Ein gotisches Kapitell,
gearbeitet anno domini 2012 in Rom: Dieses Kunstwerk vollbringt Markus Schroer in
der deutschen Akademie Villa Massimo. Der Steinmetz ist in diesen Wochen als so genannter
Praxisstipendiat für zwei Monate Gast der Künstlerakademie. Normalerweise wirkt er
an der Dombauhütte Köln. Ein Werkstattbesuch in der Villa Massimo von Gudrun Sailer.
Sowie das Tor der Villa Massimo hinter dem eintretenden Besucher zufällt,
umfängt ihn eine andere Welt. Ein Arkadien mitten in der Großstadt, ein autofreies
Paradies. Der Blick geht in die Weite, Pinien verzahnen sich mit dem Himmel, unbenannte
Blumen duften, Hecken in dunkel glänzendem Grün säumen Rasen und Wege. In einer Reihe
nebeneinander liegen die zehn Künstlerateliers, hohe, weite, lichtdurchflutete Räume,
und Atelier eins steht sperrangelweit offen.
Ein Mann in kurzer Hose und Hemdsärmeln,
Hammer und Meißel in den Händen, bearbeitet ein Objekt, das einmal ein simpler Steinblock
gewesen sein muss. Auf einer Seite wachsen zarte geäderte Blätter aus dem Quader,
die wie leicht vom Wind bewegt aussehen. Markus Schroer heißt der Mann, der dieses
filigrane Blattwerk mit seinen Händen geschaffen hat. Es ist von einer derartigen
Kunstfertigkeit, dass die Nachbarn stehenbleiben und hereinkommen. Der Komponist Hauke
Berheide und seine Frau waren gerade zum Markt unterwegs, um Basilikum einzukaufen,
aber Schroers steinerne Blätter sind noch attraktiver.
„Ich finde, dass
schon viel hier passiert ist an dem Stein, wie lang bist du jetzt schon hier? drei
Wochen? Am Anfang war das so ein Quader, im Lauf der Zeit wird’s immer deutlicher.“
„Ich hab die Hoffnung, dass ich in den sieben Wochen hier das Kapitell
fertig hab.“
Sieben Wochen: das ist die Zeit, die Markus Schroer in der
Villa Massimo zur Verfügung steht. Die übrigen Stipendiaten bleiben ein Jahr lang,
aber Atelier eins ist den so genannten Praxis-Stipendiaten vorbehalten, Praxis im
Sinn von angewandter Kunst oder Handwerk. Villa Massimo-Direktor Joachim Blüher will
mit dieser heute ungewöhnlichen Nachbarschaft ungewöhnliche Begegnungen ermöglichen
und fachübergreifenden Austausch fördern.
Der helle, fast weiße Sandstein
wird unter Schroers Händen zu einem Kapitell. Ein bürgerliches Wohnzimmer wird es
niemals schmücken, es ist für den Kölner Dom vorgesehen.
„Meine Stücke
sind nicht für Ausstellungen, nicht zur Repräsentation, sondern Teil der Kathedrale,
die steht im Vordergrund, das einzelne Stück steht im Hintergrund. Selbst wenn die
Leute davorstehen und denken, Wahnsinn ist das toll, möchte ich gern im Wohnzimmer
haben: Es verschwindet dann in der Kathedrale in 20 oder 40 Metern Höhe, irgendwo
an der Rückseite des Turmes, und wird nie mehr gesehen.“
Ein neuer Begriff
von Luxus tut sich hier auf. So viel Schönheit, die nie wieder ein Mensch zu Gesicht
bekommen wird: Das widersetzt sich dem vernünftigen Empfinden, konterkariert alle
Regeln des Marktes und kann als Verschwendung gelten. Gut 10.000 Euro Arbeitskosten
für ein Kunstwerk, das existiert, aber dem menschlichen Auge unsichtbar bleibt, mit
voller Absicht obendrein. Genau das, wendet Markus Schroer ein, ist die Idee der gotischen
Kathedrale.
„Gotische Kathedralen wurden gebaut als himmlisches Jerusalem.
