2012-06-04 13:05:32

Gerechtigkeit am Nil? Ägypten nach der Verurteilung Mubaraks


RealAudioMP3 Lebenslange Haft für Hosni Mubarak, den früheren ägyptischen Präsidenten – ist damit jetzt Gerechtigkeit hergestellt am Nil? Der Menschenrechtsexperte des katholischen Hilfswerks Missio in Aachen, Otmar Oehring, hat daran seine Zweifel. Gerechtigkeit herzustellen würde aus seiner Sicht bedeuten: allen aus dem Staatsapparat einen Prozess machen, die in der Zeit des alten Regimes schuldig geworden sind. Doch davon ist Ägypten noch weit entfernt.

„Es ist eigentlich immer davon ausgegangen worden, dass das Militärregime, das ja momentan in Ägypten regiert und faktisch natürlich schon seit sechzig Jahren an der Macht ist, kein Interesse daran hat, diese Leute verurteilen zu lassen, weil es ja selbst zu diesem Regime gehört hat und davon ein Überbleibsel ist. Auf der anderern Seite wissen die Herrschenden um Feldmarschall Tantawi natürlich ganz genau, dass sie zu einer Verurteilung schreiten müssen, weil es ja sonst permanent Unruhen gibt.“

Ägypten ist in einem heiklen Moment des Übergangs. In diesem Juni findet die zweite Runde der Präsidentenwahlen statt, und zwar zwischen dem Islamisten Mursi und dem Vertreter des alten Regimes Shafik. Oehring weist darauf hin, dass die Islamisten in der ersten Runde keineswegs eine Mehrheit bekommen haben:

„In den Medien wird nicht genug darauf hingewiesen, dass insgesamt nur ca. 46 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt zur Wahl gegangen sind, und von diesen 46 Prozent hat weniger als die Hälfte islamistische Kandidaten gewählt. Also hat es doch ein relativ großes Wählerpotential gegeben für liberale und auch linke, also jedenfalls säkulare Kandidaten. Da muß man wiederum unterscheiden zwischen denen, die sich vom früheren Regime gelöst haben wie der frühere Außenminister und Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, bzw. Shafik, der natürlich bis 2011 noch letzter Ministerpräsident von Hosni Mubarak war und seinerseits natürlich auch schuldig geworden ist.“

Die Gefahr eines sanften Putsches
Oehring rät dazu, abzuwarten, was die zweite Wahlrunde bringt: „ob Shafik gewinnen darf, weil die Militärs das so wollen, oder ob sie Mursi doch gewinnen lassen“.

„Vielleicht gibt es da ja im Hintergrund auch schon irgendwelche Abmachungen zwischen den Militärs und der Muslimbruderschaft, wie man künftig zusammenlebt und überlebt. Also, wie das ausgeht, wird spannend sein. Die dritte Möglichkeit, von der natürlich auch geredet wird, ist die eines Putsches, wenn die zweite Wahlrunde nicht so ausgeht, wie die Militärs sich das erhoffen. Denkbar ist ein sanfter Putsch, indem die Militärs eine Regierung einsetzen und der Präsident überhaupt nichts gegen diese Regierung machen könnte.“

Was das alles für die Kopten, immerhin die größte christliche Gemeinschaft im ganzen Nahen Osten, bedeutet? Nichts deutet darauf hin, dass ihre Lage schlimmer wird – allerdings ist sie schon ausgesprochen schlecht, schon seit den letzten Jahren des Mubarak-Regimes.

„Der Unterschied, den wir sehen, ist eigentlich nur ein Unterschied in der Wahrnehmung; das liegt daran, dass jetzt die Medien in Ägypten tatsächlich offener über die Lage berichten (das ist per se natürlich positiv). Andererseits ist es im Zug der ägyptischen Revolution zu einem totalen Zerfall des Gewaltmonopols des Staates gekommen. Das Regime bemüht sich durchaus, dem Volk durch das, was auf den Straßen an Unsicherheit herrscht, deutlich zu zeigen, was das Volk gewählt hat. Und dass es deswegen doch einer Überlegung wert wäre, doch einem Kandidaten des Regimes, in diesem Fall Herrn Shafik, die Stimme zu geben, der dann alles wieder in Ordnung bringen würde. Natürlich weiß das Volk dann auch, dass es, wenn es Herrn Shafik wählen würde, wieder Sicherheit gäbe und Stille – aber auch Totenstille, wie in der Vergangenheit unter Hosni Mubarak.“

Doch auch der Kandidat der Muslimbruderschaft Mursi ist aus Oehrings Sicht nicht unbedingt eine bessere Wahl fürs erste Amt im Staat. Schließlich sei „nicht wirklich klar, was die Muslimbruderschaft eigentlich will“. Wenn es um die Rechte von Frauen bzw. von Minderheiten – auch der christlichen Minderheit – gehe, flüchteten sich die Islamisten in unverbindliche Formulierungen.

(rv 04.06.2012 sk)








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