Fünfzig Religionsvertreter
und Politiker haben im nordirakischen Kirkuk eine Petition gegen Gewalt unterzeichnet.
Die Einladung dazu war vom Erzbischof von Kirkuk, Louis Sako, ausgegangen. Die unterzeichnenden
Religionsführer und Politiker verpflichteten sich in der Petition zu mehr vertrauensbildenden
Maßnahmen und gemeinsamen Aktionen gegen Gewalt. Zugleich wurde auch ein lokales Komitee
eingesetzt, das für die Begleitung und Durchsetzung der Maßnahmen verantwortlich zeichnen
soll. Im Irak wurden seit dem Sturz Saddam Husseins und dem – inzwischen beendeten
– Einmarsch US-amerikanischer Truppen 1.000 Christen ermordet, 400.000 haben Land
verlassen, sagte Erzbischof Sako. Die Zahl der Christen habe sich damit halbiert.
Hinter den Attentaten gegen die Christen stünden drei Gruppen, so der Erzbischof:
Kriminelle, denen es vor allem um Lösegeld für entführte Personen geht; politisch
motivierte Gruppen, die im komplexen Streit zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten
ihr Süppchen kochen, sowie religiöse Fundamentalisten. Die aus Saudi Arabien kommenden
und im Irak bereits sehr stark vertretenen Wahabiten schätze der Erzbischof als große
Gefahr ein.
Vereinzelt würden Imame in der Moschee Attentate verurteilen, so
Sako weiter. Das genüge aber bei weitem nicht. Hilfreich wäre aus seiner Sicht aber
eine Fatwa, also ein religiöses Gutachten, das in Form einer offiziellen Stellungnahme
Bürger jeder Religion vor Terrorismus schützt. Diese Fatwa sollte „religiös argumentieren,
sie sollte sagen, Terror ist vom islamischen Standpunkt her eine Sünde gegen Gott
und die Menschen“, so Sako. Manche Leute im Irak dächten, die breite Mehrheit befürworte
Attentate; genaus deshalb brauche es eine solche offizielle muslimische Stellungnahme;
sie sei freilich nicht in Sicht, räumte der Erzbischof ein.
Die Meinung, dass
die Teilung des Irak in einen kurdischen, sunnitischen und schiitischen Teil die beste
politische Lösung sei, teile er nicht, so der Erzbischof. Wenn es aber dazu kommt,
müssten sich die Christen in allen neuen Staaten bemühen, einen politisch und gesellschaftlich
wichtigen Faktor zu spielen, sagte Sako gegenüber „kathpress“ in Kirkuk.
Wie
fragil die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen sind und wie sehr Unstimmigkeiten
von Terroristen ausgenutzt werden, erläuterte Sako am Beispiel der „Regensburger Rede"
von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006. Er habe wenige Stunden, nachdem er von der Rede
erfahren hatte, an die muslimischen Autoritäten von Kirkuk einen Brief verfasst, in
dem er die Position des Papstes erklärte und unterstrich, dieser habe nicht gegen
den Islam gesprochen. Nichtsdestotrotz sei vor einer Kirche in Kirkuk eine Bombe explodiert,
wobei ein 14-jähriger Ministrant ums Leben gekommen war.
Nach Ansicht des Erzbischofs
braucht der Irak den Aufbau einer zivilen säkularen Gesellschaft. Die Klassifizierung
der Menschen nach Religionszugehörigkeit oder Ethnie müsse vom Bewusstsein der gemeinsamen
irakischen Staatsbürgerschaft überwunden werden. Der zentrale Schlüssel dafür sei
mehr Bildung. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf das neue Schulprojekt in
der von ihm betreuten Pfarre in Kirkuk. In unmittelbarer Nähe zum Bischofshaus und
zur Kathedrale von Kirkuk hat die Kirche einen Kindergarten eingerichtet, der von
rund 80 Kindern besucht wird. Rund zehn Prozent davon sind Muslime. Es gehe darum,
von klein auf Dialog, Respekt und Versöhnung einzuüben, so Sako. Im September 2012
wird im gleichen Gebäude auch eine Volksschule eröffnet, die ebenfalls Kindern beider
Religionen offen steht.
Enttäuscht zeigte sich Sako über die mangelnde Umsetzung
der Ergebnisse der Nahostsynode im Vatikan. Bisher hätten die irakischen Bischöfe
„genau gar nichts" davon umgesetzt. Dabei sei die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen
in diesem muslimischen Land eine überlebensnotwendige Aufgabe, damit die Christen
eine Zukunft hätten.