D/Brasilien: „Die Zeit ist reif für einen Kurswechsel“
Vor dem UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro wächst die Zahl der Appelle für einen Kurswechsel
zu mehr nachhaltiger Entwicklung. Allerdings sind die Erwartungen begrenzt. Entwicklungsminister
Dirk Niebel (FDP) forderte am Dienstag wirksame Maßnahmen gegen Nahrungsmittelknappheit.
„Weltweit durchschnittlich 40 Prozent Verlust nach der Ernte, das ist das erste, was
man beenden muss“, sagte er kurz vor seinem Abflug nach Brasilien dem Bayerischen
Rundfunk (BR). Mit Schulungen in Lagerhaltung und Bewässerungstechniken müssten die
Menschen in Entwicklungsländern lernen, wie Nahrungsmittel nach der Ernte haltbar
gemacht werden können. Der Chef des UNO-Umweltprogramms UNEP, Achim Steiner,
verteidigte das Konzept der „Grünen Wirtschaft“, die im Mittelpunkt der Beratungen
beim Gipfel „Rio+20“ steht. Die Wende zu einer nachhaltigen und umweltschonenden Ökonomie
sei kein Projekt der großen Weltkonzerne, das nur den Reichen nütze, sagte er laut
der Tageszeitung „taz“ vom Dienstag. So sei etwa die Umstellung auf erneuerbare Energien
eine dezentrale Angelegenheit mit unterschiedlichen Akteuren. Pessimistisch blickt
das katholische HilfswerkMisereor auf den Gipfel. Die „Grüne Ökonomie“
formuliere keinerlei Vorschläge zu mehr Ressourcen- und Einkommensgerechtigkeit, sondern
lediglich das vage Versprechen, dass auch die Armen von den Effekten einer wachsenden
Wirtschaft profitierten, kritisierte der für das Hilfswerk zuständige Hamburger Erzbischof
Werner Thissen in Aachen. Solange die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibe,
könne nachhaltige Entwicklung keine Akzeptanz finden. Die kirchlichen Jugendverbände
in Deutschland fordern von „Rio+20“ mutige Beschlüsse zur Sicherung der Lebensgrundlagen
zukünftiger Generationen. „Mit zunehmender Ungeduld beobachten die christlichen Jugendverbände
in Deutschland, dass in der internationalen Politik und Wirtschaft immer mehr über
Nachhaltigkeit geredet wird, aber entscheidende Anstrengungen für kohärente soziale,
ökologische und ökonomische, also nachhaltige Entwicklung, ausbleiben“, erklärten
die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) und der Bund
der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Aus Sicht der Umweltorganisation
NABU muss Deutschland als moderne Industrienation eine Führungsrolle beim globalen
Aufbau der „Grünen Wirtschaft“ einnehmen. „Dazu brauchen wir dringend Fortschritte
beim Abbau umweltschädlicher Subventionen vor allem für fossile Energien und eine
nicht-nachhaltige Agrarwirtschaft“, verlangte NABU-Präsident Olaf Tschimpke in Berlin.
Steuern und Abgaben sollten weniger die Produktivität und Arbeitskraft belasten, sondern
hohen Umweltverbrauch. Die Kinderhilfsorganisation terre des hommes kritisierte
den Entwurf des Rio+20-Abschlussdokuments als schwach und inkonkret. Offenbar sollten
die Lebensrechte künftiger Generationen wirtschaftlichen Interessen und nationalem
Kalkül geopfert werden, so die Organisation in Osnabrück. Der Brasilianische
Indianermissionsrat (CIMI) machte auf die Not indigener Völker aufmerksam, die
durch die Abholzung des Regenwaldes und Landenteignungen bedroht seien. „Diese Verrohung
des Konsums verursacht ökologische Schäden. Hier müssten strukturelle Veränderungen
passieren“, sagte CIMI-Generalsekretär Cleber Cesar Buzatto dem katholischen Lateinamerika-Hilfswerk
Adveniat in Essen. Stattdessen solle mit der „Grünen Wirtschaft“ das bisherige Modell
des Wirtschaftens weiter fortgesetzt werden. Die Veranstalter des parallel zum
„Rio+20“-Gipfel stattfindenden „Gipfels der Völker“ forderten, dass die Regierungen
das „vernachlässigte Thema“ Abrüstung ernsthaft angehen und einen globalen Abrüstungsplan
beschließen. „Die freiwerdenden finanziellen Mittel sollten für soziale, wirtschaftliche
und ökologische Programme in allen Ländern verwendet werden“, heißt es in dem Aufruf
mehrerer Nichtregierungsorganisationen. (kna 19.06.2012 pr)