Streit zwischen Staat und Kirche in Frankreich? Fragen an den neuen Premier
Nicht nur Angela Merkel
blickt mit einem gewissen Bangen auf den neuen französischen Präsidenten Francois
Hollande; auch im Vatikan und in der französischen Kirche fragt man sich beunruhigt,
was der Sozialist im Elysée alles so vorhat. Sein Wahlversprechen Nummer 21 zum Beispiel
spricht von „medikamentöser Beihilfe zu einem Lebensende in Würde“. Ein katholischer
Partnersender von Radio Vatikan aus Nantes, „Radio Fidélité“, hat über Hollandes Vorhaben
mit dem neuen Premierminister Jean-Marc Ayrault gesprochen und zunächst gefragt: Will
die neue Regierung in Frankreich Euthanasie legal machen?
„Sie gebrauchen
da ein Wort, das Francois Hollande nie in den Mund genommen hat: Er hat nie von Euthanasie
gesprochen. Das ist etwas sehr Schwerwiegendes! Stattdessen sprach Hollande wörtlich
davon, „sein Leben in Würde zu beenden“. Es gibt in dieser Richtung schon ein früheres
Gesetz, das übrigens parteiübergreifend verabschiedet wurde. Wir wollen dieses bestehende
Gesetz lediglich perfektionieren: In den Krankenhäusern und Hospizen gibt es nicht
überall genug Ausbildung des Personals für den Umgang mit Sterbenskranken, und auch
die palliative Pflege ist nicht überall gleich weit entwickelt. Da kann man noch eine
Reihe von Fortschritten machen, um die Würde der Personen und ihre Selbstbestimmung
besser zu respektieren.“
Heißt das konkret: Es wird ein neues Gesetz in
diesem Bereich geben?
„Ich weiß nicht, ob es dazu ein neues Gesetz brauchen
wird. Jedenfalls steht dieses Projekt auf der Liste von Francois Hollande; es wird
aber auf jeden Fall bei diesem Projekt wie auch bei anderen ein Bemühen um Konsens
geben.“
Sie sprechen also ausdrücklich nicht von Euthanasie?
„Nein.
Ich nicht und Francois Hollande auch nicht. Vor kurzem war ich in der Schweiz und
habe dort in einer Zeitung eine Werbung für Euthanasie gesehen. Ich finde das schockierend!
Das ist kein banaler Akt, sondern wirft eine außerordentlich schwerwiegende Entscheidung
auf.“
Ihnen schwebt also nicht das Schweizer Modell vor, sondern eher das
belgische?
„Das ist ungefähr dasselbe in der Schweiz wie in Belgien, wissen
Sie...“
Ein anderes Projekt von Präsident Hollande droht ebenfalls auf
Widerstand bei Frankreichs Katholiken zu stoßen: die staatliche Eheschließung für
homosexuelle Paare. Gibt es dafür schon einen Zeitplan?
„Es gibt noch keinen
Zeitplan, aber das Versprechen ist gegeben und wird auch eingehalten werden. Menschen
gleichen Geschlechts werden heiraten können, und sie werden auch Kinder adoptieren
können. Ich respektiere andere Meinungen, aber das ist ein Versprechen, das wir gegeben
haben, und andere demokratische Länder haben das auch schon entschieden.“
Also
in diesem Fall kein Bemühen um Konsens?
„Bei jedem Gesetzesentwurf über
ein wichtiges Thema wird es eine genaue Information und ein Bemühen um Konsens geben.
Aber wir sind in einer Demokratie: Der Präsident ist durch allgemeine Wahlen gewählt
worden, es ist also das Mindeste, dass die von ihm abgegebenen Versprechen auch gehalten
werden.“
Die Einrichtung der Ehe ist bislang ein Bund zwischen Mann und
Frau – Sie sind da also zu einer einschneidenden Änderung entschlossen?
„Schauen
Sie, man muss die Entwicklungen, die es gibt, einfach mal zur Kenntnis nehmen. Auch
die Katholiken haben sich, was das Verhältnis zu Homosexualität betrifft, deutlich
weiterentwickelt, und auch die soziale Nachfrage – all das muss man berücksichtigen.“
Und
muss sich die Kirche da noch weiterentwickeln, aus Ihrer Sicht?
„Ich respektiere
die Unabhängigkeit. Als Premierminister bin ich Garant der Gesetze des weltlichen
Charakters der Republik. Die Französische Republik garantiert die freie Religionsausübung
und respektiert die Freiheit des Gewissens, zu glauben oder nicht zu glauben. Der
Staat muss neutral bleiben.“
Ein weiterer möglicher Streitpunkt: katholische
Schulen. Sie gehören in Frankreich vollgültig zur sogenannten „Éducation nationale“.
Als Präsidentschaftskandidat hat Hollande angekündigt, dass 60.000 neue Lehrerstellen
vor allem den öffentlichen Schulen zugute kommen sollen...
„Der Erziehungsminister
hat vor kurzem versichert, dass die privaten Schulen je nach ihrem Bedarf ebenfalls
bei diesen neuen Lehrerstellen berücksichtigt werden! Wir werden keinen Schulkampf
anheizen.“