2012-05-10 13:13:18

Italien/D: Ein Stück Kölner Dom entsteht in Rom


RealAudioMP3 Ein gotisches Kapitell, gearbeitet anno domini 2012 in Rom: Dieses Kunstwerk vollbringt Markus Schroer in der deutschen Akademie Villa Massimo. Der Steinmetz ist in diesen Wochen als so genannter Praxisstipendiat für zwei Monate Gast der Künstlerakademie. Normalerweise wirkt er an der Dombauhütte Köln. Ein Werkstattbesuch in der Villa Massimo von Gudrun Sailer.

Sowie das Tor der Villa Massimo hinter dem eintretenden Besucher zufällt, umfängt ihn eine andere Welt. Ein Arkadien mitten in der Großstadt, ein autofreies Paradies. Der Blick geht in die Weite, Pinien verzahnen sich mit dem Himmel, unbenannte Blumen duften, Hecken in dunkel glänzendem Grün säumen Rasen und Wege. In einer Reihe nebeneinander liegen die zehn Künstlerateliers, hohe, weite, lichtdurchflutete Räume, und Atelier eins steht sperrangelweit offen.

Ein Mann in kurzer Hose und Hemdsärmeln, Hammer und Meißel in den Händen, bearbeitet ein Objekt, das einmal ein simpler Steinblock gewesen sein muss. Auf einer Seite wachsen zarte geäderte Blätter aus dem Quader, die wie leicht vom Wind bewegt aussehen. Markus Schroer heißt der Mann, der dieses filigrane Blattwerk mit seinen Händen geschaffen hat. Es ist von einer derartigen Kunstfertigkeit, dass die Nachbarn stehenbleiben und hereinkommen. Der Komponist Hauke Berheide und seine Frau waren gerade zum Markt unterwegs, um Basilikum einzukaufen, aber Schroers steinerne Blätter sind noch attraktiver.

„Ich finde, dass schon viel hier passiert ist an dem Stein, wie lang bist du jetzt schon hier? drei Wochen? Am Anfang war das so ein Quader, im Lauf der Zeit wird’s immer deutlicher.“

„Ich hab die Hoffnung, dass ich in den sieben Wochen hier das Kapitell fertig hab.“

Sieben Wochen: das ist die Zeit, die Markus Schroer in der Villa Massimo zur Verfügung steht. Die übrigen Stipendiaten bleiben ein Jahr lang, aber Atelier eins ist den so genannten Praxis-Stipendiaten vorbehalten, Praxis im Sinn von angewandter Kunst oder Handwerk. Villa Massimo-Direktor Joachim Blüher will mit dieser heute ungewöhnlichen Nachbarschaft ungewöhnliche Begegnungen ermöglichen und fachübergreifenden Austausch fördern.

Der helle, fast weiße Sandstein wird unter Schroers Händen zu einem Kapitell. Ein bürgerliches Wohnzimmer wird es niemals schmücken, es ist für den Kölner Dom vorgesehen.

„Meine Stücke sind nicht für Ausstellungen, nicht zur Repräsentation, sondern Teil der Kathedrale, die steht im Vordergrund, das einzelne Stück steht im Hintergrund. Selbst wenn die Leute davorstehen und denken, Wahnsinn ist das toll, möchte ich gern im Wohnzimmer haben: Es verschwindet dann in der Kathedrale in 20 oder 40 Metern Höhe, irgendwo an der Rückseite des Turmes, und wird nie mehr gesehen.“

Ein neuer Begriff von Luxus tut sich hier auf. So viel Schönheit, die nie wieder ein Mensch zu Gesicht bekommen wird: Das widersetzt sich dem vernünftigen Empfinden, konterkariert alle Regeln des Marktes und kann als Verschwendung gelten. Gut 10.000 Euro Arbeitskosten für ein Kunstwerk, das existiert, aber dem menschlichen Auge unsichtbar bleibt, mit voller Absicht obendrein. Genau das, wendet Markus Schroer ein, ist die Idee der gotischen Kathedrale.

