Am Montag wird Joseph
Ratzinger 85 Jahre alt. Zu denjenigen, die ihn schon lange kennen, gehört Kardinal
Walter Kasper. Radio Vatikan hat ein Interview mit dem langjährigen, inzwischen emeritierten
Präsidenten des Päpstlichen Einheitsrates geführt und wollte zunächst von ihm wissen,
wann er dem heutigen Papst eigentlich das erste Mal begegnet ist.
„Genauer
kennengelernt habe ich ihn 1964, als ich Professor in Münster in Westfalen wurde.
Er war damals auch Professor in derselben katholischen Logenfakultät. Begegnet ist
er mir allerdings schon ein Jahr vorher, bei einer Akademieveranstaltung der Diözesanakademie
in Stuttgart. So ist es fast eine halbes Jahrhundert, das wir uns kennengelernt haben
und uns zunächst als Theologen begegnet sind.“
Erinnern Sie sich noch an
Ihren ersten Eindruck?
„Der erste Eindruck war derselbe, wie wir Joseph
Ratzinger, jetzt Benedikt XVI. heute kennen. Ein sehr stiller gesammelter Mensch,
der sehr bescheiden auftritt, hochbelesen und grundgescheit ist, aber in seinen Aussagen
sehr bestimmt ist. Er spricht eine sehr schöne Sprache, verständlich und ansprechend.
Und so ist er auch geblieben, bis heute.“
Sie kennen ihn als Theologen,
als Erzbischof von München und Freising, als Präfekten in Rom, als Sie selbst Bischof
in Deutschland waren. Dann als Präfekten, als Sie hier in Rom gearbeitet haben, nun
als Papst. Wie ist es, den Papst schon so lange und in so verschiedenen Rollen zu
kennen?
„Gut, es war zunächst natürlich eine Schwierigkeit schon innerhalb
des Konklaves, wenn jeder Kardinal zum Papst vorgeht, ihn begrüßt, man gibt ihm die
Hand und verspricht den Gehorsam. Und da war es für mich die Schwierigkeit, wie soll
ich ihn denn überhaupt anreden, denn wir waren per „Du“ und man kennt sich schon
sehr lange als Kollegen, dann als Bischöfe hier in Rom. Aber er hat es mir dann sehr
leicht gemacht. Seine ersten Worte, die er zu mir gesagt hat, damals noch im Konklave,
waren: Nun müssen wir den Weg der Einheit gemeinsam gehen!
Und als ich ihn
dann später im Vatikan zu einem persönlichen Gespräch getroffen habe, sagte er „wir
belassen es bei dem Du“. Nun, man ist in diesem Moment sehr zurückhaltend, man darf
beim Papst nicht indiskret sein. Ich versuche dies möglichst wenig zu gebrauchen,
aber es ist immer ein sehr persönliches und herzliches Gespräch und eine angenehme
Begegnung.
Wir schätzen uns gegenseitig, ich auf jeden Fall schätze ihn sehr
als Theologen. Wenngleich ich hier und da gelegentlich andere theologische Akzente
gesetzt habe. Aber das ist in der Theologie durchaus etwas Normales, da braucht es
gelegentlich Disputationen. Das gehört sozusagen zum Geschäft der Theologie. Mit einem
Papst führt man selbstverständlich keine öffentliche Disputation. Das tut man nicht,
und es würde dem Amt auch schaden. Das Amt ist zu wichtig, um es zu beschädigen.“
Sie
haben es angesprochen: Diskussion unter Theologen ist normal, sogar wissenschaftlich
gewünscht. Sie haben mit ihm gestritten. Die Frage etwa des Primates der Verschiedenheit
und des Petrus, ich erinnere mich an meine eigenes Theologiestudium. Wie ist das,
mit dem Theologen Joseph Ratzinger zu streiten? Was für eine Art akademische Auseinandersetzung
führt man mit Joseph Ratzinger?
