„Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit“: Predigt zum Karfreitag
Die Predigt bei der Karfreitagsliturgie mit Papst Benedikt im Petersdom am Karfreitagnachmittag
hielt - wie jedes Jahr - der päpstliche Hausprediger Pater Raniero Cantalamesssa.
Wir dokumentieren die Predigt des Kapuziners im Wortlaut.
Manche Kirchenväter
haben das Geheimnis der Erlösung durch ein Gleichnis umschrieben. Stell dir vor, sagen
sie, es habe im Stadion einen epischen Kampf gegeben. Ein Held hat den grausamen Tyrannen
herausgefordert, der die Stadt unterdrückte, und unter ungeheuren Anstrengungen und
Leiden hat er ihn besiegt. Du warst unter den Zuschauern, hast nicht mitgekämpft,
es hat dich keine Anstrengung und keine Wunden gekostet. Doch wenn du den Helden bewunderst,
dich mit ihm über seinen Sieg freust, wenn du ihm einen Lorbeerkranz machst, die anderen
Zuschauer für ihn begeisterst; wenn du dich freudig dem Triumphator beugst, sein Haupt
küsst und seine Rechte erfasst; kurz, wenn du ihn so sehr verehrst, dass du seinen
Sieg als deinen eigenen Sieg empfindest, dann wirst du sicherlich teilhaben am Preis
des Siegers.
Doch das ist noch nicht alles. Nehmen wir an, der Sieger brauche
den Preis, den er errungen hat, gar nicht für sich selbst, sondern wünsche sich von
ganzem Herzen, seinen Anhänger geehrt zu sehen und betrachte die Krönung seines Freundes
als den eigentlichen Preis für seinen Kampf. Wird dieser Freund dann nicht sogar die
Krone bekommen, auch wenn er selbst nicht dafür gelitten und geblutet hat? Natürlich
wird er sie bekommen!
So, sagen diese Kirchenväter, verhält es sich zwischen
Christus und uns. Er hat am Kreuz den alten Feind besiegt. „Unsere Schwerter“, sagt
der heilige Johannes Chrysostomos, „sind nicht blutig geworden, wir waren nicht auf
dem Schlachtfeld, sind nicht verletzt worden, haben den Kampf nicht einmal gesehen,
und doch wird uns dieser Sieg geschenkt. Sein war der Kampf, unser die Krone. Und
weil der Sieg auch uns gehört, lasst uns tun, was Soldaten in solchen Fällen tun:
lasst uns mit freudiger Stimme den Sieg feiern und dem Herrn Loblieder singen“.
Besser
könnte man den Sinn der Liturgie, die wir heute feiern, nicht erklären. Und ist das,
was wir hier tun, eigentlich ein Abbild, die Darstellung eines vergangenen Ereignisses,
oder ist es das Ereignis selbst? Beides zugleich! „Wir wissen mit sicherem Glauben“,
sagte Augustinus zum Volk, „dass Christus ein einziges Mal für uns gestorben ist […].
Ihr wisst genau, dass all dies ein einziges Mal geschehen ist, und dennoch wiederholt
sich die Feier von Zeit zu Zeit […]. Historische Wahrheit und liturgische Feier sind
keine Gegensätze, so als ob die zweite trügerisch wäre und nur die erste der Wahrheit
entspräche. Was nämlich in der Geschichte nur ein einziges Mal geschehen ist, das
erneuert die Feier oft in den Herzen der Gläubigen“.
Die Liturgiefeier „erneuert“
das Ereignis: wie viele Diskussionen hat es in den letzten fünf Jahrhunderten über
den Sinn dieses Wortes gegeben, besonders, wenn es sich auf das Opfer des Kreuzes
und auf die Messe bezieht! Paul VI. hat einen anderen Ausdruck verwendet, der einer
ökumenischen Verständigung über dieses Thema den Weg ebnen könnte: die Worte „gegenwärtig
werden“, d.h., dass die Liturgie das historische Ereignis und mit ihm seine Wirkung
wieder in die Gegenwart bringt.
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen
der Darstellung des Todes Christi und der, z.B., des Todes Julius Caesars in Shakespeares
Tragödie. Niemand kann als Lebender am Gedenktag seines Todes teilnehmen, außer Christus,
denn er ist auferstanden. Nur er kann sagen: „Ich war tot, doch nun lebe ich in alle
Ewigkeit“ (Offb 1,18). Wir müssen achtgeben in diesen Tagen, wenn wir die sogenannten
„Gräber“ besuchen oder an den Prozessionen des Leichnams Christi teilnehmen, dass
wir nicht den Tadel verdienen, den der Auferstandene am Ostermorgen an die frommen
Frauen richtete: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5).
