Mit der momentan vieldiskutierten
Rolle des Fußballs als völkerverständigendem Element hat sich auch eine Lehrveranstaltung
der Jesuiten-Hochschule für Philosophie in München auseinander gesetzt. Wir haben
mit Michael Reder vom Lehrstuhl für Völkerverständigung der Universität gesprochen.
Im Gespräch mit dem Sozial- und Religionsphilosoph wurde deutlich, dass er vor allem
die Hauptakteure derartiger Ereignisse selbst in der Pflicht sieht, sich zu den Begebenheiten
zu äußern.
„Wenn man sich internationale Turniere ansieht, dann sind solche
Veranstaltungen auch immer eine Begegnung verschiedener Regionen, Kulturen und Gesellschaften
mit ihren unterschiedlichen politischen Traditionen. Damit können sie auch genutzt
werden, auf Probleme in anderen Ländern aufmerksam zu machen und eine Öffentlichkeit
zu geben, um darüber zu sprechen. Allerdings ist es wichtig, dass sich in solchen
Situationen dann auch die Sportler selber äußern. Deshalb ist es unabdingbar, dass
sich beispielsweise die Spieler der deutschen Nationalmannschaft auch politisch äußern
und die Menschrechtsverletzungen mit zum Thema machen. Das wäre meiner Ansicht nach
eine wichtige Möglichkeit, auf die Situation in der Ukraine zu reagieren und auch
den politischen Druck zu erhöhen.“
Ereignisse wie Fußball-Europameisterschaften
oder Weltmeisterschaften seien immer wichtige gesellschaftliche Phänomene, bei denen
es nicht nur um Sport geht, sondern bei denen auch politische Fragen mitverhandelt
werden könnten. Ein Boykott der Veranstaltung sei daher nicht der richtige Weg, das
Potential der Europameisterschaft gerade im Hinblick auf ihre Öffentlichkeitswirkung
zu nutzen:
„Meiner Ansicht nach ist es gut, wenn solche Ereignisse zum
Anlass genommen werden, um öffentlich über die Situation, zum Beispiel über die Verwirklichung
von Menschenrechten, zu diskutieren und dass Verantwortliche, Politiker oder gerade
auch Spieler und Sportler sich dazu äußern. Ich glaube nicht, dass ein Boykott des
Turniers die Situation wirklich verbessern würde, sondern ich denke, dass mehr gewonnen
ist, wenn dieses Ereignis auch als politisches Ereignis medial aufgegriffen wird und
damit letztlich der Druck auf die Regierung vor Ort erhöht werden kann.“
Insbesondere
der Fußball, aber auch andere sportliche Großereignisse dienten dazu, grundpolitische
und demokratische Fragen zu diskutieren. So habe beispielsweise der Deutsche Fußballverband
die Diskussionen um Beschimpfungen von Spielern gegnerischer Mannschaften mit einer
anderen Hautfarbe in seiner „Anti-Rassismus-Kampagne“ aufgegriffen. In letzter Zeit
gebe es auch immer mehr Spieler, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen
und damit einen wichtigen Beitrag gegen Homophobie leisteten, so Reder. Dennoch scheint
es auffällig, dass die Diskussionen um Menschrechtsverletzungen in der Ukraine erst
kurz vor dem Anpfiff zur EM so stark medial verbreitet werden. Dazu Reder:
„Es
braucht leider immer wieder äußere Umstände, damit politisch etwas hörbar gemacht
wird und so auch deutsche Politikerinnen und Politiker mit unter Druck gesetzt werden,
ihre Rolle wahrzunehmen. Insofern ist es vielleicht schade, dass sie es erst aufgrund
eines solchen Anlasses wie der EM tun. Ich finde es nichtsdestotrotz richtig und wichtig,
dass beispielsweise der Bundespräsident mit seinem Verzicht auf die Reise in die Ukraine
und auch dem geplanten Nicht-Reisen zu den Spielen in die Ukraine ein Zeichen gesetzt
hat, das auch diplomatisch sehr deutlich wahrgenommen wird und klar macht: Wir sind
mit der Umsetzung von Menschenrechten und dem politischen System in dieser Form nicht
einverstanden und wollen auch öffentlich dagegen protestieren!“
Reder
würde sich dabei wünschen, dass auch neben den Fußballereignissen und großen Sportereignissen
wie den Olympischen Spielen in der Öffentlichkeit auch mehr über andere, vielleicht
kleinere Ereignisse geredet und damit auf die Situation von Menschenrechten in anderen
Ländern aufmerksam gemacht werde:
„Wir brauchen mehr Berichterstattung
über solche Ereignisse, um zu sehen, wie die Menschrechtssituation vor Ort ist und
um damit auch den politischen Druck und die Aufklärung in der eigenen Bevölkerung
voranzutreiben. Oftmals wissen wir ja gar nicht so genau, wie die Situation wirklich
ist, und dass solche Ereignisse Anlass sind zu informieren, Öffentlichkeit herzustellen
und damit auch politischen Druck aufzubauen.“