Vollkommenheit auch im Detail, auch im Hintergrund, auch dort wo der Mensch nicht
hinkucken kann. Man wollte den Menschen zeigen, was auf sie zukommt, wenn sie in den
Himmel kommen. Das heißt, auch wenn ich hinter die Ecke kucke, ist das genauso wie
vorn. Nach dem Prinzip: Gott pfuscht nicht. Der arbeitet überall sauber! Und wir haben
die Aufgabe, diesen Gedanken heute fortzuführen und lebendig zu erhalten.“
Die
Argumentation verfängt durchaus bei Hauke Berheide. Der junge Komponist schreibt viel
für Musiktheater, ihn fasziniert dieser Gedanke der Einbettung in alles, was je an
Kunst geschaffen wurde und wird.
„Dass man bei aller Individualität – und
hier ist ja ganz viel vom speziellen Steinmetz zu sehen – letztlich ist das Ganze
eingebunden ist, in einen überpersönlichen kulturellen Korpus. Und wenn man ganz ehrlich
ist, ist das, was andere Kunst tut, bei aller Bemühung so individuell zu sein wie
man nur sein kann, letztlich auch nichts anders. Also man fügt sich ebenfalls in so
einen kulturellen Korpus ein und ist im Dialog mit dem, was die Vorgänger gemacht
haben und mit denjenigen, die vielleicht später mit dem umgehen müssen, was man selber
so hinterlässt. Das wird natürlich ganz anders anfassbar und verständlich, wenn man
vor so einem Stein hier steht; und das find ich schon sehr beeindruckend.“
150
Meißel jeder Form liegen auf einer Werkbank in Atelier eins. Genau solche müssen auch
die Steinmetze vor 800 Jahren in Köln benutzt haben, als sie die Kathedrale schufen.
Und so sagt Markus Schroer:
„Ich könnte genauso in der mittelalterlichen
Dombauhütte arbeiten wie ich heute in der Dombauhütte arbeite. Ich würde mich mit
den Leuten blind verstehen, weil wir das gleiche machen. Ich habe die gleichen Bedingungen,
das gleiche Material, muss die gleichen Formen schaffen, somit muss ich genauso denken
und bin dem Mann verdammt nah. Ich versuche mich in den Stein hineinzudenken, und
im Stein finde ich das gleiche vor, was er vorfand, und somit treffen wir uns im Stein.“
Zur Meißelpause gibt es bei Markus Schroer deutschen Filterkaffee aus
der Thermoskanne und dazu Tarallucci, italienisches Gebäck. Die nordsüdliche Mischung
scheint Programm im Atelier eins. Sie nimmt am Sandstein plastische Formen an. Den
Quader hat sich Schroer aus Köln mitgebracht, die Form seines Kapitells hingegen hat
er hier in der Villa Massimo gefunden.
„Hier im Park wächst der Akanthus.
Ich bin hieher nach Rom gefahren und hab gewusst, ich mach ein Kapitell. Und ich hab
mir gesagt, wenn ich dann da bin, suche ich mir dort in der Natur ein Blatt aus. Ich
bin also herumgegangen, habe mir die Zitrone angeguckt, Feige, Magnolie, aber die
habe ich am Dom auch schon gemacht. Und dann hab ich im Park der Villa Massimo den
Akanthus gesehen, den ich noch nicht gemacht hatte, und der auch gut zu dem Rahmen
hier passt. Der Akanthus wird auch gern als paradiesische Pflanze gesehen, und da
dies hier so ein paradiesischer Rahmen ist, bin ich drauf verfallen, dieses Blatt
für dieses Kapitell zu verwenden.“
Schroer liegt gut in der Zeit: Sein
Kapitell ist zu zwei Dritteln fertig. Köln rückt wieder näher. Sein in Rom entstandenes
Werk wird in die Höhen des Doms entschwinden, in die Unsichtbarkeit, aber ein paar
getrocknete Akanthus-Blätter bei sich zu Hause werden den Steinmetz an seine zwei
römischen Monate erinnern, an den Himmel, das Licht, die Pinien, die Villa.
„Dieses
Blatt nehme ich mit in die Werkstatt und presse es. So kann ich es hinterher auf Papier
kleben und mitnehmen. Bei mir in Köln wächst Akanthus doch recht selten…!“ (rv
10.05.2012 gs)