Es
ist gewagt, aber wahr, was manche orthodoxe Autoren schreiben: „Die Anamnese, d.h.
die liturgische Gedenkfeier, macht das Ereignis wahrer, als es beim ersten Mal war,
als es stattfand“. In anderen Worten, es ist wahrer und wirklicher für uns, die wir
es „nach dem Geiste“ wieder erleben, als es damals für die Menschen war, die es „nach
dem Fleisch“ erlebten, bevor der Heilige Geist der Kirche die volle Bedeutung der
Ereignisse offenbarte.
Wir Feiern nicht nur einen Gedenktag, sondern ein Mysterium.
Und wieder ist es Augustinus, der uns den Unterschied zwischen den beiden Dingen erklärt.
Wenn eine Feier „nur ein Gedenktag ist“, schreibt er, dann ist nicht mehr erforderlich,
als dass „man sich mit der religiösen Feier an den Tag erinnert, an dem ein bestimmtes
Ereignis stattgefunden hat“. Wenn aber ein Mysterium gefeiert wird („ein Sakrament“),
dann „erinnert man sich nicht nur an ein Ereignis, sondern tut es so, dass man seinen
Sinn begreift und es auf heiligende Weise empfängt“.
Das ist ein großer Unterschied.
Man schaut nicht nur einer Darstellung zu, sondern „empfängt“ deren Sinn; man ist
nicht Zuschauer, sondern Akteur. Wir haben die Wahl, welche Rolle wir in diesem Drama
spielen wollen, wer wir seien wollen: Petrus, Judas, Pilatus, das Volk, Simon von
Cyrene, Johannes, Maria… Niemand kann unbeteiligt bleiben; wer sich jeder Stellungnahme
enthält, hat trotzdem seine Rolle gewählt: er ist Pilatus, der sich die Hände in Unschuld
wäscht, oder das Volk, das aus der Ferne „dabeistand und zuschaute“ (vgl. Lk 23,35).
Wenn
wir heute Abend nach Hause gehen und man uns fragt: „Wo kommst du her? Wo warst du?“,
dann dürfen wir, zumindest in unserem Herzen, ruhig antworten: „Auf dem Kalvarienberg!“.
Aber
all dies geschieht nicht automatisch, nur weil wir an dieser Liturgie teilgenommen
haben. Augustinus sagt, wir müssen den Sinn des Mysteriums „empfangen“. Das geschieht
durch den Glauben. Ohne ein zuhörendes Ohr gibt es keine Musik, egal wie laut das
Orchester spielt; so gibt es auch keine Gnade ohne einen Glauben, der sie empfängt.
In
einer Osterpredigt des 4. Jahrhunderts gebrauchte ein Bischof Worte, die außerordentlich
modern und, man könnte sagen, existenziell klingen: „Für jeden Menschen beginnt das
Leben ab dem Augenblick, wenn Christus für ihn geopfert wird. Aber das Opfer Christi
gilt für ihn ab dem Moment, wenn er die Gnade erkennt und sich des Lebens bewusst
wird, das ihm durch jenes Opfer beschert wird“.
Dies hat auf sakramentale Weise
mit der Taufe stattgefunden, muss aber bewusst ein Leben lang immer aufs Neue erfolgen.
Bevor wir sterben, müssen wir einen mutigen Handstreich wagen: uns den Sieg Christi
aneignen. Eine widerrechtliche Aneignung! So etwas kommt in unserer Gesellschaft leider
des Öfteren vor, aber mit Jesus ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar wärmstens
zu empfehlen. „Widerrechtlich“ bedeutet hier nur, dass sie uns nicht als unser Recht
zusteht, dass wir sie nicht selbst verdient haben, sondern, dass sie uns durch den
Glauben geschenkt ist.
Wir wollen doch sicherheitshalber die Meinung eines
Kirchenvaters hören. Der heilige Bernhard schreibt: „Was ich nicht selbst erreichen
kann, hole ich mir (wörtlich: usurpiere ich!) voller Vertrauen aus der Seitenwunde
des Herrn, der so voll der Barmherzigkeit ist. Mein Verdienst ist daher die Barmherzigkeit
Gottes. Ich werde nicht arm an Verdiensten sein, solange er reich an Barmherzigkeit
ist. Und wenn das Erbarmen des Herrn groß ist (Ps 119, 156), dann werde auch ich Verdienste
im Überfluss haben. Und was wird aus meiner Gerechtigkeit? O Herr, ich werde nur noch
deine Gerechtigkeit kennen, denn sie ist auch die meine, weil du für mich von Gott
gemachte Gerechtigkeit bist“ (vgl. 1Kor 1,30).
Hat sich der heilige Bernhard
aufgrund dieser Auffassung der Heiligkeit etwa weniger um gute Taten und Tugenden
bemüht? Hat der Apostel Paulus, der als erster und mehr als alle anderen aus dieser
Aneignung der Gerechtigkeit Christi den Inhalt seines Lebens und seiner Prädikation
machte (vgl. Phil 3,7-9), es etwa vernachlässigt, seinen Leib zu züchtigen und zu
unterwerfen (vgl. 1Kor 9,27)?