„Zunächst einmal, man führt eine sehr respektvolle
Auseinandersetzung, denn an seiner theologischen Qualität besteht kein Zweifel, ich
selber habe großen Respekt vor seiner theologischen Leistung. Zum anderen führt man
eine Auseinandersetzung auf dem gemeinsamen Boden des katholischen Glaubens, wir sind
beide katholisch, also auf einer gemeinsamen Grundlage. Hier ist eine Auseinandersetzung
etwas Wünschenswertes. Und dann geht es schon zur Sache. Er spricht ja auch eine sehr
deutliche Sprache, und das darf man dann auch wieder unter allem Respekt tun. Es war
aber nie eine Feindseligkeit oder dergleichen zwischen uns. Als Papst ist es eine
völlig andere Sache, zumal als Kardinal hier in Rom ist es einfach unsere Aufgabe,
dem Papst zu helfen, ihn unter Umständen auch einmal aus Situationen herauszuhauen,
das muss man auch tun. Er kann sich ja nicht immer in der gleichen Weise wehren, wie
man das sonst tun kann, da muss man ihm helfen, ihn unterstützen und vielleicht einen
echten Wadenbeißer für ihn machen.“
Nun hat er ja auch als Papst selber
zu Diskussionen eingeladen. Sein Jesus-Buch will er nicht als lehramtliches Dokument
verstanden wissen. Haben Sie mit ihm schon einmal über dieses Buch gesprochen, oder
wissen Sie von Diskussionen, die er selber über dieses Jesus-Buch beziehungsweise
Jesus-Bücher geführt hat?
„Ich habe nie selber mit ihm über dieses Buch
gesprochen. Es hat sehr viel Anerkennung gefunden. Es ist schließlich auch ein Buch,
das auch für Nicht-Fachtheologen lesbar ist, was sehr wichtig ist. Es gibt natürlich
unter den Fachtheologen hier und da unterschiedliche Meinungen, das ist das normalste
der Welt. Im Großen und Ganzen werden die aber sehr sachlich und zurückhaltend geäußert.
Man will einem Papst nicht zu nahe treten, aber auf der anderen Seite schätzt man,
dass er sich überhaupt so auf die Exegese eingelassen hat.
Es ja auch nicht
selbstverständlich, dass sich ein Papst auf die heutige, moderne Exegese einlässt,
sie zitiert und sich damit auseinandersetzt und Position bezieht. Das Buch hat in
sofern schon auch etwas bewirkt, als es eine hypertrophe, überzogene, kritische Einstellung
zurückstutzt. Man kann ja auch die Kritik überziehen.
Gelegentlich braucht
es auch eine Kritik an der Kritik. Das hat er ja auch getan. Vor allem hat er auch
versucht, sich nicht so auf den historischen Jesus zu fixieren, sondern Jesus aus
dem Ganzen des neuen Testaments heraus zu interpretieren. Das ist eine neue Form der
Exegese, eine ganzheitliche, kanonische Exegese innerhalb des Kanons des neuen Testaments,
wie sie vor allem in Amerika entwickelt worden ist. Und in sofern ist er hier auch
schon auf der Höhe der Zeit.“
Das wahrscheinlich prägendste Merkmal an Joseph
Ratzinger, Benedikt XVI. ist das Theologe sein, das kommt immer wieder, auch ein Theologe
der verständlich ist, vor allem mittwochs bei den Generalaudienzen immer wieder hervorkommt.
Wie würden Sie sein Denken beschreiben?
„Es ist ein Denken, das von der
Bibel und den Kirchenvätern herkommt. Es ist entscheidend für ihn, dass aus der ganz
großen weiten Tradition heraus schöpft, sie aber auch zu aktualisieren versteht. Vor
allem geht es ihm, das ist mein Eindruck, um eine spirituelle Vertiefung des Glaubens
und das ist etwas, was mir viele Hörer der Audienz oder der Predigten, der Katechesen
sagen, dass sie diese spirituellen Akzente und diese Tiefe und den Reichtum sehr schätzen.
Also für ihr eigenes religiöses Leben sehr viel mitnehmen. Mir scheint das eines der
Hauptanliegen seines Pontifikats zu sein. Die Vertiefung des Glaubens selber, denn
nur aus einem vertieften Glauben können dann auch sinnvolle Reformen kommen und nicht
der umgekehrte Weg ist möglich.“
Hat sich das in den letzten 50, 55 Jahren
als Theologe bei ihm geändert, oder war das immer schon da?
