2012-04-15 10:03:09

Aktenzeichen: Der Schriftsteller Giovanni Pascoli - eine Sendung von Aldo Parmeggiani


RealAudioMP3 Dem heute fast vergessenen Poeten und Schriftsteller Giovanni Pascoli wird in diesen Tagen – dem hundersten Todestag – eine Briefmarke gewidmet, auf dem sein wohl bekanntestes Gedicht ‘La cavallina storna – die graue Stute‘ abgedruckt ist, das an die schmerzvolle Episode des Mordes an seinem Vater erinnert. Gleichzeitig werden anlässlich des 100. Todestages Pascolis ab dem 16. April 2012 in ganz Europa Münzen im Wert von zwei Euro zirkulieren, die an den großen italienischen Literaten erinnern sollen. Giovanni Pascoli wurde 1855 in San Mauro di Romagna geboren und starb am 6. April 1912 in Bologna. Nach schweren Schicksalsschlägen - 1867 wurde sein Vater ermordet, ein Jahr darauf starben die älteste Schwester und die Mutter - begann Pascoli als Stipendiat an der Universitäte Bologna das Literaturstudium. 1906 wurde er als Professor für die italienische Literatur an der bedeutenden Universität Bologna der Nachfolger seine Lehrers und Meisters Giosuè Carducci an dessen Lehrstuhl. Mit Carducci bildete Pascoli das Zweigestirn der neueren italienischen Lyrik. Bezeichnend ist, dass Pascoli seine umfangreichen lateinischen Hymnen, die einem religös gefärbten Vaterlandskult huldigen, selbst ins Italienische übersetzte und damit in die lebende Sprache humanistische Bildungselemente übertrug.

Es ist lange her, seit man in der Schule noch Gedichte auswendig lernen musste. In Italien waren es die Verse von Carducci, Giacomo Leopardi, Ugo Foscolo und vor allem Giovanni Pascoli, an denen man sich die Zähne ausbeißen musste. Man kennt kaum jemanden in Italien, dem dies als Jugendlicher, als Student keine Qual war. Aber heute - heute versetzt allein das Lesen dieser Poeten in eine fast beglückende Stimmung. Und man wünschte sich, man hätte sie damals besser verstehen können .....

Jesus: ein Ostergedicht von Giovanni Pascoli

E Gesù rivedeva, oltre il Giordano, campagne sotto il mietitor rimorte, il suo giorno non molto era lontano. E stettero le donne in sulle porte delle case, dicendo: Ave, Profeta! Egli pensava al giorno di sua morte. Egli si assise, all’ombra d’una mèta di grano, e disse: Se non è chi celi sotterra il seme, non sarà chi mieta. Egli parlava di granai ne’ Cieli: e voi, fanciulli, intorno lui correste con nelle teste brune aridi steli. Egli stringeva al seno quelle teste brune; e Cefa parlò: Se costì siedi, temo per l’inconsutile tua veste; Egli abbracciava i suoi piccoli eredi: -Il figlio – Giuda bisbigliò veloce- d’un ladro, o Rabbi, t’è costì tra ‘piedi: Barabba ha nome il padre suo, che in croce morirà.- Ma il Profeta, alzando gli occhi -No-, mormorò con l’ombra nella voce, e prese il bimbo sopra i suoi ginocchi.

Und Jesus richtete seinen Blick über den Jordan hinaus auf das Land des Todesmähers. Der Tag seines eigenen Todes lag nicht mehr weit entfernt. An die Eingangstüren der Häuser gelehnt sprachen die Frauen: Gegrüßest seist Du Prophet. Er dachte an die Stunde seines eigenen Todes. Er hielt im Schatten eines Weizenstocks inne und sagte: Wer den Samen nicht unter die Erde bringt, wird nicht ernten. Er sprach von der Weizenkammer des Himmels. Und Ihr, Jünglinge, hattet in euren dunklen Köpfen nur welke Halme. Er drückte jene Köpfe an seine Brust. Und umarmte seine kleinen Erben: Der Sohn – Judas sprach hastig – eines Diebes oh Rabbi. Barabbas trägt den Namen seines Vaters, der am Kreuz sterben wird. Und der Prophet hob seinen Blick, sprach ganz leise NEIN und setzte das Kind auf seine Knie.

Es ist nicht das bekannteste Gedicht von Giovanni Pascoli, aber in diesem Gedicht ist die tiefe Religiosität des Dichters Pascoli gut zu erkennen. Der Poet hält sich den Erlöser in jenen Tagen vor Augen, die seinem Tod vorausgehen. Im Hintergrund des Gedichtes stehen jene bäuerliche Welt, die Natur und die Gottesverbundenheit, die Pascoli so nahe waren. In ihm finden Freude und Leid gleichermaßen ihren spürbaren Ausdruck.

Verzweiflung über sein Geschick führte Pascoli als Studenten zunächst zum Sozialismus und Anarchismus. Es folgte eine lange Periode der Melanchonie. Von Carducci unterscheidet ihn – außer dem sanfteren Temperament – die Innigkeit seiner Natur- und Gottesnähe. Seine lateinischen Verse gehören zu den vollkommensten Leistungen der neulateinischen Poesie. Am Ursprung seiner Lyrik steht das Erlebnis seiner Familie, des heimischen Landlebens und des durch den Feudalismus hervorgerufenen sozialen Unrechts. Nach einem vorübergehenden Anschluss an die politische Linke beurteilte Pascoli später den Klassenkampf als Irrtum, der nicht zur Gerechtigkeit führen könne. Giovanni Pascolis sozialer Sinn gipfelt in der Auffassung der Natur als Trösterin des leidenden, arbeitsamen und genügsamen Menschen. Tiefe Schwermut überschattet viele seiner Gedichte. Das Leiden ist ihre wesentliche menschliche Aussage.

