„Letztlich auf Stammtischniveau“: Paulus Terwitte über die Piraten
Vor allem Buntheit
charakterisiert den Mannheimer Katholikentag: Über alle möglichen Themen wird da gesprochen,
auch über die Erfolge der Piratenpartei bei mehreren Landtagswahlen in den letzten
Monaten, von Berlin bis NRW, wird nachgedacht. Unser Redaktionsleiter Pater Bernd
Hagenkord SJ sprach mit dem Kapuziner Paulus Terwitte. Der bekannte Autor ist ein
Freund der modernen Medien, ein Blogger und Facebooker, wie er im Buche steht. Ein
idealer Kandidat, sich bei der Piratenpartei zu engagieren. Oder etwa nicht? Eine
Frage, gestellt auf dem Katholikentag in Mannheim.
„Im Moment halte ich
die Piraten noch gar nicht für eine Partei, sondern eher für eine Bewegung, die selber
noch gar nicht weiß, wohin sie eigentlich gehen will. Sie lebt von einer uralten Sehnsucht:
dass nämlich diese Welt von allen mitgestaltet werden könnte, indem alle mitreden
und indem alle mit gleichen Rechten (und Pflichten, das gehört natürlich auch dazu)
ausgestattet sind. Sie sind für mich sozusagen eine Anti-Mandats-Partei. Und letztlich
eine Partei des Mißtrauens, weil das Mißtrauen gegen die jetzigen Mandatsträger gibt
der Partei eigentlich die Kraft.“
Wobei sie ja selber auch schon gemerkt
haben, dass es so nicht geht. Es gab ja jetzt in Berlin vor dem Rücktritt des dortigen
Landesvorsitzenden der Piratenpartei eine geschlossene Sitzung, also ohne Twitter
und dergleichen.
„Eine Sitzung, aus der dann der Vorsitzende herausgemailt
hat an irgendeine Redaktion, und das war dann der Anlaß für seinen Fall. Weil er das
bestritten hat – wegen dieser Lüge mußte er gehen. Ich glaube, dass die Piraten auf
diese Weise lernen, dass es ein öffentliches und ein nicht-öffentliches Reden gibt.
Es gibt Dinge, die müssen hinter verschlossenen Türen verhandelt werden; dafür braucht
man allerdings das Vertrauen zu denen, die verhandeln. Und darum sage ich: Die Partei
der Piraten ist Ausdruck des großen Mißtrauens gegenüber jedem einzelnen Menschen.
Das ist etwas, was ich schon länger beobachte: Mit der Verdunstung des Christentums
nimmt die Individualisierung zu, und damit auch eine Welt und eine Weltgestaltung,
in der nur noch der Einzelne sich selbst glaubt und nicht mehr Mandaten, die man erteilt.
Siehe die geringe Wahlbeteiligung.“
Nicht nur die Künstler haben etwas
gegen die Piratenpartei – siehe Urheberrecht; dahinter steckt ja auch ein Menschenbild,
das nicht so ganz einfach zu schlucken ist für einen Christen...
„Wenn man
überhaupt von einem Menschenbild der Piratenpartei sprechen kann. Das, glaube ich,
haben die noch gar nicht so richtig. Aber es ist doch interessant, dass dort viele
Stammtischmeinungen sich sammeln können; man muss nur einmal schauen, wie die Software
aussieht, mit der sie glauben, alle an Abstimmungsverfahren beteiligen zu können:
Dann sieht man, dass da einfach Internet-Diskussionsthemen hineinkommen können, etwa:
Sollen wir nicht Kindermörder hinrichten lassen und die Todesstrafe überhaupt in Deutschland
wieder einführen? Das sind Dinge, bei denen ich hocherstaunt bin, dass das dann einfach
so frei weiterdiskutiert werden kann... letztlich auf Stammtischniveau. Niemand hat
natürlich das Recht, redaktionell einzugreifen – das wäre ja gegen die Freiheit! Das
ist eben ein völlig falscher Freiheitsbegriff. Für mich ist gegen die Freiheit, wenn
man alle Themen so laufen läßt, als könnte man alles neu verhandeln.“
Ist
das eine Gefahr, dass über die Partei wieder populistisches Gedankengut in die politische
Öffentlichkeit kommt?
„Die Äußerungen von Parteiverantwortlichen im öffentlichen
Fernsehen haben mich schon erschrecken lassen: Dass da mal jemand während einer Sendung
zu einem Ministerpräsidenten sagen kann „Sie haben die Macht, Sie sind Ministerpräsident,
warum machen Sie das nicht einfach?” Kurt Beck hat dann geantwortet: „Entschuldigen
Sie, ich muss mich auch noch an Gesetze halten.” Da bin ich schon sehr erstaunt. Ich
möchte eigentlich nicht, dass in irgend einer Regierung oder gesetzgebender Versammlung
Leute drin sind, die von sich aus offensichtlich als Verantwortliche dieser Partei
proklamieren können, dass man sich nicht an Gesetze halten müsse, wenn man eine bessere
Einsicht hätte.“ Sie freuen sich auf die Auseinandersetzung mit den Piraten,
wie es scheint.
„Ich freue mich darüber, wenn ich einzelne von ihnen treffe
und sie befrage, was sie denn zum Thema Vertrauen zu sagen haben, oder zum Thema Menschenwürde,
und ob Enttäuschung eigentlich genügend Motivation ist, etwas Gutes bewirken zu wollen.
Ich bezweifle das.”