Im Umgang mit dem
Nationalsozialismus hat der Heilige Stuhl früher als andere politische Akteure erkannt,
dass mit Hitler-Deutschland nicht zu verhandeln war. Das sagt der Kirchenhistoriker
Thomas Brechenmacher mit bezug auf die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ im Gespräch
mit uns. Das Lehrschreiben von Pius XI. erschien vor genau 75 Jahren, am 14. März
1937, und ist bis heute die einzige Enzyklika in deutscher Originalsprache.
Es
war ein gewagtes Unternehmen – ein offener Affront gegen Hitler-Deutschland, ausgehend
vom Papst, dem Oberhaupt der katholischen Kirche. „Mit brennender Sorge“ schreibt
Pius XI., dem nur noch zwei Jahre blieben, an die Gläubigen in Deutschland. „Mit brennender
Sorge und steigendem Befremden beobachten wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der
Kirche, die wachsende Bedrängnis der ... Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes
und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus
...gebracht hat.“
„Die Enzyklika wurde geheim nach Deutschland gebracht,
am Palmsonntag des Jahres 1937 von den Kanzeln verlesen, und das war im Grund schon
eine Brüskierung des nationalsozialistischen Überwachungsapparates, weil die relativ
wenig mitbekommen haben. Es war eine Überraschung.“
Sagt Thomas Brechenmacher,
der in Potsdam Zeitgeschichte mit Schwerpunkt deutsch-jüdischer Geschichte lehrt.
Die Inhalte des Brandbriefs aus Rom fasst er folgendermaßen zusammen:
„Mit
brennender Sorge befasst sich zunächst mit der Haltung der Nazis gegenüber der katholischen
Kirche in Deutschland, und da wird sehr deutlich gesagt, dass die Nationalsozialisten
in Deutschland einen Vernichtungskampf gegen die katholische Kirche führen. Im zweiten,
dem dogmatischen Teil, werden dann zentrale domatische Inhalte des christlichen Glaubens
wie Gottesglaube, Christusglaube, Kirchenglaube, Grundsätze über Moral, Sittlichkeit
und Naturrecht den Irrtümern der nationalsozialistischen Ideologie gegenübergestellt,
zb es gebe eine nationale Religion, man müsse sich vom alten Testament als einem jüdischen
Einfluss verabschieden, Recht ist, was dem Volke nützt undsoweiter. Also im zweiten
Teil stellt die Enzyklika zentrale Glaubenssätze der christlichen Lehre gegen diese
als Irrtümer qualifzierten Inhalte der nationalsozialistischen Ideologie.“
Zum
Schluss richtet Papst Pius noch ein väterliches, ermahnendes und tröstendes Wort an
die Katholiken in Deutschland. Doch der friedliche Ausklang unterstreicht geradezu
das vorher gesprochene vernichtende Urteil über den Nationalsozialismus. „Mit brennender
Sorge“ ist nichts anderes als, so formuliert es Brechenmacher „eine Generalverurteilung
der nationsozialistischen Herrschaftspraxis und ihrer weltanschaulichen Grundlagen“
durch den Papst. Die Nationalsozialisten reagieren scharf.
„Man muss zwei
Dinge unterscheiden. zunächst die unmittelbare Reaktion. Sofort nach der Verlesung
begannen die Konfiskationen der gedruckten Exemplare, Hausdurchsuchungen, Schließungen
von katholischen Druckereien, die die Enzyklika vervielfältigt hatten. Es gab neue
Verhaftungen von Priestern, Verhöre, also eine unmittelbare, sehr heftige Welle gegen
die katholische Kirche in Deutschland. Die längerfristige Reaktion war eine Verschärfung
des Konflikts, vor allem dann die verstärkte Wiederaufnahme von Goebbels so stark
instrumentalisierten Sittlichkeits- und Devisenprozesse gegen katholische Kleriker
und Ordenseinrichtungen. Die Lage hat sich also stark verschärft, was auf der anderen
Seite den Heiligen Stuhl auch bewogen hat, im Sommer 1937 im Sinn der deutschen Katholiken
zu entscheiden, diesen Protest vielleicht etwas zurückzufahren, um nicht die Lage
noch weiter zuzuspitzen.“
Die Enzyklika war nicht bloß eine Kampfansage
des Papstes an die braune Ideologie. Sie markierte in ihrer offenen Streitbarkeit
einen echten Wendepunkt gegenüber Hitlerdeutschland. Brechenmacher:
„Man
kann im Grund zwei Phasen unterscheiden. Diese erste Phase zwischen 1933 bis zur Enzyklika
hin war lang von der Vorstellung der Politiker im Vatikan geprägt, man könne vielleicht
mit den Nationalsozialisten doch noch verhandeln und einen gewissen Modus vivendi
erreiche. Aber im Lauf der Jahre hat sich gezeigt, dass diese Möglichkeit absolut
nicht zum Ziel führte. Dieses offene Wort des Papstes jetzt, nicht nur vor der deutschen,
sondern vor der Weltöffentlichkeit, markiert insofern einen Wendepunkt, als die Zeit
des Verhandelns hier als beendet erklärt wird, und jetzt im Grund die klare Konfrontation
weltöffentlich festgestellt wird.“
Mit dieser Einschätzung, meint Brechenmacker,
war der Heilige Stuhl ziemlich früh dran. Andere politische Akteure, etwa England,
hielten noch eineinhalb Jahre an einer Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Hitler-Regime
fest.
