Genozid-Gedenken in Ruanda: „Ausbildung hilft am besten“
Im April vor 18 Jahren
begann in Ruanda ein Völkermord, der 800.000 Menschen das Leben kostete. Mit einer
Gedenkwoche erinnert das Land in diesen Tagen an den Massenmord, dessen Folgen bis
heute nicht nur in Ruanda spürbar sind: Waisen, Flüchtlinge, soziale Spannungen und
tiefe seelische Wunden – die vielfältigen Konsequenzen des Genozids haben Spuren in
der gesamten Region der Großen Seen hinterlassen.
„Im April denke ich
immer an meine Familie, am siebten April, einen Tag nach Beginn des Genozids, habe
ich 22 Menschen verloren. Ich war damals 12 Jahre alt. Ich sehe es vor mir wie gestern,
es war ein Alptraum.“
Es war ein Alptraum, nicht nur für Betty.
Sie gedachte in diesen Tagen in Rom mit anderen Überlebenden der Opfer des Genozides,
der ihr Heimatland im Frühling 1994 in ein Massengrab verwandelte. 75 Prozent der
ethnischen Tutsi-Minderheit wurden ausgelöscht, jeder, der sich widersetzte, darunter
auch moderate Hutu, wurde umgebracht. Der Tutsi Thomas Mazimpaka konnte noch vor dem
Gemetzel nach Deutschland fliehen. Zu diesem Zeitpunkt war in Ruanda schon der Bürgerkrieg
ausgebrochen, der mit dem Feldzug der Tutsi-Rebellenarmee „Ruandische Patriotische
Front“ (RPF) von Uganda aus seinen Anfang nahm. „Schon damals, im Oktober 1990,
als der Krieg ausbrach, wurden wir verfolgt, viele wurden ins Gefängnis gesteckt und
getötet. Jemand warnte mich und sagte mir: Sie sind dir auf der Spur, geh fort! Über
die Schweiz kam ich nach Deutschland. Der eigentliche Genozid fand dann von April
bis Juli 1994 statt, ich war schon in Deutschland und konnte überleben.“
Mazimpaka
wollte eigentlich in Deutschland Asyl beantragen und studieren. Als er von den Folgen
des Genozides in Ruanda erfuhr, zog er seinen Asylantrag zurück und beschloss, in
seine Heimat zurückzukehren, um sich dort nützlich zu machen. Mit Hilfe der deutschen
katholischen Kirchengemeinde Sankt Matthäus von Alfter bei Bonn begann er damit, sich
um ruandische Waisenkinder zu kümmern. Nach Angaben von Unicef wachsen in Ruanda um
die 600.000 Kinder ohne Eltern oder Angehörige auf.
„Als ich nach Ruanda
zurückkam, war es sehr schlimm mit den Waisen, alles war durcheinander, das war im
Februar 1999, nur fünf Jahre nach dem Genozid. Wir haben angefangen mit zwei, drei
Kindern. In meinem Projekt betreue ich Kinder, die bei Betreuerfamilien sind, denn
wir haben kein eigenes Waisenheim. Das ist schwer, denn diese Familien sind auch arm.
Unser Ziel ist es, diesen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Das hat gut geklappt,
und heute unterstützen wir etwa 100 Kinder. Einer unserer Schüler hat gerade die Universität
abgeschlossen, vier sind noch an der Uni, über 60 in der Sekundarstufe, und mittlerweile
haben wir auch wieder jüngere Kinder aufgenommen, die die Grundschule besuchen.“
Über
Patenschaften aus Deutschland ermöglicht das Projekt „Kinderhilfe Ruanda“ Waisen in
Ruanda eine Ausbildung – wobei viele Kinder in Ruanda aber erst gar nicht in den Genuss
von Bildung kommen: den über 25.000 Kinderhaushalten in Ruanda stehen meist Mädchen
vor, die ihre jüngeren Geschwister mit durchbringen. Nicht selten verdienen diese
jungen Frauen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen oder mit Prostitution ihren
Lebensunterhalt. Solchen Kindern durch Ausbildung Alternativen aufzuzeigen, ist ein
Ziel von Mazimpakas Hilfsprojekt. Ausbildung sei überhaupt eine der wichtigsten Maßnahmen,
um der traumatisierten Jugend des Landes eine neue Perspektive zu geben:
„Ich
glaube, das Beste, was wir den Kindern geben können, ist Bildung, Ausbildung. Es gibt
heute in Ruanda die Pflicht, die Grundschule zu besuchen, und mittlerweile bemüht
sich die Politik, dass auch die Sekundarstufe, also insgesamt zwölf Jahre Schulbesuch,
Pflicht wird. Wobei es natürlich immer noch viel Armut gibt und sich die Frage stellt,
wer das alles bezahlen soll. Ich persönlich hoffe aber, dass wir durch diese positive
Entwicklung die Folgen des Genozids irgendwie meistern können.“
Bevor Mazimpaka
nach Deutschland kam, arbeitete er in Finanzabteilungen verschiedener Unternehmen
in Kigali. Mit dem Bürgerkrieg wurde das Land in vielerlei Hinsicht zurückgeworfen.
Trotz der immer noch weit verbreiteten Armut gehe es mit der Wirtschaft zwar langsam
bergauf, so Mazimpaka. Handlungsbedarf sieht der gelernte Volkswirt aber in der Berufsbildung.
Und er plant schon das nächste Projekt:
„Ich denke daran, eine technische
Schule zu gründen, also eine Berufsschule. In Ruanda gibt es eine technische Universität,
aber die ist für unsere Jugendlichen zu teuer. Das ist wirklich mein Traum… Wenn ich
hier eine Unterstützung finden könnte. Ich habe schon einige Kontakte in Deutschland
gemacht und auch die Vorstudien durchgeführt. Wir hoffen, dass unsere Kinder in einem
besseren Ruanda leben werden.“
Lobend erwähnt Mazimpaka die Versöhnungs-
und Friedensarbeit, die in Ruanda nach dem Genozid durch Nichtregierungsorganisationen,
die Kirchen und auch die Regierung eingeleitet wurde: „Viel wurde getan, und ich muss
sagen, es wird besser, es ist besser als vor zehn Jahren zum Beispiel“, so der Tutsi
über die soziale Entwicklung Ruandas im Interview mit Radio Vatikan.
Erfahrungen
mit Rassismus in Deutschland
Als Flüchtling in Deutschland war Thomas
Mazimpaka in verschiedenen Asylbewerberheimen in Sachsen untergebracht. Acht Jahre
wartete er vergeblich auf die Annahme seines Asylbewerberantrags. In dieser Zeit lernte
er Deutsch und verfasste das Buch „Ein Tutsi in Deutschland. Das Schicksal eines Flüchtlings“,
das 1998 von der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig veröffentlicht wurde. Darin
verarbeitet Mazimpaka seine eigenen Erfahrungen mit Rechtsradikalismus in Deutschland:
„Das Schreiben hat mir geholfen, denn ich hatte zu tun und musste nicht in Depressionen
versinken. Das Buch hat nicht nur mir persönlich geholfen, sondern auch anderen Ausländern,
wie zum Beispiel den Jugoslawen, die in dieser Zeit in Deutschland Asyl beantragten.“
(rv/unicef 12.04.2012 pr)