In Rom, wie leider in jeder größeren Stadt, gibt
es viele Obdachlose. Jede Sprache hat einen Namen für sie: Homeless, Clochards, Penner:
Menschen, die nichts besitzen außer den Lumpen, die sie tragen, und den paar Gegenständen,
die sie in Plastiktüten mit sich herumschleppen. Stellen wir uns vor, eines Tages
verbreite sich folgende Nachricht: in der Via Condotti (jeder weiß, was in Rom die
Via Condotti bedeutet!) gibt es ein Luxusgeschäft, dessen Inhaberin aus unbekannten
Gründen, sei es aus Interesse oder aus Großzügigkeit, alle Obdachlosen vom Bahnhof
Termini einlädt, in ihr Geschäft zu kommen, ihre Lumpen abzulegen, fein zu duschen,
und sich dann den Anzug mitzunehmen, der ihnen am besten gefällt; einfach so, kostenlos.
Jeder
sagt sich: „Das ist ein Märchen, so etwas wird es nie geben!“. Stimmt; aber was es
unter Menschen nie geben wird, kann jeden Tag zwischen Gott und den Menschen vorkommen,
denn vor ihm sind wir jene Obdachlosen! Das ist es, was in jeder guten Beichte geschieht:
du ziehst deine schmutzigen Lumpen aus, die Sünden, empfängst das Bad der Vergebung,
stehst auf und bist „gekleidet in Gewänder des Heils, gehüllt in den Mantel der Gerechtigkeit“
(Jes 61,10).
Der Zöllner, der im Beispiel Jesu zum Tempel hinaufging, um zu
beten, und aus tiefstem Herzen sagte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“, kehrte als Gerechter
nach Hause zurück (vgl. Lk 18,14). Er hatte sich versöhnt, hatte seine Unschuld wiedergefunden.
Wenn wir seinen Glauben und seine Reue haben, wird dasselbe auch uns widerfahren,
wenn wir nach dieser Liturgie nach Hause gehen werden.
Ich merke gerade, dass
ich von allen Figuren der Passion, mit denen wir uns identifizieren können, einen
ausgelassen habe, der am allermeisten darauf wartet, dass man seinem Beispiel folgt:
den guten Schächer.
Der gute Schächer legt ein volles Geständnis seiner Sünden
ab und sagt seinem Kameraden, der Jesus verhöhnt hatte: „Nicht einmal du fürchtest
Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten
den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan“ (Lk 23,40-41).
Der gute Schächer erweist sich hier als hervorragender Theologe. Denn nur Gott kann
als vollkommen Unschuldiger leiden; jedes andere Wesen muss, wenn es leidet, sagen:
„Mir geschieht recht“, denn auch wer zu Unrecht verurteilt wurde, ist nie ganz ohne
Schuld. Nur der Schmerz unschuldiger Kinder ähnelt dem Leiden Gottes; deshalb ist
er auch so geheimnisvoll und heilig.
Wie viele schwere Verbrechen sind in letzter
Zeit unaufgeklärt geblieben! Der gute Schächer spricht zu den Schuldigen: macht es
wie ich, kommt zum Vorschein, gesteht eure Schuld; auch ihr werdet die Freude erfahren,
die ich gespürt habe, als ich Jesus sagen hörte: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies
sein!“ (Lk 23,43). Viele, die ein Verbrechen gestanden haben, können bestätigen, dass
auch sie es so erlebt haben: dass sie aus der Hölle in den Himmel gekommen sind, als
sie den Mut fanden, zu bereuen und ihre Schuld zu gestehen. Auch ich habe ein paar
kennengelernt. Das verheißene Paradies ist der Friede des Gewissens, die Möglichkeit,
in den Spiegel zu schauen oder den eigenen Kindern gegenübertreten zu können, ohne
sich verachten zu müssen.
Nehmt euer Geheimnis nicht mit ins Grab; es würde
euch eine viel schlimmere Strafe bescheren, als es die der Menschen ist. Unser Volk
ist nicht grausam mit denen, die einen Fehler begangen haben, ihn aber aufrichtig
bereuen. Im Gegenteil! Es ist bereit, Mitleid zu empfinden und den Bereuenden auf
seinem Weg zur Erlösung (der auf jedem Fall kürzer sein wird) zu begleiten. „Gott
vergibt Vieles für eine gute Tat“, sagt Lucia zum Ungenannten, im Roman „Die Brautleute“.
Wir könnten noch viel berechtigter sagen: er vergibt Vieles für einen Reueakt. Schließlich
hat er es versprochen: „Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß
werden wie Schnee. Wären sie rot wie Purpur, sie sollen weiß werden wie Wolle“ (Jes
1,18).
Nun wollen wir wieder tun, was, wie wir gehört haben, unsere Aufgabe
an diesem Tag ist: lasst uns mit freudiger Stimme den Sieg feiern und dem Herrn Loblieder
singen. „O Redemptor sume carmen temet concinentium“: Du Erlöser, nimm diesen Gesang
an, den wir zu dir erheben.