Norwegen: Mediale Selbstinszenierung und Faszination des Bösen
Der Prozess gegen
den norwegischen Attentäter Anders Breivik wird in diesen Tagen unter großer medialer
Anteilnahme in Oslo geführt. Dabei bleibt nicht verborgen, dass der Attentäter in
die Tat umzusetzen versucht, was er in seinem kruden Manifest bereits angekündigt
hat: Die Propaganda werde mit seiner Festnahme beginnen. Nachdem Fernseh-Kameras am
ersten Tag des Verfahrens am Montag Live-Bilder aus dem Gerichtssaal gesendet hatten,
wurden diese vom zweiten Prozesstag an verbannt. Wie und wie viel aus dem Gericht
berichtet werden sollte, wird heftig debattiert, auch unter den Journalisten vor Ort.
Wir haben mit Alexander Filipovic gesprochen, Professor für christliche Sozialethik
und Medienethik an der Universität Münster.
„Die Monstrosität dieser Tat,
verpflichtet wohl jeden Journalisten dazu, darüber zu berichten. Dazu kommt, dass
das norwegische Gericht sich entschieden hat, eine möglichst große Transparenz in
diesem Verfahren anzuwenden, so dass sich sehr viele Journalisten akkreditiert haben.
Es läuft tatsächlich non-stop. Es ist natürlich eine Nachricht an sich, was da passiert
ist, aber es ist auch die Faszination des Bösen, das plötzlich ein Gesicht bekommt.
Jetzt sind die Medien in der Verantwortung darüber zu entscheiden, wie im Detail darüber
berichtet wird, gibt man ihm eine Bühne, indem man offen berichtet, oder versucht
man es zu regulieren, damit man ihm nicht auf den Leim geht.“
Die aktuelle
Berichterstattung scheint jedoch vor allem von Sensationalismus geprägt zu sein, viele
Medien bieten auf ihren Internetseiten Live-Ticker, die non-stop und unkommentiert
die Ereignisse berichten und dem Attentäter damit gerade das Forum liefern, das er
selbst gesucht hat. Das könne auch als Respektlosigkeit gegenüber den Opfern ausgelegt
werden, so Filipovic:
„Man muss vorsichtig sein, denn Breivik hat in seinem
Manifest auch geschrieben, dass die Phase der Propaganda dann beginnt, wenn er festgenommen
ist, und er hat auch gesagt, Terror ist Theater, so dass klar ist, was er bezweckt
und wie er diesen Prozess nutzen will. Auf der anderen Seite muss man aber sagen,
dass das Kriterium eines öffentlichen Gerichtsprozesses vielleicht stärker wiegt.
Nicht nur hat jeder Mensch ein Recht auf öffentliche Anhörung, sondern ein Gerichtsverfahren
muss öffentlich sein, damit die Öffentlichkeit Anteil nimmt und auch kontrollieren
kann, was da passiert.“
Dabei gibt es aber laut Filipovic auch gewisse
Grenzen, die ein Journalist nicht überschreiten sollte:
„Es gibt ja auch
bestimmte no-comment Sendungen, wo live und ohne Kommentar berichtet wird. Das ist
nicht ganz angemessen. Der Journalismus hat nicht nur die Aufgabe, über die wesentlichen
Nachrichten zu informieren, sondern auch das, was dort passiert, einzuordnen und zu
bewerten, das heißt mit Kommentar und Meinung zu versehen. Es muss eine Öffentlichkeit
hergestellt werden und zur Meinungsbildung beigetragen werden, was eine Doppelfunktion
ist. Eine bloße unkommentierte Wiedergabe von dem, was da passiert, sei es live oder
in Form von Newstickern, da würde ich sagen, das ist nicht unbedingt notwendig.“
Dem
Angriff auf die offene Gesellschaft durch Breivik, so Filipovic, sei am besten durch
weitere Öffnung zu begegnen. Die Ideologie, derer sich der Attentäter bediene, fuße
auf einer ultranationalistischen und islamfeindlichen Ideologie, die man nur mit einer
öffentlichen Diskussion bekämpfen könne:
„Die Augen zu verschließen und
nicht zu berichten, weil man Angst hat, dass es Anschlusstäter gibt, das glaube ich
ist nicht der richtige Weg, sondern verantwortungsvoll, einordnend und bewertend über
diesen Prozess zu berichten. Das heißt, weniger über die Inszenierungen und Selbstdarstellungen
dieses Menschen, sondern über den Prozess und die Möglichkeiten, die eine Gesellschaft
hat, so etwas zu verhindern, zu berichten. Das scheint mir ein guter Weg zu sein.“
Ähnlich
analysiert der Kriminalpsychologe und Traumaexperte Christian Lüdke im Kölner Domradio
die Situation. Opferschutz und mediale Berichterstattung, die zu einem rechtstaatlichen
Prozess gehöre, müssten ausgewogen bleiben:
„Die mediale Berichterstattung
ist wichtig, um Hintergründe aufzuklären, auch um vielleicht einen Beitrag zu leisten,
solche grauenvollen Taten zukünftig zu verhindern. Allerdings sollte in der Berichterstattung
nicht nur der Täter im Vordergrund stehen, sondern die Interessen der Opfer sollten
gewahrt werden; es sollte in vielen Bereichen einfach auch sachlich erfolgen. Vieles,
was die Opfer erneut kränken könnte oder sie weiter schmerzhaft treffen würde, sollte
man ausblenden.“