„Umkehr ist das große Zukunftsthema“: Diese Überzeugung äußert Kardinal Christoph
Schönborn in einem am Freitag erschienenen Großinterview für sechs österreichische
Tageszeitungen. „In allen Lebensbereichen stoßen wir an Grenzen“, so der Wiener Erzbischof.
Die „Wachstumsperspektive“ der vergangenen Jahrzehnte sei „radikal an eine Grenze
gestoßen“, Wirtschaft und Politik befänden sich in einer Krise, die eine Rückbesinnung
auf „klassische elementare Tugenden“ wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Anstand
erfordere. In den auf das Gemeinwesen zukommenden „schwierigen Zeiten“ werde es darum
gehen, „mit Verzicht umzugehen“, sagte Schönborn. Es gelte sich der Tatsache zu stellen,
„dass wir als Gesellschaft über unsere Verhältnisse gelebt haben“. Die Wirtschaft
brauche eine Perspektive jenseits des „Imperativs des Wachstums“. Sonst drohen nach
den Worten des Kardinals „Lösungen“ in Form eines großen Krachs, einer Weltwirtschaftskrise
oder hoher Inflation. Sogar in Kriege habe man sich in der Geschichte geflüchtet.
„Diese Perspektiven sind alles eher als erfreulich und deshalb müssen wir jetzt, wo
es uns noch relativ gut geht - und ich fürchte, das wird nicht so bleiben -, vorrangig
auf die Werte setzen, die man in schwierigen Zeiten braucht“, appellierte Schönborn.
Angesichts drohender Verteilungskämpfe seien Solidarität und Zueinander-Stehen notwendig.
Von den jüngsten Korruptionsfällen und politischen Skandalen zeigte sich der
Wiener Erzbischof „betroffen“. „Da braucht es einen entschiedenen Willen, dass so
etwas in unserem Land nicht Platz haben darf“, sagte Schönborn. Es sei nicht ausreichend,
dass sich Politiker lediglich an die Gesetze halten. Wenn es darüber kein „moralisches
Grundgesetz“ gebe, „ist die Demokratie sehr gefährdet“. Auf die Frage, ob er die Demokratie
in Österreich tatsächlich gefährdet sehe, antwortete Schönborn wörtlich: „Ich sehe
zumindest einen dringenden Bedarf einer Demokratiepflege.“ Schönborn wies auf Italien
als Vorbild hin, wo mit der Regierung Monti „emotional eine Wende eingetreten“ sei.
„Man hat den Eindruck, es werden die guten Kräfte mobilisiert.“ Auch in Österreich
gebe es viele gute, anständige Kräfte auf allen Ebenen der Gesellschaft.