Nachthimmel über der
päpstlichen Sommerresidenz in Castelgandolfo – die Sterne spiegeln sich im Albaner
See. Und tagsüber studieren und diskutieren gleich nebenan 25 junge Astronomen aus
aller Welt das himmlische Spektakel, angeleitet von Astronomen, die gleichzeitig Priester
sind. Die Vatikan-Sternwarte in den päpstlichen Gärten in Castelgandolfo veranstaltet
in diesem Jahr wieder eine Sommerakademie für Nachwuchs-Astronomen. Diesmal ist auch
eine Deutsche unter ihnen.
Draußen summen die Zikaden, drinnen wird studiert.
Eine Astronomin doziert über Sternenhaufen, das Thema der Sommerakademie, und 25 Studierende
hören zu. Es ist ein buntgemischtes Grüppchen in T-Shirts und Sandalen, rund die Hälfte
Frauen, 23 Nationalitäten sind vertreten, von Taiwan über USA bis Madagaskar. Nora
Lützgendorf ist auch dabei, sie ist 26 Jahre alt, kommt aus Leipzig und schreibt ihre
Doktorarbeit an der Europäischen Südsternwarte in Garching bei München.
„Ich
hab schon unglaublich viele Freunde gemacht, neue Kulturen kennen gelernt und wissenschaftlich
viel Neues gelernt. Es ist für mich praktisch, weil ich direkt an dem Thema arbeite,
über das die Summer School ist. Wir lernen neue Techniken und den ganzen Hitnergrund
zu dem, was ich gelernt habe: Es ist super spannend!“
Sternenhaufen –
das ist Noras Spezialgebiet. Bälle von Sternen sind das, die wegen der Gravitation
zusammenbleiben und in ihrem Haufen herumschwirren.
„Sternenhaufen sind
sehr schöne Gebilde, sphärische, wunderschöne Gebilde mit ganz ganz vielen Sternen
drin. Und die sitzen in unserer Galaxie überall und wir können sie gut beobachten.
Und was ich jetzt mache, ich schau mir das Zentrum von diesen Sternenhaufen an und
versuche herauszufinden, ob dort ein schwarzes Loch sitzt oder nicht.“
Keine
leichte Aufgabe, erklärt Nora: Schwarze Löcher sind schwer zu finden, eben deshalb,
weil sie schwarz sind. Sie verraten sich selbst normalerweise dadurch, dass sie andere
Materie verschlucken, was nachzuweisen ist. In den Sternenhaufen hingegen gibt es
gar keine freie Materie, etwa Gas, das verschluckt werden könnte.
„Was
wir uns anschauen, ist die Bewegung der Sterne in der Nähe vom schwarzen Loch. Denn
es hat eine ganz hohe Gravitation, und die Sterne werden schneller, wenn sie sich
in der Nähe von einem schwarzen Loch befinden. Und so schaue ich mir Bewegungen von
Sternen an, ich mache Dynamik, hauptsächlich, und beobachte, ob sie im Zentrum des
Sternenhaufens schneller werden. Und wenn das so ist, kann man sagen, da muss irgendetwas
Schwarzes, Dunkles sein, das wir nicht sehen können, und das könnte das schwarze Loch
sein.“
Auswirkungen aus das Leben des Menschen auf der Erde hat Noras
Forschung keine – wie überhaupt die Astronomie. Eine Luxusdisziplin, wie die junge
Wissenschaftlerin selbst findet.
„Ja! Wir werden dafür bezahlt, dass wir
neugierig sein können!“
Die vatikanische Sternwarte pflegt diese Luxusdisziplin
seit gut vier Jahrhunderten. Zwölf päpstliche Astronomen, alles Jesuitenpatres, betreiben
hier und in der Außenstelle in Tucson, Arizona, eine Forschungsstation. Astronomie
ist die einzige Naturwissenschsaft, die der Vatikan in Eigenregie betreibt. In der
Fachwelt hat die Forschung an der Sternwarte des Papstes einen guten Ruf, und besonders
auch unter den Studierenden. Die päpstlichen Astronomen stehen nicht unter demselben
Publikationsdruck wie junge Wissenschaftler an staatlichen Forschungsstätten; wohl
auch deshalb ist das Klima gut, was die Sommerakademien an der vatikanischen Sternwarte
zu etwas Besonderem macht. Pater David Brown, einer der päpstlichen Astronomen:
„Wir
sehen es als unseren Auftrag, die ganze Person zu bilden, und gerade unsere Sommerakademie
war immer dafür bekannt, ehrliche Freundschaft zu pflegen und die Leute mit Respekt
zu behandeln. Hierher kommt man nicht bloß fürs Business. Es gibt eine starke persönliche
Komponente, unter den Studierenden, aber auch zu den Forschern. Als Lehrender bemüht
man sich, immer den besten Weg zu finden, jedem und jeder Studierenden so gut wie
möglich zu helfen.“
Bis vor einigen Jahren saß die vatikanische Sternwarte
im päpstlichen Palast Castelgandolfo unter einem Dach mit dem Papst auf Sommerfrische;
dann musste sie einige Kilometer weiter wegziehen, ans andere Ende der ausgedehnten
päpstlichen Gärten und Villen. Die Jesuitenpatres nahmen das bedauernd hin. Aber auch
ihr neuer Sitz ist repräsentativ, findet Nora Lützgendorf:
„Das ist toll,
hat so ein bisschen Harry Potter Atmosphäre. In diesen alten Gemäuern und diese Stille
Wissen zu tanken, ist was sehr Schönes.
