Großbritannien: „Familien brauchen Zeit – Paare brauchen Vorbereitung“
Zur Spiritualität
der Familie gehört es, Zeit miteinander verbringen zu können. Doch was sich einfach
anhört, wird angesichts moderner Lebensumstände immer schwieriger: Frenetische Arbeitsverhältnisse,
wirtschaftlicher Druck und neue familiäre Lebensmodelle wirken hier wie eine Schleuder,
die dem Kraftzentrum Familie nach und nach die Energie abzieht. Das unterstreicht
Bischof John Hine, Leiter des Komitees für Ehe und Familie in der katholischen Bischofskonferenz
von England und Wales, im Interview mit Radio Vatikan. Er nimmt in wenigen Tagen am
Internationalen Familientreffen mit Papst Benedikt XVI. teil.
„Ich denke,
dass Familien unter dem enormen Druck stehen, Erfolg zu haben, dass beide Partner
Fulltime arbeiten und dass sie professionell sind, weil sie sonst ihre Arbeit verlieren.
Die Familie rückt so auf den zweiten statt auf den ersten Platz, und es gibt kein
Gleichgewicht. Und das wird oft auch auf die Kinder projiziert; es gibt hohe Erwartungen
an sie von frühem Kindesalter an, das betrifft die Ausbildung und überhaupt die Erfahrungen
– sie müssen überall die besten machen. Ich habe neulich mit einer Familie gesprochen,
der kleine Sohn sagte: Das liebste, was ich machen will, ist zu Hause sein. Das ist
genau das Problem: Es fehlt die Zeit dafür, einfach Zeit mit der Familie zu Hause
zu verbringen, sich zu erholen und einfach Kind sein zu können.“
Die Belastung
der Familien hat der Papst in diesen Tagen zweifach beim Namen genannt: Wenige Tage
vor Beginn des Mailänder Familientreffens forderte Benedikt XVI. eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Weiter rief er die Väter in ihre Erziehungspflicht: „Die Tatsache,
dass ein Vater im Leben des Kindes nicht präsent ist, ist ein großes Problem unserer
Zeit“, so Benedikt XVI. wörtlich. Für Bischof Hine zerrt in Großbritannien derzeit
auch die Aufweichung des traditionellen Familienbegriffes an der katholischen Ehe
und Familie: So überlegt die britische Regierung von England und Wales derzeit, den
Ehebegriff auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften auszuweiten. Bischof Hine sieht
das als Gefahr:
„Es gibt Beratungen darüber, wie das passieren soll, nicht
darüber, ob das passieren soll. Wir haben eine Kampagne dagegen gestartet. Und derzeit
scheint es so zu sein, dass die Regierung ein wenig Abstand von dem Plan nimmt, weil
das Thema keine erste Priorität hat, es gibt wichtigere Dinge. Wir werden die Kampagne
aber natürlich fortführen: Wenn man einmal damit anfängt, die Ehe neu zu definieren,
zerstört man wirklich das Heim und die Familie und die damit verbundenen Möglichkeiten.“
Die
Anzahl der Scheidungen ist auch in Großbritannien gestiegen. Dabei wollten junge Paare
eigentlich gerne heiraten, berichtet Bischof Hine. Sie seien leider nur schlecht auf
die Ehe vorbereitet:
„Zweifelsfrei gab es einen Anstieg der Scheidungen
und es gibt enormen Druck auf die Familien aus allen möglichen Richtungen. Junge Leute
tendieren dazu, viel später als früher zu heiraten, nicht nur aus beruflichen oder
wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, weil sie bereits verschiedene Beziehungen
hatten. Und das, denke ich, hilft ihnen nicht wirklich, wenn sie einen Hausstand gründen:
Sie schlittern eher in die Ehe als sich wirklich dafür zu entscheiden. Wenn man keine
Entscheidung trifft, dass das ein lebenslanges gegenseitiges Bekenntnis ist und wenn
man einfach so hineinschlittert, ist es ebenso leicht, da wieder herauszugleiten.
Und ich denke, das ist das große Problem heute.“
Die katholische Kirche
versucht dieser Tendenz mit Ehevorbereitungskursen entgegenzuwirken. Überhaupt bemühe
man sich, das Thema Familie positiv „unter die Leute“ zu bringen, berichtet der Bischof
aus seiner eigenen Gemeindearbeit. So bemühe man sich etwa darum, die Gemeinden familienfreundlicher
zu gestalten und auf die Familien zuzugehen. Weiter versuche man, die Gesellschaft
für die Bedeutung und den Wert der Familie als spirituellem Ort zu sensibilisieren.
Die Teilnahme am Mailänder Familientreffen kann nach Ansicht des Geistlichen vor allem
dann ein Erfolg sein, wenn man offen in die verschiedenen Begegnungen hineingeht:
„Ich denke, das Ziel einer solchen Konferenz kann sein, ein offenen Geist
zu haben und zu schauen: was sind überhaupt die Werte, die hilfreich sind, und was
können wir zu dieser Konferenz aus unserer Sicht beitragen. Man kann im Vorhinein
nicht festlegen, was aus dieser Erfahrung herauskommt, das hängt von der Einstellung
ab, mit der man dort hin geht und von der Mentalität, die man einbringt – die bestimmt,
was man mitnimmt.“
Zum fünftägigen Internationalen Familientreffen in Mailand
werden Menschen aus mehr als 140 Ländern erwartet. Bei der Veranstaltung gibt es vielfältige
Gelegenheiten für die Teilnehmer, sich über die Herausforderungen und Probleme der
Familien auszutauschen. Die Familientreffen werden alle drei Jahre abgehalten und
vom Päpstlichen Familienrat ausgerichtet. Thema in diesem Jahr ist die Familie zwischen
Arbeit und Fest.