Der Papst hat auf der Plaza de la Revolución Antonio Maceo y Grahales in Santiago
de Cuba die heilige Messe gefeiert. Hier lesen Sie die Predigt im Wortlaut: Liebe
Brüder und Schwestern!
Ich danke Gott, daß er mir ermöglicht hat, zu euch
zu kommen und diese so ersehnte Reise durchzuführen. Ich grüße den Erzbischof von
Santiago de Cuba Dionisio García Ibáñez und danke ihm für seine liebenswürdigen Worte
zur Begrüßung im Namen aller; ebenso begrüße ich die kubanischen Bischöfe und jene,
die aus anderen Orten gekommen sind, sowie auch die Priester, Ordensleute, Seminaristen
und die Gläubigen, die bei dieser Meßfeier anwesend sind. Ich möchte auch diejenigen
nicht vergessen, die wegen Krankheit, Alter oder aus anderen Gründen nicht hier bei
uns sein können. Desgleichen begrüße ich alle Vertreter des öffentlichen Lebens, die
freundlicherweise zugegen sind.
Diese heilige Messe – die erste, der ich während
meines Pastoralbesuchs in dieser Nation zu meiner Freude vorstehen kann – fügt sich
in den Rahmen des Marianischen Jubiläumsjahres ein, das zu Ehren der Barmherzigen
Jungfrau von El Cobre, der Patronin Kubas, ausgerufen wurde anläßlich der 400-Jahr-Feier
der Auffindung ihres Gnadenbildes und seiner Anwesenheit in diesem gesegneten Land.
Ich weiß sehr wohl, unter welchen Opfern und mit welcher Hingabe dieses Jubiläum,
besonders in geistlicher Hinsicht, vorbereitet worden ist. Es hat mich tief berührt
zu erfahren, mit welcher Begeisterung Maria auf ihrer Wanderung durch alle Winkel
und Orte der Insel von vielen Kubanern begrüßt und angerufen worden ist.
Diese
bedeutenden Ereignisse der Kirche in Kuba werden durch das Fest, das die Universalkirche
heute feiert, mit ungewöhnlichem Glanz beleuchtet: die Verkündigung des Herrn an die
Jungfrau Maria. Die Menschwerdung des Gottessohns ist tatsächlich das zentrale Geheimnis
des christlichen Glaubens, und in ihm nimmt Maria einen vorrangigen Platz ein. Worin
liegt aber die Bedeutung dieses Geheimnisses? Und welche Bedeutung hat es für unser
konkretes Leben?
Schauen wir zunächst einmal, was die Inkarnation bedeutet.
Im Evangelium des heiligen Lukas haben wir die Worte des Engels an Maria gehört: „Der
Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.
Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35).In Maria wird der Sohn Gottes Mensch, und so erfüllt sich die Prophezeiung Jesajas:
„Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie
wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben“ (Jes 7,14). Ja, Jesus, das
fleischgewordene Wort, ist der Gott-mit-uns, der gekommen ist, um unter uns zu wohnen
und unser Menschsein zu teilen. Der heilige Apostel Johannes drückt das so aus: „Und
das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Der Ausdruck
„ist Fleisch geworden“ weist auf die ganz konkrete und greifbare menschliche Wirklichkeit
hin. In Christus ist Gott wirklich in die Welt gekommen, in unsere Geschichte eingetreten
und hat unter uns gewohnt. So hat sich die tiefe Sehnsucht des Menschen erfüllt, daß
die Welt tatsächlich ein Zuhause für den Menschen sei. Umgekehrt verwandelt sich die
Welt, wenn Gott aus ihr ausgeschlossen wird, in einen für den Menschen unwirtlichen
Ort und vereitelt zugleich die wahre Berufung der Schöpfung, nämlich Raum zu sein
für den Bund, für das »Ja« der Liebe zwischen Gott und der Menschheit, die ihm antwortet.
Und so wurde Maria mit ihrem vorbehaltlosen „Ja“ zum Herrn die erste der Glaubenden.
Daher
dürfen wir bei der Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung nicht unterlassen,
unsere Augen auf Maria zu richten, um voller Staunen, Dankbarkeit und Liebe zu sehen,
daß unser Gott beim Eintritt in die Welt auf die freie Zustimmung eines seiner Geschöpfe
vertrauen wollte. Erst von dem Augenblick an, als die Jungfrau dem Engel antwortete:
„Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38),
begann das ewige Wort des Vaters seine menschliche Existenz in der Zeit. Es ist ergreifend
zu sehen, wie Gott nicht nur die menschliche Freiheit respektiert, sondern sie zu
benötigen scheint. Und wir sehen auch, daß der Beginn der irdischen Existenz des Sohnes
Gottes von einem doppelten „Ja“ zum Heilswillen des Vaters – dem Ja Christi und dem
Ja Marias – gekennzeichnet war. Dieser Gehorsam gegenüber Gott ist es, der der Wahrheit,
dem Heil die Pforten der Welt öffnet. Gott hat uns nämlich als Frucht seiner unendlichen
Liebe erschaffen. Gemäß seinem Willen zu leben, ist deshalb der Weg, um unsere eigentliche
Identität, die Wahrheit unseres Seins zu finden, während das Sich-Trennen von Gott
uns von uns selbst entfernt und uns in die Leere stürzt. Der Glaubensgehorsam ist
die wahre Freiheit, die echte Erlösung, die uns erlaubt, uns mit der Liebe Jesu zu
verbinden in seinem Bemühen, in den Willen des Vaters einzustimmen. Die Erlösung ist
immer dieser Prozeß, den menschlichen Willen in die volle Gemeinschaft mit dem göttlichen
Willen zu führen (vgl. Lectio divina mit dem Klerus von Rom, 18. Februar 2010).
