Imam Yahya Pallavicini
ist Vizepräsident der italienischen Vereiningung der Muslime CO.RE.IS, Vorsitzender
des ISESCO Council for Education and Culture in the West, und ein Berater für
islamische Angelegenheiten des italienischen Innenministers. In seiner Moschee in
Mailand werden junge Muslime zu Imamen ausgebildet. In einem Interview mit Radio Vatikan
am Rande einer Konferenz für interreligiösen Einsatz für Weltfrieden beschreibt er
die Verantwortlichkeiten seiner Vereinigungen folgendermaßen: Vorbeugung und Konfliktlösung.
„Wir
meinen, ein italienisches Modell der Integration, aber auch der Ausbildung, vorstellen
zu können, das die Bildung einer neuen Elite, einer neuen Generation von italienischen
Muslimen vorsieht, die gut mit ihrem Umfeld interagieren können, aber auch ein doktrinäres,
theologisches und religiöses Fundament im Hinblick auf die Authentizität unserer Doktrin
haben. Diese lehrt den Dialog, und zwar nicht nur den Dialog mit der eigenen Familie
und dem Nächsten, sondern auch den Dialog mit denjenigen, die sich außerhalb unserer
Gemeinschaft befinden; sie lehrt somit die Öffnung als Gegenmittel zu Ghettoisierung,
Marginalisierung oder fanatischem Extremismus. Es handelt sich also darum, die wahre
Bedeutung der Lehre gegenüber der geradezu sklavisch wortgetreuen Auslegung hervorzuheben,
und gleichzeitig um die Modulierung der religiösen Identität der islamischen Lehre
angesichts der heutigen Welt.“
Ein zwar kritischer, aber konstruktiver
Dialog also mit der Moderne, mit dem Westen, und mit demokratischen politischen Systemen
in einer liberalen und säkularen Gesellschaft:
„Wir berufen uns auf universale
zivile und religiöse Werten, um aktiv mit der christlichen oder jüdischen Gemeinschaft
zusammenzuarbeiten und in offener, aber authentischer Weise unsere Spiritualität und
religiöse Identität darzustellen und zu verteidigen. Gleichzeitig müssen wir zusammenarbeiten,
um die sozialen Herausforderungen anzugehen und zu lösen, die sowohl im Osten als
auch im Westen in sozialpolitischer und in ökonomischer Hinsicht immer dringlicher
werden.“
Kann denn dieser fortschrittliche und offene Ansatz auch als Beispiel
für andere muslimische Gemeinschaften dienen?
„Wir arbeiten mit besonderem
Fokus auf Italien, aber wir sind auf internationaler Ebene in einem Netzwerk von Religionsweisen
und jungen wie alten religiösen Autoritäten zusammengeschlossen, um diese Sensibilität
weiter zu verbreiten. Das ist nicht nur ein visionärer, sondern in der Tat ein neuer
Ansatz zur Auslegung und Vermittlung des traditionellen Wissens in einer postmodernen
Welt. Wir haben Initiativen, die sowohl in den USA, Großbritannien, Frankreich und
anderen europäischen Ländern laufen, es gibt aber auch Weise, die ihr Zeugnis in Syrien,
Ägypten oder Indonesien ablegen. Wir wollen dieses Netzwerk von Religionsweisen, die
diesen Ansatz des Respekts für die Quellen mit einer Öffnung gegenüber den Nöten und
Notwendigkeiten der heutigen Welt verbinden, weiter aufzuwerten.“
Noch
ist der Imam mit dieser seiner Initiative in der Minderheit, aber er hat Hoffnung
für die Zukunft:
„Es gibt mittlerweile ein internationales Netzwerk, aber
es handelt sich um eine junge Initiative, die es erst seit einigen Jahren gibt und
momentan auch noch in der Minderheit ist, denn manchmal scheint die Masse des Volkes
als auch die Politiker und Institutionen aufgrund anderer politischer Dringlichkeiten
oder sozialer Prioritäten im Osten wie im Westen nicht in der Lage zu sein, mit denjenigen,
die diese Vision der Dinge haben, in Dialog zu treten. Aber das ist eine weitere Herausforderung,
wir müssen uns weiterhin als Gesprächspartner zur Verfügung stellen und in der Zusammenarbeit
mit anderen und mit Gottes Hilfe versuchen, für die Zukunft Erfolg zu haben und ein
Gemeinwohl zu schaffen, das wirklich für alle ist.“
Für ein solches Vorhaben
ist wohl die freie und ungestörte Religionsausübung, die im Übrigen auch in der Charta
der Menschenrechte festgeschrieben ist, unabdingbar. Kann ein konfessionell gebundener
Staat denn die freie Religionsausübung garantieren?
„Die Tatsache, ob die
freie Religionsausübung in einem konfessionellen oder in einem weltlichen Staat gegeben
ist, liegt in der Verantwortung der Regierung, und es handelt sich hierbei um eine
große Verantwortung. Wir haben in der Vergangenheit konfessionelle Staaten gesehen,
die die religiöse Pluralität nicht respektiert haben, und einer Religion den Vorrang
gegeben haben, was auf Kosten der andersgläubigen Minderheiten ging. Gleichzeitig
haben wir weltliche Staaten gesehen, die laizistisch geworden sind, und damit praktisch
einer Diskriminierung Vorschub geleistet haben, die Bürger der Klasse A und der Klasse
B geschaffen hat, wobei die Bürger der Klasse B diejenigen sind, die immer noch an
Gott glauben.“
Diese beiden Extreme bewiesen, dass es gute wie schlechte
Politiker gibt, und dass es nicht das System sei, das die freie Religionsausübung
garantieren könne. Er verfolge auch mit großer Aufmerksamkeit die Situation in der
Türkei. Imam Pallavicini ist überzeugt:
„Ein liberal demokratischer Staat,
dessen Politiker sensibel für diese Problematik sind und der all seinen Bürgern freie
Religionsausübung garantiert, ist wohl das interessanteste Modell. Wir betrachten
auch andere Modelle. Aber eines ist sicher: Wir müssen jede Form von Diskriminierung
einer religiösen oder anderen Minderheit verurteilen, um zu verhindern, dass es zu
Pervertierungen wie dem Holocaust, Rassengesetzen oder gewaltsamen Diskriminierungen
gegenüber einem Gläubigen kommt.“