„Die Alliierten haben ja im Grund noch bis zur Münchner Konferenz
(29. September 1938, Anm.) und darüber hinaus gehofft, verhandeln zu können. Insofern
könnte man vielleicht sogar sagen, dass der Heilige Stuhl als einer der ersten wirklich
sich klar gemacht hat, dass mit diesem Regime ein Verhandeln nicht möglich ist.“
Wie
die Enzyklika entstand, wer daran mitschrieb, wer sie redigierte, das ist eine seit
den 60er Jahren verhältnismäßig gut erforschte Angelegenheit. Die engere Arbeit an
dem Rundschreiben begann im Januar 1937, als Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli
– der spätere Papst Pius XII. - herausragende Vertreter des deutschen Episkopates,
unter ihnen den Münchner Kardinal Faulhaber, nach Rom einlud, um über die Lage in
Deutschland zu beraten. Diese Treffen in Rom fanden teils auch am Krankenbett des
schon geschwächten Papstes Pius XI. statt. Einen ersten Entwurf der Enzyklika schrieb
Kardinal Faulhaber in der Stiftung Santa Maria dell Anima innerhalb von drei Tagen
nieder. Pacelli überarbeitete den Entwurf, von ihm, der aus seinen zwölf Jahren als
Nuntius hervorragend Deutsch sprach, stammt auch der Titel. Wieviel Pius XI. steckt
in „Mit brennender Sorge“? Thomas Brechenmacher:
„Pacelli und Pius
XI. haben hier in starker Übereinstimmung gehandelt. Die Quellenlage ist in der Tat
nicht ganz eindeutig, bei anderen Enzykliken können wir sehen, wie zB Pius XI. die
Struktur vorgegeben hat. Hier ist es etwas andersherum. Faulhaber und Pacelli haben
das zusammen ausgearbeitet, aber in sehr engem Kontakt mit Pius XI. Das heißt, Pius
hat auf jeden Fall mindestens in der Schlussredaktion das Dokument gesehen, handschriftlich
noch einige kleinere Korrekturen eingearbeitet, einige Passi selbst herausgestrichen.
Wir können auch sagen, dass das auf jeden Fall ein Gemeinschaftswerk war, das die
Billigung des Papstes hatte. Pacelli hat hier nichts getan, dem der Papst nicht hätte
zustimmen können.“
Etliche Historiker mutmaßen im Gegenteil, dass Kardinalstaatssekretär
Pacelli eher als „Bremser“ des politisch couragierten Pius XI. handelte. Die Dokumente
des Vatikanischen Geheimarchivs, die bis zum Ende des Pontifikates von Pius XI. im
Februar 1939 zugänglich sind, zeichnen ein differenzierteres Bild. War Pacelli als
Kardinalstaatssekretär mutiger in der Verurteilung des Nationalsozialismus als in
späteren Jahren, als er selbst auf dem Papstthron saß? Thomas Brecdhenmacher:
„Das
ist trotz aller Aktenkenntnis, die wir inzwischen haben, eine schwer zu beantwortende
Frage. Erstmal muss man sagen, dass ein Papst anders handelt als ein Kardinalstaatssekretär,
was auch schon gewisse Unterschiede in seinen Äußerungen begründen kann. Trotzdem,
wenn ich den langen Bogen ziehe, sehe ich schon sehr deutlich, dass Pacelli von seiner
ganzen Disposition her, von seiner Stellung als Kardinalstaatsssekretär bis hin zum
Papst im Grunde gleichbleibenden Orientierungen folgte. Ich würde hier mit der Papstwahl
keinen großen Knick in den Handlungs- oder Auffassungsweisen feststellen wollen. Verglichen
mit Pius XI. sagt man gerne, Pius XI. sei manchmal aufbrausender, zupackender gewesen
als Pacelli, Pacelli feingeistiger, thoelogischer, vielleicht auch mit größerem diplomatischem
Fingerspitzengefühl. Das mag cum grano salis schon zutreffen, aber insgesamt ist klar:
beide waren sich völlig einig in der dogmatisch begründeten Ablehnung der materialistischen,
totalitaristischen Systeme, und man kann im Grund von dieser Seite her keinen Gegensatz
zwischen den beiden aufmachen.“