Gerechtigkeit am Nil? Ägypten nach der Verurteilung Mubaraks
Lebenslange Haft für
Hosni Mubarak, den früheren ägyptischen Präsidenten – ist damit jetzt Gerechtigkeit
hergestellt am Nil? Der Menschenrechtsexperte des katholischen Hilfswerks Missio in
Aachen, Otmar Oehring, hat daran seine Zweifel. Gerechtigkeit herzustellen würde aus
seiner Sicht bedeuten: allen aus dem Staatsapparat einen Prozess machen, die in der
Zeit des alten Regimes schuldig geworden sind. Doch davon ist Ägypten noch weit entfernt.
„Es
ist eigentlich immer davon ausgegangen worden, dass das Militärregime, das ja momentan
in Ägypten regiert und faktisch natürlich schon seit sechzig Jahren an der Macht ist,
kein Interesse daran hat, diese Leute verurteilen zu lassen, weil es ja selbst zu
diesem Regime gehört hat und davon ein Überbleibsel ist. Auf der anderern Seite wissen
die Herrschenden um Feldmarschall Tantawi natürlich ganz genau, dass sie zu einer
Verurteilung schreiten müssen, weil es ja sonst permanent Unruhen gibt.“
Ägypten
ist in einem heiklen Moment des Übergangs. In diesem Juni findet die zweite Runde
der Präsidentenwahlen statt, und zwar zwischen dem Islamisten Mursi und dem Vertreter
des alten Regimes Shafik. Oehring weist darauf hin, dass die Islamisten in der ersten
Runde keineswegs eine Mehrheit bekommen haben:
„In den Medien wird nicht
genug darauf hingewiesen, dass insgesamt nur ca. 46 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt
zur Wahl gegangen sind, und von diesen 46 Prozent hat weniger als die Hälfte islamistische
Kandidaten gewählt. Also hat es doch ein relativ großes Wählerpotential gegeben für
liberale und auch linke, also jedenfalls säkulare Kandidaten. Da muß man wiederum
unterscheiden zwischen denen, die sich vom früheren Regime gelöst haben wie der frühere
Außenminister und Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, bzw. Shafik, der
natürlich bis 2011 noch letzter Ministerpräsident von Hosni Mubarak war und seinerseits
natürlich auch schuldig geworden ist.“
Die Gefahr eines sanften Putsches Oehring
rät dazu, abzuwarten, was die zweite Wahlrunde bringt: „ob Shafik gewinnen darf, weil
die Militärs das so wollen, oder ob sie Mursi doch gewinnen lassen“.
„Vielleicht
gibt es da ja im Hintergrund auch schon irgendwelche Abmachungen zwischen den Militärs
und der Muslimbruderschaft, wie man künftig zusammenlebt und überlebt. Also, wie das
ausgeht, wird spannend sein. Die dritte Möglichkeit, von der natürlich auch geredet
wird, ist die eines Putsches, wenn die zweite Wahlrunde nicht so ausgeht, wie die
Militärs sich das erhoffen. Denkbar ist ein sanfter Putsch, indem die Militärs eine
Regierung einsetzen und der Präsident überhaupt nichts gegen diese Regierung machen
könnte.“
Was das alles für die Kopten, immerhin die größte christliche
Gemeinschaft im ganzen Nahen Osten, bedeutet? Nichts deutet darauf hin, dass ihre
Lage schlimmer wird – allerdings ist sie schon ausgesprochen schlecht, schon seit
den letzten Jahren des Mubarak-Regimes.
„Der Unterschied, den wir sehen,
ist eigentlich nur ein Unterschied in der Wahrnehmung; das liegt daran, dass jetzt
die Medien in Ägypten tatsächlich offener über die Lage berichten (das ist per se
natürlich positiv). Andererseits ist es im Zug der ägyptischen Revolution zu einem
totalen Zerfall des Gewaltmonopols des Staates gekommen. Das Regime bemüht sich durchaus,
dem Volk durch das, was auf den Straßen an Unsicherheit herrscht, deutlich zu zeigen,
was das Volk gewählt hat. Und dass es deswegen doch einer Überlegung wert wäre, doch
einem Kandidaten des Regimes, in diesem Fall Herrn Shafik, die Stimme zu geben, der
dann alles wieder in Ordnung bringen würde. Natürlich weiß das Volk dann auch, dass
es, wenn es Herrn Shafik wählen würde, wieder Sicherheit gäbe und Stille – aber auch
Totenstille, wie in der Vergangenheit unter Hosni Mubarak.“
Doch auch der
Kandidat der Muslimbruderschaft Mursi ist aus Oehrings Sicht nicht unbedingt eine
bessere Wahl fürs erste Amt im Staat. Schließlich sei „nicht wirklich klar, was die
Muslimbruderschaft eigentlich will“. Wenn es um die Rechte von Frauen bzw. von Minderheiten
– auch der christlichen Minderheit – gehe, flüchteten sich die Islamisten in unverbindliche
Formulierungen.