Die Episode, die das Glück der Jugend Pascolis zerstörte, war – wie wir gehört haben - die Ermordung seines Vaters. Dieser wurde am 10. August 1867 erschossen, als er auf einer kleinen Pferdekutsche auf der Straße zwischen San Mauro und Savignano (Romagna) unterwegs war. Ein Jahr darauf verstarben auch Pascolis Mutter und seine Schwester Margherita. In den Jahren 1871 und 1876 folgten diesem traurigen Schicksal die beiden Brüder. Eines der berühmtesten Gedichte Pascolis, La cavallina storna (aus den Canti di Castelvecchio), handelt von der dramatischen Episode des Todes des Vaters. Diese Verse sind in die italienische Kulturgeschichte eingegangen.


DIE GRAUE STUTE
Der Hof der Torre lag nun schon im Düstern
Vom Rio Salto kam der Pappeln Flüstern
Und Ketten klirrten, denn es brach die Reihe
Normannischer Pferde rauschend ihre Kleie.
Im Stallals letzte stand die wilde Stute,
Wuchs zwischen Wald und Meer aus edlem Blute,
Noch in den Nüstern Schaum vom Wogenschwall,
Im spitzen Ohr der starken Brandung Hall.
Und Mutter legt auf dieser Krippe Bord
Den Arm und seufzt und spricht ein traurig Wort:
"O, graue Stute, liebes treues Pferd,
Den trugst du ja, der uns nicht heimgekehrt!
Vernahmst sein Wort, gingst seinem Wirken nach;
Er ließ ein Söhnlein, noch an Kräften schwach,
Allein von meinen acht das ält'ste Kind;
Noch weiß nicht seine Hand, was Zügel sind:
Doch dich, der an den Bug der Seesturm drängt,
Hat seine kleine Hand so leicht gelenkt.
Dich, deren Herz noch träumt das Meer im Grimme,
Hat er gelenkt mit seiner Kinderstimme."
Sie dreht den schlanken Kopf zu der, die klagt
Und immer trüber leise Worte sagt:
"O, graue Stute, liebes treues Pferd,
Du trugst ja den, der uns nicht heimgekehrt.
Ich weiß es wohl, ein treues Tier war sein,
Der Tod und du und er, ihr wart allein.
Die du aus Fichten kamst und Meeresbläue,
Dein Herz bezwang in sich das schrecklich Neue,
Das dich zu scheuen Jagen wollt entraffen,
Als du die Zügel fühltest jäh erschlaffen;
Gings deine Straße hin, als ob befehle
Dein Herr, dem so in Friede schied die Seele."
Das lange schlanke Haupt schien sich zu lehnen
An meine Mutter Antlitz, ganz in Tränen.
"O, graue Stute, liebes treues Pferd,
Du trugs ja den, der uns nicht heimgekehrt.
Wenn er ein Wort sprach, da sie ihn erschlagen,
Hast du's gehört, doch kannst du mirs nicht sagen.
Du schleiftest lang die Zügel, staubigfahl,
Im starren Aug der Schüsse Feuerstrahl,
Im Ohr der Echos knatternd scharfe Schläge,
So zwischen Pappeln kamst du auf dem Wege.
Im Sterben war der Tag, da kam sein Wagen,
Als sollt er selbst sein letztes Wort uns sagen."
Der stolze Kopf spannt sich in jeder Sehne
Und Mutter küßt ihn weinend auf die Mähne.
"O, graue Stute, liebes treues Pferd,
Trugst den nachhaus der doch nicht wiederkehrt.
Du kannst nicht reden andre schweigen feige,
So sei mir jetzt in einer Sache Zeuge:
Den Menschen sahst du, der mir ihn erschossen,
Sein Bild ist da, ins Aug dir eingeschlossen.
Wer? Einen Namen nenn ich dir mit Zagen,
Du gib ein Zeichen; wie, mag Gott dir sagen."
Kein Pferd brach mehr in raschem Fraße,
Sie schliefen, träumend von dem Weiß der Straße.
Und in die Streu schlug keines Hufes Scharren,
Sie schliefen, träumend von des Rades Knarren.
In dieser Stille Mutter hob die Hand, Ein Wiehern scholl - ein Name war genannt.


Dem Poeten Pascoli wird in diesen Tagen – dem hundertsten Todestag – eine Briefmarke gewidmet, auf dem ein Vers des eben vernommenen Gedichtes ‘La cavallina storna – die graue Stute‘ abgedruckt ist, das an den Mord an seinem Vater erinnert. Das Pferd, die Stute wird zur Vertrauten seiner Mutter, die einzige Verbindung der letzten Augenblicke desjenigen, der nicht mehr zurück kehren wird. Die Mutter des Poeten wendet sich an die Stute, indem selbst sprachliche Hindernisse überwunden werden: am Ende des Gedichtes heißt es ja: ‘Ein Wiehern scholl – ein Name war genannt’. Durch dieses Wiehern wird der Mutter Giovanni Pascolis der Name des Mörders ihres Mannes preisgegeben. - Gleichzeitig werden anlässlich des 100. Todestages Pascolis morgen, am 16. April 2012 in ganz Europa Münzen im Wert von zwei Euro in Umlauf gesetzt, die an den großen italienischen Literaten Giovanni Pascoli erinnern sollen.

Verehrte Hörerinnen und Hörer, wenn Sie eine solche Münze in die Hand bekommen, werden Sie sich vielleicht an diese Sendung von Radio Vatikan erinnern.

Von Aldo Parmeggiani
(rv 15.04.2012 ap)








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