2012-05-23 13:13:24

Ägypten: „Einigung jenseits religiöser Grabenkämpfe“


RealAudioMP3 Ägypten wählt einen neuen Präsidenten: Vor den Wahllokalen bildeten sich seit den frühen Morgenstunden an diesem Mittwoch lange Schlangen; über fünfzig Millionen Ägypter können ihre Stimme für einen von zwölf Kandidaten abgeben; die Stichwahl ist für Juni angesetzt. Ministerpräsident Kamal el-Ganzuri spricht jetzt schon von einer „beispiellosen Wahlbeteiligung“. Am Mittwoch Abend mussten wegen des großen Andrangs viele Stimmlokale länger als vorgesehen geöffnet bleiben. Als Favoriten unter den säkularen Bewerbern gelten der ehemalige ägyptische Außenminister Amre Mussa und Ex-Ministerpräsident Ahmed Schafik. Ebenfalls gute Chancen werden dem von den Salafisten unterstützten Abdel Moneim Abdul Futuh sowie dem Muslimbruder Mohammed Mursi eingeräumt. Nach letzten Umfragen wird jedoch kein Kandidat auf Anhieb die absolute Mehrheit erreichen.
45 Prozent der Wähler sind überhaupt bis zuletzt unentschlossen, welchem Kandidaten sie ihre Stimme geben sollten. Am Freitag werden die vorläufigen Ergebnisse der ersten Wahlrunde erwartet, sicher ist, dass die Militärjunta versprochen hat, die Macht am Ende des kommenden Monats an den Wahlsieger abzugeben. Im Münchener Kirchenradio verleiht Pfarrer Joachim Schroedel, der der Gemeinde in Kairo vorsteht, seiner Sorge darüber Ausdruck, dass die Machtübergabe nicht völlig reibungslos vonstattengehen könnte.

„Das Militär hat mehrfach erklärt, dass Ende des nächsten Monats die Übergabe der Macht erfolgen würde. Ich bezweifele das sehr, vor allem wenn das Volk einen Präsidenten wählen würde, der zu stark polarisieren wird, vor allem wenn er zu islamisch/islamistisch wäre. Das will das Militär nicht, das ganz eigene Interessen hat. Das Militär ist vor allem eine gesellschaftliche Größe, die nicht zu unterschätzen ist, auch als wichtiger Wirtschaftsfaktor. Es wird wohl wieder auf eine gewisse Parallelgesellschaft hinauslaufen, in der es demokratische/pseudodemokratische Strukturen gibt, es wird den Präsidenten geben, da wir als Ägypter doch immer einen Vater brauchen, aber es wird immer daneben das Militär geben. Von einem General habe ich vor ein paar Monaten gehört, dass das Militär die Demokratie beschütze, was natürlich für uns Europäer kaum nachvollziehbar ist und eigentlich ein Gegensatz wäre.“

Dabei sei es überhaupt fraglich, wie friedlich und transparent die Wahlen letztlich ablaufen würden, so Pfarrer Schroedel weiter:

„Friedlich und transparent sind zwei Begriffe, die normalerweise nicht zum Sprachgebrauch eines Ägypters gehören, denn Ägypter sind sehr heißblütig und es kommt leider sehr leicht zu Auseinandersetzungen. Das ist nun einmal so, das gehört zum Wesen eines Ägypters dazu. Ich hoffe und bete darum, dass es friedlich abgeht.“

Die Rose der Kandidaten ist bunt, es haben sich sowohl Exponenten des ehemaligen Mubarakregimes zur Wahl gestellt, als auch die demokratisch unerfahrenen und vor allem auf der polemischen Schiene erfolgreichen Muslimbrüder. Sowohl bei Amr Moussa als auch bei Ahmed Shafik handelt es sich um Kandidaten, die mit dem alten Regime eng verbunden sind, und das bringe die Ägypter bei der Wahlentscheidung in eine Art Zwickmühle, so Pfarrer Schroedel:

„Einerseits sind das natürlich erfahrene Staatsmänner, vor allem Moussa, der mit sehr geschickten Methoden Außenminister des Regimes war. Shafik hingegen war der letzte Premierminister unter Mubarak, er ist allerdings auch Militär, und darum geht es wohl auch, dass das Militär doch immer noch die Kontrolle behält. Die anderen beiden, Abdel Fotouh und Mohamed Morsi, sind dem islamistischen Lager zuzurechnen, und hier ist es interessant, dass man in den letzten Wochen eine Verschiebung beobachten konnte. Viele, die die Muslimbrüder ins Parlament gewählt haben sind jetzt enttäuscht von den islamistisch orientieren Parlamentariern, weil sie letztlich keine Ahnung haben, wie ein Staat zu regieren ist. Vielfach sehen jetzt vor allem die Städter und gebildeten Ägypter ein, dass sie einen erfahrenen und älteren Staatsmann brauchen, der sozusagen wie ein Vater die Ägypter jenseits von Religion eint. Wir können anhand dieser 45 Prozent Unentschlossenen sehen, dass wir vielleicht eine Überraschung zum Positiven, oder, was ich nicht hoffe, zum Negativen erleben werden.“

(muenchner kirchenradio 23.05.2012 cs)







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