Liebe
Brüder und Schwestern, heute loben wir die Allerseligste Jungfrau für ihren Glauben,
und mit der heiligen Elisabeth sagen auch wir: „Selig ist, die geglaubt hat“ (Lk
1,45). Wie der heilige Augustinus sagt, empfing Maria Christus zuerst durch den
Glauben in ihrem Herzen, bevor sie ihn physisch in ihrem Leib empfing; Maria glaubte,
und es erfüllte sich in ihr, was sie geglaubt hat (vgl. Sermo 215,4: PL
38, 1074). Bitten wir den Herrn, daß er unseren Glauben vermehre, daß er ihn in der
Liebe tatkräftig und fruchtbar mache. Bitten wir ihn, daß wir wie sie auch in unsrem
Herzen das Wort Gottes empfangen und es gehorsam und beharrlich in praktisches Tun
umsetzen können.
Die Jungfrau Maria ist wegen ihrer unersetzlichen Rolle im
Mysterium Christi Bild und Vorbild der Kirche. Wie die Mutter Christi ist auch die
Kirche dazu aufgerufen, das Geheimnis Gottes, der kommt, um in ihr zu wohnen, in sich
aufzunehmen. Liebe Brüder und Schwestern, ich weiß, mit wieviel Anstrengung, Mut und
Verzicht ihr tagtäglich dafür arbeitet, damit unter den konkreten Umständen eures
Landes und in diesem Augenblick der Geschichte die Kirche immer mehr ihr wahres Gesicht
als Ort zeigt, an dem sich Gott den Menschen nähert und ihnen begegnet. Die Kirche
hat als lebendiger Leib Christi den Auftrag, die heilbringende Gegenwart Gottes auf
Erden fortzuführen, die Welt für etwas zu öffnen, das größer ist als sie selbst, für
die Liebe und das Licht Gottes. Es ist der Mühe wert, liebe Brüder und Schwestern,
das ganze Leben Christus zu widmen, jeden Tag in der Freundschaft zu ihm zu wachsen
und sich gerufen zu fühlen, die Schönheit und Güte seines Lebens allen Menschen, unseren
Brüdern, zu verkünden. Ich ermutige euch bei eurer Aufgabe, das Wort Gottes in der
Welt auszustreuen und allen die wahre Speise des Leibes Christi anzubieten. Ostern
ist schon nahe, laßt uns entschlossen, ohne Furcht und ohne Hemmungen Jesus auf seinem
Weg ans Kreuz folgen. Nehmen wir mit Geduld und Glauben manche Feindseligkeit oder
Anfechtung in der Überzeugung hin, daß er durch seine Auferstehung die Macht des Bösen,
das alles verdunkelt, vernichtete und eine neue Welt, die Welt Gottes, des Lichts,
der Wahrheit und der Freude anbrechen ließ. Der Herr wird nicht aufhören, die Hochherzigkeit
eures Einsatzes mit reichen Früchten zu segnen.
Das Geheimnis der Menschwerdung,
in dem uns Gott nahekommt, zeigt uns auch die unvergleichliche Würde des ganzen menschlichen
Lebens. Dafür hat Gott in seinem Liebesplan seit der Schöpfung die auf die Ehe gegründete
Familie mit der erhabenen Sendung beauftragt, Grundzelle der Gesellschaft und echte
Hauskirche zu sein. In dieser Gewißheit sollt ihr, liebe Eheleute, – in besonderer
Weise für eure Kinder – wahres und sichtbares Zeichen für die Liebe Christi zu seiner
Kirche sein. Kuba braucht das Zeugnis eurer Treue, eurer Einheit, eurer Fähigkeit,
das menschliche – besonders das schutzloseste und bedürftigste – Leben aufzunehmen.
Liebe
Brüder und Schwestern, vor dem Blick der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre möchte
ich euch dazu aufrufen, eurem Glauben neue Kraft zu geben, damit ihr aus Christus
und für Christus leben und mit den Waffen des Friedens, der Vergebung und des Verständnisses
für den Aufbau einer offenen und erneuerten Gesellschaft, einer besseren, menschenwürdigeren
Gesellschaft kämpfen könnt, die die Güte Gottes stärker widerspiegelt. Amen.