Liberia: Die Menschen können wieder ruhig schlafen
Charles Taylor ist
verurteilt: Das UNO-Sondertribunal in Den Haag befand den früheren Präsidenten von
Liberia am Mittwoch für schuldig in allen elf Anklagepunkten. Er habe Beihilfe zu
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geleistet, habe auch andere
zu solchen Verbrechen angestiftet, habe Rebellen im Nachbarland Sierra Leone mit Waffen
unterstützt und dafür gesorgt, dass diese Kindersoldaten rekrutierten und Tausende
Menschen ermordeten. Damit ist Taylor seit den Nürnberger Prozessen das erste Ex-Staatsoberhaupt,
das von einem internationalen Gericht verurteilt worden ist.
„Ich begrüße
den Schuldspruch gegen Charles Taylor sehr“, sagt Chefanklägerin Brenda Hollis. „Das
ist ein Sieg in dem sehr wichtigen Kampf gegen die Straflosigkeit!“ Der Verteidiger
Taylors hält dem entgegen: „Das Gericht stützt sich vor allem auf das Material, das
der Angeklagte selbst zusammengestellt hat.“ Den Richtern sei es in den letzten vier
Jahren nicht gelungen, eine direkte Verwicklung Taylors in die von den Rebellen verübten
Grausamkeiten zu beweisen.
Das Strafmaß muss der Sondergerichtshof noch festlegen,
am 30. Mai wird es verkündet; Taylor droht lebenslange Haft. Alex Vines hat früher
die UNO-Sanktionen gegen Liberia überwacht und arbeitet jetzt als Afrika-Experte bei
einem Londoner Think-Tank. Er meint: „Er hat schon ziemlich lange in Untersuchungshaft
gesessen, das wird ihm sicher angerechnet. Und wir werden erst noch sehen, wie sehr
die Anklage die Richter überzeugt hat. Wenn Taylor nur eine kurze Gefängnisstrafe
bekommt, kann er natürlich theoretisch wieder die politische Bühne in Westafrika betreten.“
Vines ist frustriert – nicht weil es so lange bis zum Schuldspruch gedauert hat, sondern
weil die Anklageerhebung gegen Taylor aus seiner Sicht im falschen Moment kam: „Wir
hatten damals Friedensgespräche, in Ghana, als die Chefanklägerin die Anklage öffentlich
machte – in einem Moment, wo es so aussah, als würde Taylor das Land verlassen. Wir
hätten uns damals noch viel Gewalt in Sierra Leone ersparen können – das Timing einer
Anklageerhebung hat politische Implikationen!“
„Wer selbst das Drama des Bürgerkriegs
in Sierra Leone erlebt hat, für den ist das zwar ein Schritt hin zur Gerechtigkeit,
aber noch nichts Definitives.“ Das sagt unser Radio-Vatikan-Afrika-Experte, Pater
Giulio Albanese. „In Freetown wie in Monrovia weiß doch jeder, dass Taylor – und nicht
nur er allein – von ausländischen Mächten unterstützt worden ist, die vor allem am
Diamantengeschäft interessiert waren. Aber das ist eine andere Geschichte...“ Die
Rebellen in Sierra Leone – so die Anklage in Den Haag – zahlten Taylors Waffenlieferungen
mit Blutdiamanten, an denen sich der liberianische Präsident bereicherte.
Mit
großer Erleichterung nehmen das katholische Hilfswerk MISEREOR und seine Partner in
Liberia den Schuldspruch für Taylor auf. „Dies ist ein guter Tag für die Menschen
in Sierra Leone und Liberia und ein wichtiger Beitrag für den Friedensprozess und
die Wiederversöhnung in dieser westafrikanischen Region.“ Das sagt Bischof Andrew
Karnley vom Bistum Cape Palmas aus Liberia. Von Den Haag gehe „eine starke Botschaft
an alle Despoten und Gewaltherrscher dieser Welt aus, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit von Staatschefs nicht ungesühnt bleiben dürfen“. Wichtig
sei jetzt, dass Taylor „nicht nur für die Verbrechen in Sierra Leone verurteilt wird,
sondern auch für das große Leid, dass er den Menschen in Liberia zugefügt hat“, so
der Bischof. Er sei sich „sicher, dass die Menschen in meiner Heimat heute sehr gut
schlafen werden“.
Liberias Bürgerkrieg, der elf Jahre lang bis 2001 wütete,
hinterlässt über 120.000 Tote und Tausende ehemaliger Kindersoldaten, darunter auch
viele Mädchen. Die meisten von ihnen leiden noch heute unter ihren schrecklichen Erlebnissen.
MISEREOR unterstützt in Liberia die Diözese Gbarnga bei ihrem Engagement für die traumatisierten
Kinder und Jugendlichen. Sie bietet ihnen eine Ausbildung als Schreiner, Maurer, Schneider
oder Automechaniker und verhilft ihnen damit zu einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Des weiteren unterstützt MISEREOR die Bemühungen für Frieden und Versöhnung der liberianischen
Bischofskonferenz. Das Hilfswerk hofft, dass der Schuldspruch aus Den Haag auch ein
Signal für den Senegal ist, dem Ex-Präsidenten des Tschads Hissène Habré dort den
Prozess zu eröffnen. In unserem Audio-Angebot hören Sie u.a. ein Interview
von diesem Freitag mit Vincent Neussl von misereor. Klicken Sie dazu auf ein Audio-Symbol
oben rechts.