Vier Wochen dauert die Sommerakademie,
ziemlich lang also. In ihrer Freizeit organisiert man sich und fährt mit dem Bus nach
Rom zum Sightseeing – oder auch nicht...
„Es ist sehr relaxed, da wird
viel Freiheit gegeben. Am Nachmittag zum Beispiel haben wir meistens Übungen, wir
können aber auch an den See fahren und eigentlich machen, was wir wollen.“
Kein
Wunder, dass die Jesuiten der Sternwarte jedes Jahr aus vielen Bewerbungen zur Sommerakademie
auswählen können. 150 waren es diesmal, für 25 Plätze. Großen Wert legt Sternwartenleiter
Pater Jose Gabriel Funes darauf, dass Studierende aus Entwicklungsländern dabei sind,
denen man den Aufenthalt an der Sommerakademie praktisch ganz bezahlt. „Horizonterweiternd“,
das ist das Wort, mit dem Nora ihre Erfahrungen an der päpstlichen Sternwarte zusammenfassen
würde. Horizonterweiternd in vielerlei Hinsicht, wissenschaftlich, interkulturell
und in Sachen Gruppendynamik.
„Wenn man mal einen Witz macht, muss man
ein bisschen aufpassen, man könnte eine andere Kultur eventuell etwas ankratzen! Wir
haben zB jemanden, der recht katholisch ist und Leute, die ganz in die andere Richtung
gehen und sich gern mal einen Spaß draus machen. Oder wenn wir uns in Rom eine Kirche
anschauen, gibt es ein paar Chaoten, die da ihre Späße draus machen, und das kann
in den falschen Hals geraten...“
Religionszugehörigkeit ist übrigens kein
Thema bei der Auswahl der Kandidaten für die Sommerakademie der Vatikan-Sternwarte.
Die Jesuiten selbst präsentieren sich in zivil, nur Pater Funes hat heute ein Kollarhemd
angezogen, weil der Botschafter Taiwans beim Heiligen Stuhl zu Besuch kommt. Die meisten
Studierenden hier sind Nichtglaubende, sagt Nora. Vielleicht ist deshalb die Neugier
bei den angehenden Astronomen so groß, etwas zu erfahren über die Vereinbarkeit von
Wissenschaft und Glaube.
„Wir haben keine religiösen Elemente in unseren
Vorlesungen. Die sind reine Wissenschaft. Gestern haben wir Pater Funes überredet,
mehr oder weniger, mit uns über dieses delikate Thema zu reden, weil er redet nicht
gern darüber, und das verstehe ich auch, weil er wohl auch oft gefragt wird in seiner
Position, gleichzeitig Direktor hier und Priester zu sein. Wir saßen alle zusammen
und er hat mit uns über die Vereinbarkiet von Religion und Wissenschaft geredet, aber
wir haben explizit danach gefragt, sonst wird uns das hier in keiner Weise aufgedrängt.
Wir haben eine Messe, die wir besuchen können, wenn wir wollen, aber das wars schon.“
Von sich selbst sagt Nora, sie sei nicht religiös. Dennoch sieht sie gar
kein Problem, Wissenschaft und Glaube nebeneinander existieren zu lassen.
„Ich
glaube nicht, dass wir das fassen können, was wir da erforschen, und das werden wir
auch niemals fassen können. Deswegen ist es gar kein Problem, beides zu verbinden.
Selbst wenn die Wissenschaft immer nach Antworten sucht, wir können niemals das Gesamtbild
erfassen und den Grund dafür erfahren. Was Pater Funes auch gesagt hat, es ist nicht
alles Wissenschaft im Leben, es geht auch um Entscheidungen, wie man sich verhält
und so Sachen. Dafür gibt es nicht überall Wissenschaft. Ich weiß immer nicht, warum
Leute da so extrem dagegen sind, dass man beides vereinen kann. Ich glaube schon,
dass es möglich ist!“ (rv 20.06.2012 gs)