„Gotische Kathedralen wurden gebaut als himmlisches Jerusalem. Vollkommenheit auch im Detail, auch im Hintergrund, auch dort wo der Mensch nicht hinkucken kann. Man wollte den Menschen zeigen, was auf sie zukommt, wenn sie in den Himmel kommen. Das heißt, auch wenn ich hinter die Ecke kucke, ist das genauso wie vorn. Nach dem Prinzip: Gott pfuscht nicht. Der arbeitet überall sauber! Und wir haben die Aufgabe, diesen Gedanken heute fortzuführen und lebendig zu erhalten.“

Die Argumentation verfängt durchaus bei Hauke Berheide. Der junge Komponist schreibt viel für Musiktheater, ihn fasziniert dieser Gedanke der Einbettung in alles, was je an Kunst geschaffen wurde und wird.

„Dass man bei aller Individualität – und hier ist ja ganz viel vom speziellen Steinmetz zu sehen – letztlich ist das Ganze eingebunden ist, in einen überpersönlichen kulturellen Korpus. Und wenn man ganz ehrlich ist, ist das, was andere Kunst tut, bei aller Bemühung so individuell zu sein wie man nur sein kann, letztlich auch nichts anders. Also man fügt sich ebenfalls in so einen kulturellen Korpus ein und ist im Dialog mit dem, was die Vorgänger gemacht haben und mit denjenigen, die vielleicht später mit dem umgehen müssen, was man selber so hinterlässt. Das wird natürlich ganz anders anfassbar und verständlich, wenn man vor so einem Stein hier steht; und das find ich schon sehr beeindruckend.“

150 Meißel jeder Form liegen auf einer Werkbank in Atelier eins. Genau solche müssen auch die Steinmetze vor 800 Jahren in Köln benutzt haben, als sie die Kathedrale schufen. Und so sagt Markus Schroer:

„Ich könnte genauso in der mittelalterlichen Dombauhütte arbeiten wie ich heute in der Dombauhütte arbeite. Ich würde mich mit den Leuten blind verstehen, weil wir das gleiche machen. Ich habe die gleichen Bedingungen, das gleiche Material, muss die gleichen Formen schaffen, somit muss ich genauso denken und bin dem Mann verdammt nah. Ich versuche mich in den Stein hineinzudenken, und im Stein finde ich das gleiche vor, was er vorfand, und somit treffen wir uns im Stein.“

Zur Meißelpause gibt es bei Markus Schroer deutschen Filterkaffee aus der Thermoskanne und dazu Tarallucci, italienisches Gebäck. Die nordsüdliche Mischung scheint Programm im Atelier eins. Sie nimmt am Sandstein plastische Formen an. Den Quader hat sich Schroer aus Köln mitgebracht, die Form seines Kapitells hingegen hat er hier in der Villa Massimo gefunden.

„Hier im Park wächst der Akanthus. Ich bin hieher nach Rom gefahren und hab gewusst, ich mach ein Kapitell. Und ich hab mir gesagt, wenn ich dann da bin, suche ich mir dort in der Natur ein Blatt aus. Ich bin also herumgegangen, habe mir die Zitrone angeguckt, Feige, Magnolie, aber die habe ich am Dom auch schon gemacht. Und dann hab ich im Park der Villa Massimo den Akanthus gesehen, den ich noch nicht gemacht hatte, und der auch gut zu dem Rahmen hier passt. Der Akanthus wird auch gern als paradiesische Pflanze gesehen, und da dies hier so ein paradiesischer Rahmen ist, bin ich drauf verfallen, dieses Blatt für dieses Kapitell zu verwenden.“

Schroer liegt gut in der Zeit: Sein Kapitell ist zu zwei Dritteln fertig. Köln rückt wieder näher. Sein in Rom entstandenes Werk wird in die Höhen des Doms entschwinden, in die Unsichtbarkeit, aber ein paar getrocknete Akanthus-Blätter bei sich zu Hause werden den Steinmetz an seine zwei römischen Monate erinnern, an den Himmel, das Licht, die Pinien, die Villa.

„Dieses Blatt nehme ich mit in die Werkstatt und presse es. So kann ich es hinterher auf Papier kleben und mitnehmen. Bei mir in Köln wächst Akanthus doch recht selten…!“
(rv 10.05.2012 gs)









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