2012-04-18 15:19:33

Norwegen: Mediale Selbstinszenierung und Faszination des Bösen


RealAudioMP3 Der Prozess gegen den norwegischen Attentäter Anders Breivik wird in diesen Tagen unter großer medialer Anteilnahme in Oslo geführt. Dabei bleibt nicht verborgen, dass der Attentäter in die Tat umzusetzen versucht, was er in seinem kruden Manifest bereits angekündigt hat: Die Propaganda werde mit seiner Festnahme beginnen. Nachdem Fernseh-Kameras am ersten Tag des Verfahrens am Montag Live-Bilder aus dem Gerichtssaal gesendet hatten, wurden diese vom zweiten Prozesstag an verbannt. Wie und wie viel aus dem Gericht berichtet werden sollte, wird heftig debattiert, auch unter den Journalisten vor Ort. Wir haben mit Alexander Filipovic gesprochen, Professor für christliche Sozialethik und Medienethik an der Universität Münster.

„Die Monstrosität dieser Tat, verpflichtet wohl jeden Journalisten dazu, darüber zu berichten. Dazu kommt, dass das norwegische Gericht sich entschieden hat, eine möglichst große Transparenz in diesem Verfahren anzuwenden, so dass sich sehr viele Journalisten akkreditiert haben. Es läuft tatsächlich non-stop. Es ist natürlich eine Nachricht an sich, was da passiert ist, aber es ist auch die Faszination des Bösen, das plötzlich ein Gesicht bekommt. Jetzt sind die Medien in der Verantwortung darüber zu entscheiden, wie im Detail darüber berichtet wird, gibt man ihm eine Bühne, indem man offen berichtet, oder versucht man es zu regulieren, damit man ihm nicht auf den Leim geht.“

Die aktuelle Berichterstattung scheint jedoch vor allem von Sensationalismus geprägt zu sein, viele Medien bieten auf ihren Internetseiten Live-Ticker, die non-stop und unkommentiert die Ereignisse berichten und dem Attentäter damit gerade das Forum liefern, das er selbst gesucht hat. Das könne auch als Respektlosigkeit gegenüber den Opfern ausgelegt werden, so Filipovic:

„Man muss vorsichtig sein, denn Breivik hat in seinem Manifest auch geschrieben, dass die Phase der Propaganda dann beginnt, wenn er festgenommen ist, und er hat auch gesagt, Terror ist Theater, so dass klar ist, was er bezweckt und wie er diesen Prozess nutzen will. Auf der anderen Seite muss man aber sagen, dass das Kriterium eines öffentlichen Gerichtsprozesses vielleicht stärker wiegt. Nicht nur hat jeder Mensch ein Recht auf öffentliche Anhörung, sondern ein Gerichtsverfahren muss öffentlich sein, damit die Öffentlichkeit Anteil nimmt und auch kontrollieren kann, was da passiert.“

Dabei gibt es aber laut Filipovic auch gewisse Grenzen, die ein Journalist nicht überschreiten sollte:

„Es gibt ja auch bestimmte no-comment Sendungen, wo live und ohne Kommentar berichtet wird. Das ist nicht ganz angemessen. Der Journalismus hat nicht nur die Aufgabe, über die wesentlichen Nachrichten zu informieren, sondern auch das, was dort passiert, einzuordnen und zu bewerten, das heißt mit Kommentar und Meinung zu versehen. Es muss eine Öffentlichkeit hergestellt werden und zur Meinungsbildung beigetragen werden, was eine Doppelfunktion ist. Eine bloße unkommentierte Wiedergabe von dem, was da passiert, sei es live oder in Form von Newstickern, da würde ich sagen, das ist nicht unbedingt notwendig.“

Dem Angriff auf die offene Gesellschaft durch Breivik, so Filipovic, sei am besten durch weitere Öffnung zu begegnen. Die Ideologie, derer sich der Attentäter bediene, fuße auf einer ultranationalistischen und islamfeindlichen Ideologie, die man nur mit einer öffentlichen Diskussion bekämpfen könne:

„Die Augen zu verschließen und nicht zu berichten, weil man Angst hat, dass es Anschlusstäter gibt, das glaube ich ist nicht der richtige Weg, sondern verantwortungsvoll, einordnend und bewertend über diesen Prozess zu berichten. Das heißt, weniger über die Inszenierungen und Selbstdarstellungen dieses Menschen, sondern über den Prozess und die Möglichkeiten, die eine Gesellschaft hat, so etwas zu verhindern, zu berichten. Das scheint mir ein guter Weg zu sein.“

Ähnlich analysiert der Kriminalpsychologe und Traumaexperte Christian Lüdke im Kölner Domradio die Situation. Opferschutz und mediale Berichterstattung, die zu einem rechtstaatlichen Prozess gehöre, müssten ausgewogen bleiben:

„Die mediale Berichterstattung ist wichtig, um Hintergründe aufzuklären, auch um vielleicht einen Beitrag zu leisten, solche grauenvollen Taten zukünftig zu verhindern. Allerdings sollte in der Berichterstattung nicht nur der Täter im Vordergrund stehen, sondern die Interessen der Opfer sollten gewahrt werden; es sollte in vielen Bereichen einfach auch sachlich erfolgen. Vieles, was die Opfer erneut kränken könnte oder sie weiter schmerzhaft treffen würde, sollte man ausblenden.“

(rv 18.04.2012 cs)








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