2012-04-19 16:39:57

Norwegen: „Ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen“


RealAudioMP3 In Norwegen hat der Prozess gegen den Massenmörder Breivik unter großer medialer Anteilnahme begonnen. Im domradio.de-Interview analysiert der Kriminalpsychologe und Traumaexperte Christian Lüdke die Bedeutung für die Hinterbliebenen, den Auftritt des Attentäters und die Rolle der Medien.

„Der Prozess bedeutet für die Angehörigen zweierlei: Zum einen bekommt dieses traumatische Ereignis endlich einen Abschluss; sie können mit einer Verurteilung beginnen, ihren inneren Seelenfrieden wiederzufinden und das Ganze zu verarbeiten. Auf der anderen Seite bedeutet dieser Prozess für die Angehörigen auch eine absolute Zumutung, indem man dem Täter dort die Gelegenheit gibt, sich zu präsentieren und selber zu inszenieren. Damit werden viele der Angehörigen erneut zum Opfer gemacht. Das ist ein Schlag in ihr Gesicht.“

Wichtig ist der Prozess - aber auch hart. Hart durch die Art der Inszenierung des Täters. Gestern hob er gleich den Arm zum provozierenden Gruß. Was geht da in den Angehörigen vor?

Für die Opfer ist das eine absolute Verhöhnung, eine Entwürdigung. Es ist absolut respektlos, so aufzutreten; im Grunde genommen sich selber als Narzisst im Vordergrund zu sehen. Breivik, der ein antisozialer Täter ist und keine Gefühle kennt, kennt nur sich selbst. Für die Opfer ist das besonders schlimm, den Täter so zu erleben.“

Eine falsche Prozessführung?

Die Prozessführung erfolgt vor dem Hintergrund juristischer Gegebenheiten. Allerdings sollte man hier in erster Linie auch die Bedürfnisse der Opfer schützen, d.h. man sollte ihnen Vieles ersparen, Einiges sollten sich die Richter und Staatsanwälte alleine anhören. Und man sollte dem Täter möglichst wenig Spielraum geben; ihm keine Bühne verschaffen, auf der er sich dann mit seinen krankhaften Vorstellungen und Phantasien weiter präsentieren kann.“

Es gibt Überlegungen, dass Opfer und Angehörige noch einmal zur Insel fahren und sich dort ihren Ängsten stellen. Was halten Sie von dieser Idee?

„Für viele Angehörige ist es wichtig, dass sie noch mal an den Ort fahren, wo ihre Kinder die letzten Minuten und Sekunden ihres Lebens verbracht haben. Die Eltern wollen ihnen dadurch noch mal sehr nahe sein, sie wollen es miterleben und mitspüren. Für viele Angehörige und Eltern ist es das Einzige, was sie noch für ihre Kinder tun können; sie sind es ihnen schuldig, diesen Ort aufzusuchen - und dann auch diesen Ort durchzustehen.“

Andererseits hört man, dass viele einfach nur vergessen wollen, es gibt wohl im Internet auf verschiedenen Seiten eine Art "Terrorknopf". Wenn man auf den klickt, dann verschwinden alle Nachrichten rund um das Thema. Ist das eine gute Methode?

Es ist für manche Betroffene wichtig, erst mal ganz viel Ruhe und Abstand zu bekommen, keine Nachrichten dazu mehr zu hören und zu lesen, weil der Schmerz einfach zu tief sitzt. Eltern, die ihre Kinder dort verloren haben, haben das Schlimmste erlebt, was Eltern passieren kann. Denn es werden zwei Lebensgesetze gebrochen: Die Kinder sterben vor den Eltern, und die Kinder sterben eines nicht natürlichen Todes. Eltern, die so etwas erleben, sind im Grunde genommen untröstlich Von daher kann es manchmal wichtig sein, wirklich alle Informationen auszublenden, um nicht immer weiter und noch tiefer in diesen Schmerz hineinzugeraten.“

Viele kritisieren das zu hohe mediale Interesse, auch jetzt an dem Prozess. Wie schätzen Sie das ein, hilft das den Opfern und Angehörigen, oder macht es alles noch viel schwerer zu ertragen?

„Die mediale Berichterstattung ist wichtig, um Hintergründe aufzuklären, auch um vielleicht einen Beitrag zu leisten, solche grauenvollen Taten zukünftig zu verhindern. Allerdings sollte in der Berichterstattung nicht nur der Täter im Vordergrund stehen, sondern die Interessen der Opfer sollten gewahrt werden; es sollte in vielen Bereichen einfach auch sachlich erfolgen. Vieles, was die Opfer erneut kränken könnte oder sie weiter schmerzhaft treffen würde, sollte man ausblenden.“

(domradio 19.04.2012 cs)







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