Hildegard von Bingen - eine Heilige für unsere Zeit
„Mit Freude und Dankbarkeit“:
So nehmen die Benediktinerinnen der Abtei Eibingen die Nachricht auf, dass Hildegard
von Bingen in den offiziellen Heiligenkalender der Weltkirche aufgenommen worden ist.
Die Entscheidung des Papstes war an diesem Donnerstag bekannt geworden. Schwester
Philippa Rath OSB aus Eibingen sagte uns an diesem Freitag:
„Man muss
ja sehen, dass strenggenommen eigentlich 39 Generationen unseres Klosters darauf gewartet
haben! Seit fast neunhundert Jahren haben wir dafür gebetet und auch gearbeitet –
und dementsprechend groß ist jetzt die Freude im Konvent und bei den Mitschwestern.“
In Eibingen und Bingen wurde
am Donnerstagabend gefeiert – auf beiden Seiten des Rheins. Und auch der Mainzer Kardinal
Karl Lehmann würdigt Hildegard, die 1098 bei Alzey geboren wurde und 1179 im Kloster
auf dem Bingener Rupertsberg starb, als „leuchtende Gestalt“. Schon zu Lebzeiten sei
die vielseitige Predigerin, Visionärin, Komponistin und Forscherin „wie eine Heilige
verehrt“ worden. „Eine angestrebte Heiligsprechung scheiterte wohl seinerzeit am Ungenügen
einer zu allgemeinen, unbefriedigenden Lebensbeschreibung“, schreibt Kardinal Lehmann.
Schwester Philippa meint zu diesem Punkt:
„Es hat eigentlich sehr viele
Versuche gegeben, die heilige Hildegard heiligzusprechen – schon die zweite Nachfolgerin
der Heiligen als Äbtissin auf dem Rupertsberg hat im Jahr 1233 in Rom die Heiligsprechung
beantragt. Damals gab es aber noch Unklarheiten, wer überhaupt für Heiligsprechungen
zuständig sei, ob der Bischof oder der Papst – und dann ist dieser Heiligsprechungsprozess
in das Räderwerk dieser Auseinandersetzungen gekommen. Später gab es weitere Versuche:
Der Papst setzte eine Kommission ein, um die Schriften Hildegards zu prüfen, diese
Kommission hat aber nicht zur Zufriedenheit des Vatikans gearbeitet; da fehlten dann
Unterlagen bzw. Daten, Namen von Wunderberichten, und darum wurde das Ganze wieder
zurückgeschickt – und inzwischen gab es wieder einen neuen Papst!“
„Die
Verehrung dauerte aber besonders in den von Hildegard gegründeten Klöstern an“, schreibt
Kardinal Lehmann von Mainz; „die Menschen strömten am 17. September“, dem Todestag,
„an ihr Grab“. Die „starke Verehrung“ ziehe sich durch das ganze Mittelalter – auch
wenn sie erst im 17. Jahrhundert in das offizielle Heiligenverzeichnis der zuständigen
Erzdiözese Mainz aufgenommen wurde. Lehmann weiter: „Ihre Schriften fanden immer mehr
Interesse. Aus dem lokalen Kult einiger Klöster wird eine regionale Verehrung im Erzbistum
Mainz“, die im 19. Jahrhundert noch einmal stark anstieg. Parallel dazu: immer neue
Anläufe zu einer Heiligsprechung Hildegards. Schwester Philippa:
„Wir
haben mal ausgerechnet, dass insgesamt fünf Päpste in der Kirchengeschichte sich immer
wieder damit beschäftigt haben – bis hin in unsere Neuzeit hinein. Jetzt hat es endlich
geklappt! Vielleicht bedurfte es eines deutschen Papstes...“
„Vielleicht
bedurfte es eines deutschen Papstes“
Die Ausdehnung des Hildegard-Festes
auf ganz Deutschland erlaubte der Heilige Stuhl 1940. 1979 wurde dann ihr 800. Todestag
groß gefeiert – ein wichtiger Durchbruch, so Kardinal Lehmann: „Eine umfangreiche
Forschung stellte die große Bedeutung der „deutschen Prophetin“ heraus, und zwar auf
vielen Gebieten: in der Medizin und in der Musik, in der Naturkunde und in ihren Visionen,
in der Dichtung und ihrer Bibelauslegung.“ Ab diesem Moment sei Hildegard „geradezu
populär“ geworden. Freilich werde sie „auch gelegentlich modisch missbraucht“ und
gerate in den „Sog von Esoterikern und New-Age-Anhängern“. Lehmann wörtlich: „Versuche
einer kirchlichen Höherbewertung, zum Beispiel durch die Ernennung zur Kirchenlehrerin,
scheiterten an dieser Instrumentalisierung.“ Jedenfalls, bis der deutsche Papst kam.
