Kardinal Koch über Ratzinger-Theologie: Erst Christus, dann Glaubenssätze
Zuerst kommt die Freundschaft
mit Christus, dann kommen die Glaubenssätze. In diese Grundaussage lässt sich das
theologische Denken Joseph Ratzingers fassen, sagt im Gespräch mit uns Kardinal Kurt
Koch. Der Präsident des päpstlichen Einheitsrates, selbst Dogmatiker wie seinerzeit
auch Professor Ratzinger, stellte vor einiger Zeit mit seinem Buch „Das Geheimnis
des Senfkorns“ die Grundzüge des theologischen Denkens bei Papst Benedikt vor. Gudrun
Sailer hat anlässlich des siebten Jahrestags der Wahl Papst Benedikts zum Nachfolger
Petri mit Kardinal Koch gesprochen.
„Ich würde grundsätzlich sagen, dass der
Heilige Vater mit seiner Theologie nicht originell sein will. Das ist die Grundversuchung
der Theologie heute, jeder will möglichst originell sein, und dann haben wir eine
Menge Genitiv-Theologien. Der Heilige Vater orientiert sich an der wahren Originalität
der Theologie, nämlich am Glauben der Kirche, und er will im Grund mitglauben mit
der Glaubensgemeinschaft der Kirche. Seine Theologie will ein Dienst sein, die christliche
Offenbarung dem Menschen heute verständlich zu machen.“
Aber war nicht
schon der frühe Universitätsprofessor Joseph Ratzinger frisch, auf gewisse Weise neu
und deswegen so brillant?
„Ganz sicher, er hat neue Wege geöffnet, er war
sehr geprägt von personalistischem Denken in der Philosophie, und seine Theologie
ist eine sehr personalistische Theologie, das zeigt sich vor allem im Verständnis
der Offenbarung. Offenbarung ist für den Heiligen Vater in erster Linie der Akt, in
dem Gott sich dem Menschen zuwendet, und dann erst in zweiter Linie die Sätze, die
Glaubenssätze. Deshalb ist ein Kernwort seiner Verkündigung und seiner Theologie das
Wort Freundschaft. Es braucht eine Beziehung mit dem auferstandenen Christus.“
Ratzinger
hat ganze Generationen von Theologen geprägt, auch Sie. Wenn wir heute uns die Lage
an den theologischen Fakultäten in Europa ansehen, wie wird er heute rezipiert?
„Es
gibt viele, die aus der Theologie des Heiligen Vaters leben, die davon geprägt worden
sind. Es gibt natürlich auch das andere, dass man ihn ablehnt. Es gab eine gewisse
Zeit an theologischen Hochschulen, da durfte man Ratzinger gar nicht zitieren, wenn
man im Examen bestehen wollte. Ich glaube, das hat sich durch das Papsttum geändert,
weil viele Leute jetzt zur Kenntnis nehmen, was die Theologie des Heiligen Vaters
ist und da muss man natürlich auch die Theologen ein bisschen vorsichtiger sein, was
sie über ihn sagen. Und das ist nur gut.“
Ratzinger war von früh an praktisch
nur im Nebenberuf Theologe, weil er bald hohe und immer höhere Verantwortung in der
kirchlichen Hierarchie bekommen hat. Wie hat sich dieses In-der-Kirche-Sein und Für-die-Kirche-Sein
in seiner Theologie niedergeschlagen?
„Ich kann ein bisschen nachvollziehen,
was das für ihn bedeutet hat, weil ich auch lieber Theologe geblieben wäre als Bischof
zu werden! Aber wichtig ist einfach einmal, was man bei der Priesterweihe versprochen
hat: adsum [hier bin ich]. Die Theologie ist eine Berufung, wenn aber ein Ruf kommt,
eine andere Aufgabe in der Kirche wahrzunehmen, muss man sich an die Priesterweihe
erinnern und an das Versprechen, das man gegeben hat. Aber ich sehe beim Heiligen
Vater da keinen Wandel. Er war schon als Professor eigentlich Konfessor, also Bekenner,
der Zeugnis abgelegt hat vom Glauben, und das theologisch reflektiert hat. Heute steht
natürlich eher das Bekenntnis im Vordergrund, aber er will natürlich auch das Rechenschaft-Ablegen
über den Glauben heute theologisch verantwortet tun.“
Die Tatsache, dass
wir in Benedikt XVI. einen großen Theologen-Papst haben, hat das innerhalb der Kirche
etwas verändert, hat es die Sicht auf Theologie verändert?
„Ich glaube
schon, dass sich das Hauptanliegen des HeiligenVaters durchgesetzt hat, dass wahrgenommen
worden ist, dass die Kirche in der Tat eine Neuerung, eine Reform braucht, aber dass
diese Reform nur von innen her kommt, aus der Herzmitte des Glaubens heraus kommt.
Der Heilige Vater hat in der Chrisammesse auch davon gesprochen, dass es so etwas
wie einen religiösen Analphabetismus gibt. Das ist in der Tat ein ganz großes Problem
in der Kirche, dass viele den Glauben heute gar nicht mehr kennen, und dass es da
sein Hauptanliegen ist, den Glauben zu vertiefen und von daher eine Neuevangelisierung
einzuleiten, das ist schon angenommen worden.“
Ökumene ist eine seiner Prioritäten
als Papst. Ein Rückblick auf die ökumenischen Entwicklungen in sieben Jahren?
„Es
ist in der Tat so, dass die Ökumene für ihn ein Herzensanliegen ist, aber das kann
ja auch nicht anders sein, wenn jemand ganz in der Nachfolge Christi steht, folgt
er natürlich dem Willen nach Einheit, wie ihn Jesus in seinem hohepriestesrlichen
Gebet ausgesprochen hat. Gerade die Interpretation des hohepriesterliechen Gebetes
im zweiten Teil des Jesusbuches zeigt ja, wie sehr die Ökumene des Papstes christologisch
fundiert ist. Ich denke, das ist der sehr starke Akzent, den er der Ökumene gegeben
hat: Konzentration auf die Person Jesu, die Ökumene wird dann in die Breite wachsen,
wenn sie in die Tiefe wächst.“
Papst Benedikt ist 85. Welche seiner Entscheidungen
und Schwerpunkte werden ihn überdauern?
„Ich hoffe, dass ihn sehr viel
überdauern wird, vor allem diese grundsätzlichen Akzente, die er gesetzt hat, das
in den Mittelpunkt Stellen der Gottesfrage, dass die Kirchenfrage sekundär ist, dass
in erster Linie die Gottesfrage im Vordergrund steht, wie das eigentlich das Konzil
gewünscht hat – Lumen gentium ist nicht die Kirche, sondern ist Jesus Christus und
die Aufgabe der Kirche besteht darin, dieses Licht in die Welt zu tragen, was die
Kirchenväter sehr schön gesagt haben: Sie haben die Kirche mit dem Mond verglichen.
Wie der Mond kein anderes Licht hat als das, das er von der Sonne empfängt, so hat
auch die Kirche kein anderes Licht als das, das sie von Christus empfängt, und das
muss sie in die Welt tragen. Wir müssen etwas wie eine lunare Ekklesiologie vertiefen
und weitertragen, in der die Kirche sich damit zufrieden gibt, der Mond zu sein und
nicht selber die Sonne zu sein.“