Ukraine: Kirchenvertreter uneins über Boykottaufruf
Kirchliche Stimmen in der Ukraine sehen die Frage eines Boykotts der Fußball-EM differenziert.
Etliche Politiker reisen demonstrativ nicht an, weil sie ein Zeichen gegen den aus
ihrer Sicht rechtsstaatwidrigen Prozesses gegen die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko
setzen wollen. In einem Interview für das Hilfswerk „Kirche in Not“ sprach sich am
Freitag der Rektor der Lemberger „Ukrainian Catholic University“ (UCU), Borys Gudziak,
gegen Boykottaufrufe aus. Die Regierung der Ukraine habe zwar internationale Empörung
hervorgerufen, aber nicht weniger Empörung solle über die Entwicklung in Russland
laut werden. Der Druck des dortigen Regimes gegen Journalisten, Bürgerrechtler, freie
politische Meinungsäußerung und Religionsgemeinschaften sei viel größer als in der
Ukraine.
Für gerechtfertigt hält hingegen der Bischof der Deutsch-Evangelisch-Lutherischen
Kirche in der Ukraine mit Sitz in Odessa, Uland Spahlinger, Boykotte. Es sei „peinlich
und ärgerlich, wenn Sportfunktionäre uns glauben machen wollen, Sport und Politik
hätten nichts miteinander zu tun“, schreibt Spahlinger in einem Kommentar für das
evangelische "Sonntagsblatt Bayern" (8. Juni): „Spätestens seit Berlin 1936 ist bekannt,
dass das nicht so ist. Beunruhigend ist, was in manchen Internetforen zu lesen ist:
Frau Timoschenko habe es ja nicht besser verdient; der Fall sei doch nur aufgebauscht;
sie würde im umgekehrten Fall auch nicht anders handeln usw. Auch liest man Einlassungen,
die im deutschen Meinungsaustausch die Handschrift von Parteigängern Präsident Janukowitschs
tragen“. Julia Timoschenko sei sicher eine politische Reizfigur. „Gleichzeitig aber
ist sie auch Symbol: Sie hat wie jeder Mensch Anspruch auf faire, transparente und
menschenwürdige Behandlung. Die Justiz eines Landes muss frei sein von politischer
Einflussnahme. Wenn Gerichte nicht unabhängig sind, dann ist das ein bedrohliches
Signal für den Zustand eines Gemeinwesens", so Spahlinger.
Wer auf die Missstände
aufmerksam machen will, könne sich für oder gegen Boykott entscheiden, betont der
Bischof: „Manchmal muss man den Dialog mit dem Dialogunwilligen aussetzen. Die Entscheidung
von Bundespräsident Joachim Gauck, einer Konferenz auf der Krim fernzubleiben, war
ein wichtiges Signal.“ Zu wünschen sei, dass Gäste in die Ukraine „mit wachen Sinnen“
kommen, „und warum nicht mit der EU-Menschenrechtskonvention, die auch die Ukraine
unterzeichnet hat, im Handgepäck?“ Es lohne sich, mit den Menschen das Gespräch darüber
und über bürgerliche Rechte zu suchen.