Tietmeyer: „Transparenz und Druck wichtiger als Weltfinanzpolizei“
Welche Strategien
muss eine globalisierte Welt wählen, die in Frieden leben will? Und welchen Beitrag
kann die katholische Soziallehre in diesem Prozess leisten? Darüber haben in den vergangenen
Tagen Fachleute aus aller Welt im Vatikan diskutiert. Leitthema bei der Vollversamlung
des Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften war die Friedensenzyklika „Pacem
in terris“ von Johannes XXIII., die nächstes Jahr 50 Jahre alt wird. Mitglied der
Päpstlichen Akademie ist der frühere Chef der Deutschen Bundesbank Hans Tietmeyer,
der seinerzeit übrigens auch einige Semester Theologie studiert hat. Gudrun Sailer
sprach mit dem Finanz-Fachmann und wollte zunächst von ihm wissen, wie er über eine
weltweite Finanzaufsichtsbehörde denkt – eine solche hatte der Päpstliche Rat für
Gerechtigkeit und Frieden jüngst in einem längeren Grundsatzdokument zur Finanzkrise
angeregt.
„Ich habe gar nichts dagegen, dass wir uns langsam in Richtung
einer Weltautorität bewegen; das kann man heute fordern, aber man schafft das nicht,
das wird es nicht geben. Warum? Weil die Bereitschaft der großen Staaten und auch
der kleinen nicht da ist, die Verantwortung aufzugeben. Hier muss man Wege finden,
miteinander gewisse Verhaltensweisen und Aufsichtsregeln zu entwickeln und eine neutrale
Prüfung durchzusetzen. Diese neutrale Prüfung ist für mich zunächst auf der Basis
einer hinreichenden Transparenz zu schaffen. Insofern hab ich nichts gegen die Vorschläge
von Istutia et Pax – das mag längerfristig sehr wohl möglich sein, dass es auch Weltaufsichtsbehörden
gibt, aber so schnell sehe ich das nicht.“
Ein kleiner Mosaikstein
im großen Bild ist der Vatikan, der sich vor einem Jahr neue Finanzregeln gegeben
hat, die für mehr Transparenz sorgen sollen. 2011, ist das nicht im internationalen
Kontext recht spät?
„Das ist wohl ein bisschen spät, aber offensichtlich
gab es – ich bin nicht über die Einzelheiten informiert - Vermutungen über Fehlentwicklungen.
Dazu kann ich nichts sagen. Der Vatikan selbst muss aber diese Verantwortung auch
sehen. Aber es kommt nicht allein darauf an, wie der Vatikan selbst sich verhält,
sondern es ist so, dass die Kirche zugleich eine Plattform darstellen muss, jedenfalls
die katholisch Denkenden, um miteinander zu diskutieren über Wege, wie man die Welt
verbessern kann.“
Genau das ist bei den Debatten der Päpstlichen Akademie
für Sozialwissenschaften geschehen. Das ist ja ein interdisziplinär besetztes Gremium.
Es gibt, um die Basis für den Frieden auf der Welt zu sichern, viele Aspekte, auf
die man achten muss, nicht nur die Finanzarchitektur, in der Sie Fachmann sind. Inwiefern
wurde das bei der Tagung deutlich?
„Mindestens genauso wichtig ist die
ganz Frage nach dem Klima und bis hin zum Verzicht auf kriegerische Auseinandersetzungen.
In der zivilen Ordnung und in der Marktordnung, und das gilt auch für die Finanzordenung,
aber genauso für den Klimaschutz und die anderen Fragen. Da müssen wir Wege finden,
wie wir gemeinsame Normen entwickeln und diese gemeinsamen Normen dann umsetzen können.
Da nützt es nichts, wenn die Länder alle erklären, wir werden das machen, sondern
da muss auch geprüft werden. Da bin ich der Meinung, eine regelmäßige Offenlegung
mit Prüfung durch eine neutrale Instanz ist ein wichtiger Vorgang. So könnte der Internationale
Währungsfonds die großen Länder regelmäßig untersuchen, ob sie dieses Regelwerk entwickelt
und angewandt haben. Hier sollte der öffentliche Druck eine wichtige Rolle spielen.
Ich glaube, dieser öffentliche Druck wäre am Ende effizienter als eine Weltpolizeibehörde.“
Die Weltfinanzkrise steht jetzt schon seit etlichen Jahren auf der
Agenda. Es heißt mancherorts, Menschen, die wirklich Einblick haben, fürchten den
unwiderruflichen tiefen Absturz der Industrienationen. Das geht soweit, dass nicht
wenige Insider Goldreserven anlegen, Ackerflächen aufkaufen, Nahrungsmittel einbunkern.
Was halten Sie von einem solchen Drohszenario apokalyptischen Zuschnitts?
„Ich
halte das für problematisch. Wir müssen die Lage nüchtern betrachten, die Schwächen,
die Porbleme, es sind noch immer teils ungelöste Probleme, das ist richtig, die müssen
auch angegangen werden. Aber ich sehe nicht, dass wir auf einer Rutschpartie sind,
bei der es kein Halten mehr gibt. Im Gegenteil, es gibt sehr wohl Möglichkeiten der
Stabilisierung, es laufen ja auch schon eine Reihe von Maßnahmen. Diesen Pessimismus
halte ich für falsch, das ist eine gefährliche emotionale Ansteckung.“