2012-06-16 11:22:07

Wahlen in Ägypten: Zwischen Sorge und Optimismus


RealAudioMP3 An diesem Samstag hat in Ägypten die Stichwahl der als historisch bezeichneten Präsidentschaftswahlen begonnen. Erst am Donnerstag hat ein Urteil des Verfassungsgerichts für Aufsehen gesorgt, in dem de facto das Parlament für ungültig erklärt worden ist und ein aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat des ersten Wahlgangs, der frühere Premierminister Achmed Schafik, zum zweiten Wahlgang zugelassen worden ist. Ein Gesetz, das den Vertretern des Mubarak-Regimes den Zugang in die nachrevolutionäre Politik untersagt hatte, ist für unzulässig erklärt worden, so dass nur zwei Tage vor der Stichwahl der Weg für den Zweitplatzierten Schafik geebnet wurde. Die Christen setzen nun ihre Hoffnung wieder auf den General, der ihnen als die einzige Alternative zu einem fundamentalistisch regierten Staat erscheint. Wir haben am Freitag mit Bischof Kyrillos William von Assiut gesprochen, der auch Administrator des Patriarchats von Alexandria ist. Das Gespräch führte Christine Seuß.


Es hat in Ägypten ja die Parlamentswahlen gegeben, bei denen die Muslimbrüder eine starke Mehrheit bekommen haben, die sich auch in der Verfassungskommission niedergeschlagen hat. Jetzt gibt es andererseits das Verfassungsgerichtsurteil, nach dem diese Parlamentswahlen gar nicht gültig waren...


„Gott sei Dank, ja. Aber auch vorher hatten wir keine Angst, wir wussten zwar nicht, was die Zukunft bringen würde, aber wir hatten viel Vertrauen in Gott und in den Willen der Ägypter. Falls was schief gelaufen wäre, hätten die Ägypter schnell reagiert. Wir haben die Barriere der Angst niedergerissen und sind jetzt fähig, unsere Rechte zu fordern. Aber wie gesagt, der große Vorteil des Urteils, dass das Parlament ungültig ist, ist dass der Kandidat Schafik bleibt; darüber haben sich viele Menschen gefreut. Samstag und Sonntag haben wir die Wahl und wir hoffen auf einen zivilen Staat. Wir hatten viel Angst und Sorge, dass es ein islamischer Staat wird.“


Haben Sie keine Sorgen, dass das Militär eventuell die Wahlen nicht anerkennen und einen Putsch vorbereiten könnte?


„Ich glaube nicht, denn Schafik ist General und ein Mitglied des Militärs, was in der Vergangenheit eher ein Nachteil für ihn war. Ich denke nicht, dass die Militärs gegen ihn reagieren würden. Sie haben auch versprochen, dass sie die Revolution verteidigen und unterstützen würden, bis eine demokratische und freie Wahl abgehalten werden würde, und dann würden sie die Macht abgeben.“


Sie sind also überzeugt, dass Schafik jetzt sehr gute Chancen hat?


„Mehr Chancen seit gestern, weil er gar nicht so weit vom Sieg entfernt war. Es gab keinen großen Unterschied zwischen ihm und dem Kandidaten, der vorne lag, dem Muslimbruder Mursi. Wir haben immer gehofft, dass er mehrere Stimmen haben wird.“


Also nochmal mehr Zustimmung nach der Bestätigung der Kandidatur durch das Verfassungsgericht?


„Ja, einerseits für Schafik, aber andererseits auch für das Parlament.“


Haben Sie keine Befürchtung, dass ein Vertreter des Mubarak-Regimes wie Schafik keine wirkliche Neuerung durchsetzen wird?


„Ich glaube nicht. Er hat versprochen, seine Prioritäten seien Sicherheit und Ruhe im Lande. Ich denke also nicht, dass es sich um eine Verlängerung des alten Regimes handeln würde. Schafik weiß auch sehr genau, dass die Jugendlichen sehr schnell reagieren würden. Er wird sich wohl bemühen, vieles zu ändern.“


Also ein großer Optimismus, dass der Arabische Frühling jetzt weiter gehen kann?


„Ja, das hoffen wir. Aber wie ich schon gesagt habe, ich hatte die Hoffnung nie aufgegeben, auch vor einer Woche, wo wir noch überhaupt nicht wussten, wo es hingehen würde. Wir hatten dennoch immer viel Gottvertrauen und Vertrauen in den Willen der Ägypter, die ja nicht mehr zurückwollten, sondern vorwärts gehen wollten.“


Wie erklären Sie sich aber den großen Erfolg der Muslimbrüder? Heißt das, man kann von einer Radikalisierung sprechen?


„Ganz einfach: Sie haben mit den religiösen Gefühlen der Leute gespielt! Bei uns sind alle sehr religiös, ob es nun Christen oder Moslems sind. Von Anfang an, bereits bei einem Referendum über die Verfassung, hat man die Menschen gefragt: Wollt ihr ein Gesetz Gottes oder wollt ihr ein Gesetz der Menschen? Wollt ihr einen Staat Gottes oder einen Staat der Menschen? Damit haben sie viele Stimmen bekommen, sogar von Christen. Sie haben auch viel gespendet, und die Stimmen der Menschen regelrecht gekauft, indem sie Nahrungsmittel an die armen Menschen verteilt haben. Wir haben ein großes wirtschaftliches Problem in Ägypten, die Sachen sind sehr teuer. Wenn Sie den armen Leuten einen Sack Zucker, ein bisschen Reis und Öl geben, dann werden sie Ihnen sofort die Stimme geben.“


Was für Folgen hat es jetzt, dass das Parlament zu einem Großteil für ungültig erklärt worden ist?


„Es wird zu Neuwahlen kommen. Wir haben kein Parlament mehr und wir haben keine Verfassung. Auch, wenn es jetzt zur neuen Wahl kommt, werden die Muslimbruder nicht mehr so viele Stimmen bekommen, wie sie im Vorfeld erhalten hatten, denn sie haben in den letzten sechs Monaten im Parlament gezeigt, dass sie nicht fähig sind, die Probleme Ägyptens zu lösen. Sie haben viel Zeit mit Kleinigkeiten verloren und im Parlament herrschte mehr Religion als Politik. Die Leute haben genug davon, auch viele Muslime haben gesagt: Sollte es eine neue Wahl geben, würden sie ihre Stimme nie den Fundamentalisten geben. Jetzt kommt die Gelegenheit, und wir werden sehen.“


Auch wenn ja bei der Präsidentenwahl viele Stimmen an die Muslimbrüder gegangen sind – ist das nicht ein Widerspruch?


„Die Kandidaten der Muslime sind nicht alle gleich. Mursi hat 5,7 Millionen erhalten, das sind nicht allzu viele. Wir werden sehen.“


(rv 15.06.2012 cs)









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