2012-04-17 13:49:29

Kardinal Koch über Ratzinger-Theologie: Erst Christus, dann Glaubenssätze


RealAudioMP3 Zuerst kommt die Freundschaft mit Christus, dann kommen die Glaubenssätze. In diese Grundaussage lässt sich das theologische Denken Joseph Ratzingers fassen, sagt im Gespräch mit uns Kardinal Kurt Koch. Der Präsident des päpstlichen Einheitsrates, selbst Dogmatiker wie seinerzeit auch Professor Ratzinger, stellte vor einiger Zeit mit seinem Buch „Das Geheimnis des Senfkorns“ die Grundzüge des theologischen Denkens bei Papst Benedikt vor. Gudrun Sailer hat anlässlich des siebten Jahrestags der Wahl Papst Benedikts zum Nachfolger Petri mit Kardinal Koch gesprochen.

„Ich würde grundsätzlich sagen, dass der Heilige Vater mit seiner Theologie nicht originell sein will. Das ist die Grundversuchung der Theologie heute, jeder will möglichst originell sein, und dann haben wir eine Menge Genitiv-Theologien. Der Heilige Vater orientiert sich an der wahren Originalität der Theologie, nämlich am Glauben der Kirche, und er will im Grund mitglauben mit der Glaubensgemeinschaft der Kirche. Seine Theologie will ein Dienst sein, die christliche Offenbarung dem Menschen heute verständlich zu machen.“

Aber war nicht schon der frühe Universitätsprofessor Joseph Ratzinger frisch, auf gewisse Weise neu und deswegen so brillant?

„Ganz sicher, er hat neue Wege geöffnet, er war sehr geprägt von personalistischem Denken in der Philosophie, und seine Theologie ist eine sehr personalistische Theologie, das zeigt sich vor allem im Verständnis der Offenbarung. Offenbarung ist für den Heiligen Vater in erster Linie der Akt, in dem Gott sich dem Menschen zuwendet, und dann erst in zweiter Linie die Sätze, die Glaubenssätze. Deshalb ist ein Kernwort seiner Verkündigung und seiner Theologie das Wort Freundschaft. Es braucht eine Beziehung mit dem auferstandenen Christus.“

Ratzinger hat ganze Generationen von Theologen geprägt, auch Sie. Wenn wir heute uns die Lage an den theologischen Fakultäten in Europa ansehen, wie wird er heute rezipiert?

„Es gibt viele, die aus der Theologie des Heiligen Vaters leben, die davon geprägt worden sind. Es gibt natürlich auch das andere, dass man ihn ablehnt. Es gab eine gewisse Zeit an theologischen Hochschulen, da durfte man Ratzinger gar nicht zitieren, wenn man im Examen bestehen wollte. Ich glaube, das hat sich durch das Papsttum geändert, weil viele Leute jetzt zur Kenntnis nehmen, was die Theologie des Heiligen Vaters ist und da muss man natürlich auch die Theologen ein bisschen vorsichtiger sein, was sie über ihn sagen. Und das ist nur gut.“

Ratzinger war von früh an praktisch nur im Nebenberuf Theologe, weil er bald hohe und immer höhere Verantwortung in der kirchlichen Hierarchie bekommen hat. Wie hat sich dieses In-der-Kirche-Sein und Für-die-Kirche-Sein in seiner Theologie niedergeschlagen?

„Ich kann ein bisschen nachvollziehen, was das für ihn bedeutet hat, weil ich auch lieber Theologe geblieben wäre als Bischof zu werden! Aber wichtig ist einfach einmal, was man bei der Priesterweihe versprochen hat: adsum [hier bin ich]. Die Theologie ist eine Berufung, wenn aber ein Ruf kommt, eine andere Aufgabe in der Kirche wahrzunehmen, muss man sich an die Priesterweihe erinnern und an das Versprechen, das man gegeben hat. Aber ich sehe beim Heiligen Vater da keinen Wandel. Er war schon als Professor eigentlich Konfessor, also Bekenner, der Zeugnis abgelegt hat vom Glauben, und das theologisch reflektiert hat. Heute steht natürlich eher das Bekenntnis im Vordergrund, aber er will natürlich auch das Rechenschaft-Ablegen über den Glauben heute theologisch verantwortet tun.“

Die Tatsache, dass wir in Benedikt XVI. einen großen Theologen-Papst haben, hat das innerhalb der Kirche etwas verändert, hat es die Sicht auf Theologie verändert?

„Ich glaube schon, dass sich das Hauptanliegen des HeiligenVaters durchgesetzt hat, dass wahrgenommen worden ist, dass die Kirche in der Tat eine Neuerung, eine Reform braucht, aber dass diese Reform nur von innen her kommt, aus der Herzmitte des Glaubens heraus kommt. Der Heilige Vater hat in der Chrisammesse auch davon gesprochen, dass es so etwas wie einen religiösen Analphabetismus gibt. Das ist in der Tat ein ganz großes Problem in der Kirche, dass viele den Glauben heute gar nicht mehr kennen, und dass es da sein Hauptanliegen ist, den Glauben zu vertiefen und von daher eine Neuevangelisierung einzuleiten, das ist schon angenommen worden.“

Ökumene ist eine seiner Prioritäten als Papst. Ein Rückblick auf die ökumenischen Entwicklungen in sieben Jahren?

„Es ist in der Tat so, dass die Ökumene für ihn ein Herzensanliegen ist, aber das kann ja auch nicht anders sein, wenn jemand ganz in der Nachfolge Christi steht, folgt er natürlich dem Willen nach Einheit, wie ihn Jesus in seinem hohepriestesrlichen Gebet ausgesprochen hat. Gerade die Interpretation des hohepriesterliechen Gebetes im zweiten Teil des Jesusbuches zeigt ja, wie sehr die Ökumene des Papstes christologisch fundiert ist. Ich denke, das ist der sehr starke Akzent, den er der Ökumene gegeben hat: Konzentration auf die Person Jesu, die Ökumene wird dann in die Breite wachsen, wenn sie in die Tiefe wächst.“

Papst Benedikt ist 85. Welche seiner Entscheidungen und Schwerpunkte werden ihn überdauern?

„Ich hoffe, dass ihn sehr viel überdauern wird, vor allem diese grundsätzlichen Akzente, die er gesetzt hat, das in den Mittelpunkt Stellen der Gottesfrage, dass die Kirchenfrage sekundär ist, dass in erster Linie die Gottesfrage im Vordergrund steht, wie das eigentlich das Konzil gewünscht hat – Lumen gentium ist nicht die Kirche, sondern ist Jesus Christus und die Aufgabe der Kirche besteht darin, dieses Licht in die Welt zu tragen, was die Kirchenväter sehr schön gesagt haben: Sie haben die Kirche mit dem Mond verglichen. Wie der Mond kein anderes Licht hat als das, das er von der Sonne empfängt, so hat auch die Kirche kein anderes Licht als das, das sie von Christus empfängt, und das muss sie in die Welt tragen. Wir müssen etwas wie eine lunare Ekklesiologie vertiefen und weitertragen, in der die Kirche sich damit zufrieden gibt, der Mond zu sein und nicht selber die Sonne zu sein.“

(rv 17.04.2012 gs)








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