Schwester Philippa Rath OSB:
„Das sind nur Vermutungen, ich kann das
nicht beweisen – aber im September 2010 hat es zwei ausführliche Katechesen des Heiligen
Vaters über Hildegard von Bingen gegeben, eine in Rom und eine in Castel Gandolfo.
In diesen beiden Katechesen sprach er von Hildegard immer als von einer Heiligen –
offenbar wusste er damals selber nicht, dass sie noch gar nicht offiziell heiliggesprochen
worden war! Dann ist er von mehreren Seiten aus dem Vatikan, wie auch von uns als
Abtei, darauf aufmerksam gemacht geworden, dass diese offizielle Heiligsprechung immer
noch aussteht. Und dann ging das Ganze sehr, sehr schnell: Wir wurden Anfang 2011
angerufen von der Heiligsprechungskongregation, und es kam in Gang. Wir erarbeiteten
zusammen mit Hildegard-Forschern Texte für Rom, und der Heilige Vater hat aufs Tempo
gedrückt! Wie man sieht, hat es jetzt nur ein gutes Jahr gedauert.“
„Hoffnung
auf Erhebung zur Kirchenlehrerin“
Wenn Papst Benedikt XVI. jetzt
die Verehrung der heiligen Hildegard verbindlich auf die Weltkirche ausdehnt, dann
schafft er nach Einschätzung von Kardinal Lehmann „nicht nur eine liturgierechtliche
Klarheit für ihre weltweite Verehrung, sondern auch Voraussetzungen für eine tiefere
Beschäftigung mit dieser leuchtenden Gestalt“. Lehmann wörtlich: „Die ganzheitliche
Sicht von Gott, Mensch und Welt, zur Sprache gebracht von einer geistig und spirituell
hoch sensiblen Frau, gibt unserer Zeit mit ihrem Suchen und Zweifeln viele weiterführende
Anstöße.“ Schwester Philippa aus der Abtei Eibingen hofft wie Lehmann, dass jetzt
die wirkliche heilige Hildegard wieder mehr ins Blickfeld rückt. Viele kennen die
Heilige nämlich eher als vermeintliche Kochbuch-Autorin oder Wellness-Prophetin.
„Das
ist genau der große Irrtum – und ich denke, der Heilige Vater hat das genau erkannt.
Er kennt die theologischen Schriften Hildegards sehr genau. Hildegard war eben viel,
viel mehr: Sie war eine große Theologin, sie hat also, wie wir sagen, eine kosmologische
Summe der Theologie vorgelegt. Und das ist bisher viel zu wenig gewürdigt worden,
weil der Blickwinkel zu einseitig auf Teile ihres Werkes, gerade auf die natur- und
heilkundlichen Schriften, gerichtet wurde. Durch die Heiligsprechung und auch die
erhoffte Erhebung zur Kirchenlehrerin wird das jetzt sehr anders werden. Ich denke,
Hildegard ist eine Heilige, die wirklich die Menschen unserer Zeit ansprechen kann.
Wir merken das in unserer Abtei – wir haben ja jedes Jahr viele hunderttausend Menschen,
die zu uns kommen –, wie sehr sie in der Lage ist, Menschen, die dem Glauben fernstehen,
neu für Gott und für die Kirche zu gewinnen. Ich denke, das ist genau das, was wir
heute für unsere Zeit brauchen, diese Heilige!“