Säkularisierung ist
nicht notwendig ein „Killer“ von Moral, ebenso wenig ist Religion unentbehrlich für
moralisches Handeln. Das sind die beiden Schlüsse, zu denen der deutsche Soziologe
Hans Joas in seinem neuen Buch „Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums“
kommt, das in diesem Juni im Herder-Verlag erschienen ist. Der in Freiburg und Chicago
forschende Wissenschaftler hat derzeit eine Gastprofessur an der Uni Regensburg inne
– dank des Schülerkreises von Papst Benedikt XVI. Anne Preckel hat mit dem Soziologen
gesprochen.
Sie sprechen in Ihrem neuen Buch „Glaube als Option“ vom „Tod“
zweier „Pseudo-Gewissheiten“ in unserer Zeit: der Annahme, dass Säkularisierung automatisch
zu Moralverfall führt und ein Feind der Religion ist, und andererseits der Annahme,
dass es zur Moral unbedingt die Religion braucht. Bitte erklären Sie uns das näher.
„Die Säkularisten und Religionskritiker neigen, man könnte sagen seit dem
18. Jahrhundert dazu, anzunehmen, dass Modernisierung notwendig zur Säkularisierung
führt. Säkularisierung im Sinne einer abnehmenden Bedeutung, einer Schwächung, eines
Verfalls von Religion. Diese Annahme kann man, glaube ich, als Sozialwissenschaftler
heute eindeutig als verfehlt darlegen. Erst in den letzten Jahrzehnten, in denen sich
nun eine Modernisierung – also im ökonomisch, technisch, wissenschaftlichen Sinn –
vieler Gesellschaften außerhalb Europas und Nordamerikas abgespielt hat, kann man
nun deutlich sehen, dass sich die europäische Säkularisierung dort im Regelfall nicht
wiederholt, ja dass es sogar rapide Modernisierungsprozesse gibt, etwa in Südkorea,
die mit einer massiven Vitalisierung von Religion verbunden sind, geradezu auch mit
Prozessen der Christianisierung! Ich behaupte also: Die ungläubigen Säkularisten müssen
sich von dieser Pseudogewissheit verabschieden!“
Soviel zur ersten „Pseudo-Gewissheit“.
Was ist mit der zweiten?
„Umgekehrt haben die Gläubigen im 19. und 20. Jahrhundert
oft dazu geneigt zu sagen, dass ohne den Glauben gesellschaftlicher Zusammenbruch
wahrscheinlich wird, dass ohne Glauben Menschen nicht wirklich altruistisch, moralisch
handeln könnten und dass deshalb Prozesse der Säkularisierung zum Moralverfall führen.
Sie haben angenommen, dass der Mensch irgendwie anthropologisch gewissermaßen auf
Religion hin angelegt sei und dass dort, wo also der Glaube zum Beispiel durch staatliche
Unterdrückung, aber auch durch konsumistische Oberflächlichkeit an Kraft verliert,
sehr bedenkliche moralische und soziale Konsequenzen eintreten. Auch hier sage ich
nun als Sozialwissenschaftler: Wir können eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten
im großen Stil empirisch untersuchen, ob in säkularistischen Gesellschaften oder in
stark säkularisierten Gesellschaften ein solcher Moralverfall eintritt. Für viele
postkommunistische, aber auch westliche Gesellschaften kann man im Großen und Ganzen
sagen: Nein, dieser Verfall tritt so nicht ein, es gibt andere Quellen der Moral als
die Religion.“
Welche anderen Quellen meint der Soziologe? Und worüber
würde er gerne einmal mit dem Papst diskutieren? Das hören Sie in dem ganzen Gespräch
mit Professor Joas am Sonntagabend bei Radio Vatikan im Programm. Sie können die Sendung
auch über Klicken auf das Lautsprechersymbol oben links anhören.