2012-03-23 11:05:43

Lateinamerika: ¡Libertad!


RealAudioMP3 „Ein Journalist hat Mahatma Ghandi einmal gefragt, was er von der westlichen Zivilisation halte. Und Ghandi hat geantwortet: Das wäre eine schöne Idee! Nun, die Unabhängigkeit Lateinamerikas wäre auch so eine ‚schöne Idee’, sie wurde nur noch nicht umgesetzt.“

Eduardo Galleano, Philosoph und Schriftsteller aus Uruguay, ist skeptisch, was diese Unabhängigkeit Lateinamerikas angeht. 200 Jahre lang sind die Staaten jetzt eigenständig, 2010 haben Chile und Bolivien mit den Feierlichkeiten begonnen, bis 2023 werden sie sich ausdehnen, je nachdem, wann ein Land seine Unabhängigkeit erklärt hat.

Ein Grund für die Reise des Papstes nach Lateinamerika ist diese Zeit der Feiern, El Bicentenario. So wird er in León eine Messe in einem Park feiern, der eigens für die Jubiläumsfeiern angelegt wurde. Es wird ihm um Hoffnung und um Zuversicht gehen, was die Entwicklung der Länder angeht, die er besucht: Hoffnung in der Auseinandersetzung mit dem Drogenkrieg in Mexiko, Zuversicht beim Wandel in Kuba. Aber auch die übrigen lateinamerikanischen Länder sind gemeint.

Ein Blick zurück in die Geschichte: Die in den Kolonien geborenen Nachkommen der spanischen und portugiesischen Eroberer wurden zunehmend unzufrieden mit der Regierung durch die Europäer. Thomas Fischer, Professor für die Geschichte Lateinamerikas an der Universität Eichstätt:

„Seid den 1760er Jahren war die spanische Krone darum bemüht, ihre Kolonien effizienter zu führen und sie wirtschaftlich und auch hinsichtlich des Selbstverständnisses das Mutterland – die „Madre Patria“ – zu binden. Bei den Kreolen kam hinzu, dass ihnen der Aufstieg bis in die Spitzenposten der Gesellschaft verwehrt war. Ausschlaggebend dafür, dass es ab 1808 tatsächlich zur Eskalation kam, war dann der Einfall der napoleonischen Truppen in Spanien und Portugal. Das führte in Lateinamerika zu einem Herrschaftsvakuum und zu einen Legitimationsdefizit.“

Ein schwaches Spanien und das Selbstbewusstsein der Kolonien stehen am Beginn der Unabhängigkeit. Bis zu zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg folgten, die neuen Staaten entstanden und durchliefen ihre nicht einfache Geschichte mit den Caudillos und Militärherrschern, mit Oligarchen und Aufständen. Aber es war auch eine Geschichte, in der sich eine eigene Kultur und Identität bilden konnte. Unabhängigkeit – das bedeutet auch, dass sich die Länder heute nicht mehr über ihren ehemaligen Status als Kolonie identifizieren. Das ist einer der Gründe, weswegen der Papst zu den Feiern über den Atlantik fliegt.

Lange Zeit hatte es geheißen, dass die Kirche dieser Unabhängigkeit im Wege stehe. Gerade in Mexiko war diese antikirchliche Einstellung Teil des bürgerlichen Bewusstseins, die Kirchenverfolgungen sind noch nicht lange vorbei. Erst vor einigen Wochen ist die Religionsfreiheit Teil der Verfassung Mexikos geworden. Auch das ist Teil der Geschichte der Unabhängigkeit. Ein mühsamer Weg, auch für die Kirche.

Die Herausforderungen der Gegenwart sind neuer Art. In einer zunehmend multipolaren Welt, in der nicht mehr allein Europa und die USA den Ton vorgeben, werden die Länder des Südens zunehmend eigenständiger. Gerade Brasilien und auch Chile sind Beispiele für wirtschaftliche Schwellenländer, andere Staaten tun sich da aber noch etwas schwerer. Aber die Tendenz ist eindeutig. Zur wirtschaftlichen Entwicklung gesellt sich auch die kultur und das Selbstbewusstsein, gesellt sich die identität der Ureinwohner und das Verständnis der eigenen Rolle in der Welt. Noch einmal der Philosoph Eduardo Galleano:

„Ich glaube, dass auf diesem Kontinent zur Zeit wichtige Dinge geschehen. Es ist wie eine Art Wiedergeburt in einigen Lateinamerikanischen Ländern, die ein Bewusstsein für ihre Würde entwickeln, das verloren schien. Oder zumindest betäubt. Und das jetzt mit großer Kraft erwacht.“

(rv 23.03.2012 ord/vp)







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