„Christen im Nahen
Osten – wohin?“ Das war der – etwas trostlose – Titel einer Konferenz, zu der letzte
Woche der jordanische Prinz Hassan Ibn Talal, eine feste Größe im interreligiösen
Dialog, nach Amman eingeladen hat. „Die arabischen Christen sind Araber, und außerdem
sind sie Pioniere des arabischen Denkens und der arabischen Erneuerung“, gab der Prinz
als Leitlinie vor. Das Treffen von Amman fand keine große Medien-Aufmerksamkeit –
dabei kam es zu einem interessanten Ergebnis: dem Entwurf einer „Arabischen Sozialen
Charta für den Schutz der Minderheiten“ nämlich.
„Prinz Hassan bat um ein
Treffen, um die ständigen Angriffe und Diskriminierungen auf Christen, die die schwächste
Gruppe im Nahen Osten sind, zu ändern.“ Das berichtet der Jesuitenpater und Islamexperte
Samir Khalil Samir, der in Amman mit dabei war. „Hassans Botschaft an die Christen
ist: Bitte bleibt hier in der Region, wir brauchen euch, ihr gehört zu unserer arabischen
Gesellschaft! Die Bedingung für ein Bleiben der Christen ist allerdings, dass sie
von den Verfassungen der einzelnen Länder als echte Staatsbürger anerkannt werden,
dass sie dieselben staatsbürgerlichen Rechte haben und alle gleich sind vor dem Gesetz.
Das ist der Schwachpunkt in den muslimischen Gesellschaften.“
Es gab intensive
Debatten auf der Konferenz, die vom Jordanischen Königlichen Institut für interreligiöse
Studien ausgerichtet wurde – einer Einrichtung, die Hassan 1994 gegründet hat. Gastgeber
waren außerdem die syrisch-orthodoxe Erzdiözese von Aleppo in Syrien und das „Zentralkomitee
der Mennoniten“. Die Teilnehmer kamen aus Jordanien selbst, Syrien, dem Libanon, Palästina
(aber nicht Israel), Irak, Ägypten, dem Sudan und Iran. Sie alle zeichnen verantwortlich
für den Entwurf der „Arabischen Sozialen Charta“, der jetzt in die verschiedenen Arabischen
Frühlinge in der Region eingespeist werden soll.
„Um es einfach zu sagen:
Die Charta will einfach die UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 konkret auf diese
Länder anwenden. Bisher geschieht das de facto nicht. Gefordert wird Gleichheit: Gleichheit
zwischen allen Gruppen, auch religiösen; Gleichheit zwischen Mann und Frau; zwischen
Gläubigen und Nichtgläubigen, zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Das ist der erste
Punkt. Der zweite ist Demokratie. Jeder Muslim würde sofort sagen: Demokratie ist
etwas Typisches für den Islam, schließlich haben wir schon seit Mohammeds Zeiten das
System der Schura, also des Ratschlagens. Aber das hat nichts mit Demokratie zu tun,
es ist nur ein Aspekt von ihr – ein kleiner.“
Muslime sagten in der Regel
auch: Wir machen keine Unterschiede zwischen den Menschen. Aber wenn man den Koran
lese, so Pater Samir, dann entdecke man, dass da doch häufig unterschieden werde:
zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, Mann und Frau, Muslimen und Nichtmuslimen…
„Darum brauchen wir eine Charta, die der UNO-Menschenrechtserklärung entspricht.
Muslime tendieren dazu, alles aus dem Koran zu entwickeln, aber der Koran spiegelt
die Lage des siebten Jahrhunderts in der arabischen Wüste wider…“
Dass
die islamische Universität al-Azhar von Kairo schon eine Erklärung für Religionsfreiheit
abgegeben hat, ist aus der Sicht von Pater Samir kein Ersatz für eine „Arabische Soziale
Charta“.
„Al-Azhar hat nicht die Möglichkeit eines Übertritts vom Islam
zum Christentum oder beispielsweise zum Judentum erwähnt. Sie hat auch nicht die Möglichkeit
des Atheismus, des Nichtglaubens, erwähnt – auch das gehört zur Religionsfreiheit.
Stattdessen spricht al-Azhar nur in allgemeinen Wendungen. Zum Beispiel gibt es immer
noch den Artikel zwei in der ägyptischen Verfassung, der die Scharia zur Inspiration
der Gesetzgebung erklärt – und wenn man die Scharia wörtlich anwendet, bedeutet sie
die Todesstrafe für jemanden, der vom Islam zum Christentum übertritt und dazu öffentlich
steht. Wenn er also proklamiert: Ich bin ein Christ, dann muss er getötet werden.
Wo ist da die Religionsfreiheit? Selbst in Ägypten, wo al-Azhar sie proklamiert, besteht
sie nur theoretisch.“
Der Großimam von Saudi-Arabien, also der führenden
muslimischen Nation in der Welt, habe sich kürzlich für eine Zerstörung aller christlichen
Kirchen und Gemeinden auf der Arabischen Halbinsel eingesetzt, erinnert Pater Samir.
Er bezieht sich auf eine Fatwa von Scheich Abdulasis bin Abdullah, der auch stellvertretender
saudischer Justizminister ist. Der Text des Rechtsgutachtens, das von kuwaitischen
Parlamentariern erbeten wurde, wurde jetzt bekannt. Insgesamt gibt es rund 1.300 Kirchen
und christliche Gemeinden auf der Arabischen Halbinsel. Pater Samir dazu:
„Das
gründet nicht auf Fanatismus; stattdessen sagt er: Nein, ich wende ganz einfach die
Scharia an. Es gibt nämlich ein Hadith, also einen Ausspruch des Propheten Mohammed,
das sagt: Es darf in Arabien nicht zwei Religionen gleichzeitig geben. Und das bedeutet:
Es kann nur eine geben – das ist der Islam! Mit Blick darauf sage ich: Wir brauchen
keine allgemeinen Bekräftigungen in der Art von: Wir sind für Demokratie, wir sind
für Religionsfreiheit usw. Das sind nur Worte, und von denen haben wir genug! Wir
brauchen eine Wende in den Verfassungen, in den Gesetzen, in der Praxis!“
Neben
dem Entwurf der „Arabischen Sozialen Charta“ hat die Konferenz von Amman noch ein
zweites Ergebnis: Geplant ist die Gründung einer Einrichtung, die die Religionsfreiheit
in der Region beobachtet und Informationen zu diesem Thema sammelt. Von Amman ist
nach dem Streit über die „Regensburger Rede“ von Papst Benedikt XVI. übrigens im Jahr
2006 auch der Brief von islamischen Rechtsgelehrten an den Vatikan ausgegangen. Er
bildet den Ausgangspunkt für einen anhaltenden und hochkarätigen katholisch-islamischen
Dialog. Diese Dialogschiene zum Islam ist für den Vatikan noch wichtiger geworden,
seit die Kairoer al-Azhar-Universität letztes Jahr, kurz vor Ausbruch des Arabischen
Frühlings, ihre Gespräche mit dem Heiligen Stuhl auf Eis gelegt hat. Ursache der Verstimmung,
die bis heute nicht ausgeräumt ist, waren einige deutliche Worte des Papstes zum Thema
Religionsfreiheit in islamischen Ländern in seiner Neujahrsansprache 2011.