„Ich denke
das war mehr oder weniger immer schon da. Er war schon immer ein spiritueller, frommer
Mensch. Als Papst kommt natürlich das Pastorale, das Spirituale noch viel mehr zum
Tragen, das Wissenschaftliche tritt in diesem Moment etwas zurück. Das liegt einfach
an der neuen Aufgabe, wo er große Menschenmassen ansprechen muss. Da kann er nicht
als Fachtheologe reden. Aber diese spirituelle Sprache, die auch eine Sprache des
Herzens ist, die versteht er zu sprechen. Er hat auch eine sehr schöne Sprache, übrigens
nicht nur wenn er deutsch spricht, auch das Italiensche ist er sehr reich und vor
allem das Französische, das sagen auch Franzosen zu mir. Er könne viel besser französisch
als manche Franzosen es können. Er ist sehr ausdrucksfähig und das spricht dann schon
sehr an.“
Er ist jetzt 85 Jahre alt, er hat jahrzehntelang Theologen geprägt.
Was meinen Sie, was für theologische und geistige Elemente werden über die nächsten
Jahrzehnte bleiben von Benedikt XVI.?
„Ich denke, dass die Elemente sehr
lange überdauern, ausgehend vom Konzil, wo er einer der einflussreichen theologischen
Berater war, über kirchlich geäußerte Fragen und dass er die Liebe zur Kirche, eine
tiefe Einsicht in das Wesen der Kirche, nicht nur eine soziologische Sicht der Kirche,
als Leib Christi, als Braut Christi, Tempel des Heiligen Geistes. All das hat die
Theologie geprägt und das wird sicher auch weiter wirken. Er hat das dann sehr vertieft
von Augustinus her, der ein besonders beliebter Kirchenvater ist, und bei Augustinus
in den Psalmkommentaren etwa, kann man wunderbare Aussagen über die Kirche finden.
Zum
Zweiten spielt bei ihm die Geschichtstheologie eine große Rolle. Mit der hat er sich
vor allem im Zusammenhang mit Bonaventura befasst, einem ganz großen Vertreter der
scholastischen Theologie. Aber auch schon bei Augustinus über den Gottesstaat, das
ist ja auch eine Art Geschichtstheologie, das spielt ebenfalls eine Rolle. Und von
dort her hat er auch Zugänge gefunden, etwas später, als er schon Kardinal war, zu
politischen Problemen der Gegenwart, Religionsfreiheit, die Situation der Kirche in
der modernen Gesellschaft. Das spielt jetzt natürlich notwendigerweise eine wichtige
Rolle: Diese Warnung vor dem Relativismus der Postmoderne, wo es darauf ankommt, die
Wahrheitsfrage in den Vordergrund zu stellen. Die Freiheit ist nur dann frei, wenn
sie auf die Wahrheit bezogen ist. Wenn sie das nicht mehr ist, wird sie abhängig von
Eigeninteressen, Stimmungen und Mehrheitsmeinungen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt,
die Wahrheitsfrage so in den Vordergrund zu stellen.
Da besteht sehr viel Tradition
des Platon, des Augustinus, auch des hohen Mittelalters. Ich denke, das ist ein besonderer
Akzent bei ihm. Das ist ein zeitkritischer Akzent, aber wie ich meine ein notwendiger,
weil eine gewisse Gleichgültigkeit besteht über die Wahrheit beziehungsweise man die
Wahrheitsfrage abzuwerten versucht: „was ist denn das, Wahrheit“, wie Pilatus fragte.
Davor kann man nur warnen. Das wäre dann auch das Ende der europäischen Kultur. Und
dagegen ist er auch ein Wächter oder einer, der aus der reichen europäischen Tradition
und Kultur kommt. Es geht ihm auch um die Zukunft Europas, um die es nicht ganz so
gut bestellt ist, wenn man auf das kulturelle, geistige Leben schaut.“
Herr
Kardinal, ganz herzlichen Dank. Vielleicht abschließend, wenn Sie möchten, noch ein
Geburtstagsgruß: was wünschen Sie dem Heiligen Vater für seine nächsten Lebensjahre
Ad multos annos?
„Man wünscht ihm natürlich mit 85 Jahren die nötige physische
Kraft, aber vor allem auch die nötige geistige Durchhaltekraft gegenüber manchen Anfechtungen,
denen er ausgesetzt ist. Vor allem Freude an seiner Aufgabe! Freude an der Kirche
und Hoffnung für die Kirche und für sein eigenes ewiges Leben.“