2012-03-21 10:50:56

Jordanien: Für eine „Arabische Soziale Charta“


RealAudioMP3 „Christen im Nahen Osten – wohin?“ Das war der – etwas trostlose – Titel einer Konferenz, zu der letzte Woche der jordanische Prinz Hassan Ibn Talal, eine feste Größe im interreligiösen Dialog, nach Amman eingeladen hat. „Die arabischen Christen sind Araber, und außerdem sind sie Pioniere des arabischen Denkens und der arabischen Erneuerung“, gab der Prinz als Leitlinie vor. Das Treffen von Amman fand keine große Medien-Aufmerksamkeit – dabei kam es zu einem interessanten Ergebnis: dem Entwurf einer „Arabischen Sozialen Charta für den Schutz der Minderheiten“ nämlich.

„Prinz Hassan bat um ein Treffen, um die ständigen Angriffe und Diskriminierungen auf Christen, die die schwächste Gruppe im Nahen Osten sind, zu ändern.“ Das berichtet der Jesuitenpater und Islamexperte Samir Khalil Samir, der in Amman mit dabei war. „Hassans Botschaft an die Christen ist: Bitte bleibt hier in der Region, wir brauchen euch, ihr gehört zu unserer arabischen Gesellschaft! Die Bedingung für ein Bleiben der Christen ist allerdings, dass sie von den Verfassungen der einzelnen Länder als echte Staatsbürger anerkannt werden, dass sie dieselben staatsbürgerlichen Rechte haben und alle gleich sind vor dem Gesetz. Das ist der Schwachpunkt in den muslimischen Gesellschaften.“

Es gab intensive Debatten auf der Konferenz, die vom Jordanischen Königlichen Institut für interreligiöse Studien ausgerichtet wurde – einer Einrichtung, die Hassan 1994 gegründet hat. Gastgeber waren außerdem die syrisch-orthodoxe Erzdiözese von Aleppo in Syrien und das „Zentralkomitee der Mennoniten“. Die Teilnehmer kamen aus Jordanien selbst, Syrien, dem Libanon, Palästina (aber nicht Israel), Irak, Ägypten, dem Sudan und Iran. Sie alle zeichnen verantwortlich für den Entwurf der „Arabischen Sozialen Charta“, der jetzt in die verschiedenen Arabischen Frühlinge in der Region eingespeist werden soll.

„Um es einfach zu sagen: Die Charta will einfach die UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 konkret auf diese Länder anwenden. Bisher geschieht das de facto nicht. Gefordert wird Gleichheit: Gleichheit zwischen allen Gruppen, auch religiösen; Gleichheit zwischen Mann und Frau; zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Das ist der erste Punkt. Der zweite ist Demokratie. Jeder Muslim würde sofort sagen: Demokratie ist etwas Typisches für den Islam, schließlich haben wir schon seit Mohammeds Zeiten das System der Schura, also des Ratschlagens. Aber das hat nichts mit Demokratie zu tun, es ist nur ein Aspekt von ihr – ein kleiner.“

Muslime sagten in der Regel auch: Wir machen keine Unterschiede zwischen den Menschen. Aber wenn man den Koran lese, so Pater Samir, dann entdecke man, dass da doch häufig unterschieden werde: zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, Mann und Frau, Muslimen und Nichtmuslimen…

„Darum brauchen wir eine Charta, die der UNO-Menschenrechtserklärung entspricht. Muslime tendieren dazu, alles aus dem Koran zu entwickeln, aber der Koran spiegelt die Lage des siebten Jahrhunderts in der arabischen Wüste wider…“

Dass die islamische Universität al-Azhar von Kairo schon eine Erklärung für Religionsfreiheit abgegeben hat, ist aus der Sicht von Pater Samir kein Ersatz für eine „Arabische Soziale Charta“.

„Al-Azhar hat nicht die Möglichkeit eines Übertritts vom Islam zum Christentum oder beispielsweise zum Judentum erwähnt. Sie hat auch nicht die Möglichkeit des Atheismus, des Nichtglaubens, erwähnt – auch das gehört zur Religionsfreiheit. Stattdessen spricht al-Azhar nur in allgemeinen Wendungen. Zum Beispiel gibt es immer noch den Artikel zwei in der ägyptischen Verfassung, der die Scharia zur Inspiration der Gesetzgebung erklärt – und wenn man die Scharia wörtlich anwendet, bedeutet sie die Todesstrafe für jemanden, der vom Islam zum Christentum übertritt und dazu öffentlich steht. Wenn er also proklamiert: Ich bin ein Christ, dann muss er getötet werden. Wo ist da die Religionsfreiheit? Selbst in Ägypten, wo al-Azhar sie proklamiert, besteht sie nur theoretisch.“

Der Großimam von Saudi-Arabien, also der führenden muslimischen Nation in der Welt, habe sich kürzlich für eine Zerstörung aller christlichen Kirchen und Gemeinden auf der Arabischen Halbinsel eingesetzt, erinnert Pater Samir. Er bezieht sich auf eine Fatwa von Scheich Abdulasis bin Abdullah, der auch stellvertretender saudischer Justizminister ist. Der Text des Rechtsgutachtens, das von kuwaitischen Parlamentariern erbeten wurde, wurde jetzt bekannt. Insgesamt gibt es rund 1.300 Kirchen und christliche Gemeinden auf der Arabischen Halbinsel. Pater Samir dazu:

„Das gründet nicht auf Fanatismus; stattdessen sagt er: Nein, ich wende ganz einfach die Scharia an. Es gibt nämlich ein Hadith, also einen Ausspruch des Propheten Mohammed, das sagt: Es darf in Arabien nicht zwei Religionen gleichzeitig geben. Und das bedeutet: Es kann nur eine geben – das ist der Islam! Mit Blick darauf sage ich: Wir brauchen keine allgemeinen Bekräftigungen in der Art von: Wir sind für Demokratie, wir sind für Religionsfreiheit usw. Das sind nur Worte, und von denen haben wir genug! Wir brauchen eine Wende in den Verfassungen, in den Gesetzen, in der Praxis!“

Neben dem Entwurf der „Arabischen Sozialen Charta“ hat die Konferenz von Amman noch ein zweites Ergebnis: Geplant ist die Gründung einer Einrichtung, die die Religionsfreiheit in der Region beobachtet und Informationen zu diesem Thema sammelt. Von Amman ist nach dem Streit über die „Regensburger Rede“ von Papst Benedikt XVI. übrigens im Jahr 2006 auch der Brief von islamischen Rechtsgelehrten an den Vatikan ausgegangen. Er bildet den Ausgangspunkt für einen anhaltenden und hochkarätigen katholisch-islamischen Dialog. Diese Dialogschiene zum Islam ist für den Vatikan noch wichtiger geworden, seit die Kairoer al-Azhar-Universität letztes Jahr, kurz vor Ausbruch des Arabischen Frühlings, ihre Gespräche mit dem Heiligen Stuhl auf Eis gelegt hat. Ursache der Verstimmung, die bis heute nicht ausgeräumt ist, waren einige deutliche Worte des Papstes zum Thema Religionsfreiheit in islamischen Ländern in seiner Neujahrsansprache 2011.

(rv 21.03.2012 sk)







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