht Gottes die Liebe ist, die Liebe, die ihr Licht von
Golgotha her ausstrahlt. So können wir auch begreifen, warum in der Erzählung des
Evangeliums unmittelbar auf das Glaubensbekenntnis des Petrus die erste Leidensankündigung
folgt: Mit seinem Tod hat Jesus tatsächlich die Mächte der Unterwelt besiegt, in seinem
Blut hat er einen riesigen Strom der Barmherzigkeit über die Welt ausgegossen, der
mit seinen heilbringenden Wassern die gesamte Menschheit tränkt.
Liebe Brüder
und Schwestern, wie ich zu Anfang sagte, stellt die ikonographische Tradition den
heiligen Paulus mit dem Schwert dar, und wir wissen, dass dies das Werkzeug ist, mit
dem er getötet wurde. Wenn wir jedoch die Schriften des Völkerapostels lesen, entdecken
wir, daß sich das Bild des Schwertes auf seine ganze missionarische Sendung bezieht.
So schreibt er zum Beispiel, als er den Tod herannahen spürt, an Timotheus: „Ich habe
den guten Kampf gekämpft“ (2 Tim 4,7). Sicher nicht den Kampf eines Feldherrn, sondern
den eines Verkünders des Wortes Gottes, in der Treue zu Christus und seiner Kirche,
wofür er sich ganz hingegeben hat. Und genau deshalb hat der Herr ihm den Kranz der
Herrlichkeit verliehen und ihn gemeinsam mit Petrus als Säule in das geistliche Haus
der Kirche gestellt.
Liebe Metropoliten, das Pallium, das ich euch überreicht
habe, wird euch immer daran erinnern, dass ihr in der und für die Kirche eingesetzt
seid; sie ist das große Geheimnis der Gemeinschaft, das geistliche Bauwerk, das auf
Christus, dem Grundstein, und – in seiner irdischen und geschichtlichen Dimension
– auf dem Felsen Petrus errichtet ist. Beseelt von dieser Gewissheit, wollen wir uns
alle als Mitarbeiter der Wahrheit fühlen, die bekanntlich einzig und “sinfonisch“
ist und von jedem von uns wie auch von unseren Gemeinschaften den ständigen Einsatz
der Umkehr zum Herrn in der Gnade des einen Geistes fordert. Es führe und begleite
uns auf unserem Weg des Glaubens und der Liebe die heilige Mutter Gottes. Königin
der Apostel, bitte für uns! Amen.