Vor genau einem Jahr
hielt die Welt den Atem an, als sich die Nachrichten über das schwerste Erdbeben in
der Geschichte Japans und die anschließende Flutkatastrophe verbreiteten. Der Jahrestag
der dramatischen Ereignisse im japanischen Fukushima ist Anlass weltweiten Gedenkens
in diesen Tagen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert
Zollitsch, schreibt in einer Note zum Jahrestag, dass auch ein Jahr nach diesem Unglück
die Menschen in Japan weiterhin unserer Solidarität und Unterstützung bedürfen. In
Japan steht die katholische Kirche an vorderster Front bei der Hilfe für die Opfer
der Katastrophe.
„Europa schaut auf Fukushima, auf die Nuklearkatastrophe,
doch wir dürfen nicht vergessen, dass hier auch ein Erdbeben war und ein Tsunami!
Viele Menschen, die davon betroffen waren, fühlen sich von Japan, aber auch von der
weiten Welt vergessen.“
Ein Jahr nach der verheerenden Naturkatastrophe
in Japan kann von Normalität in dem Land keine Rede sein. Im Interview mit dem Münchner
Kirchenradio erinnert Schwester Maria Caelina Mauer, die seit elf Jahren im Nordosten
Japans Kinder betreut, an die Folgen eines Unglücks, dessen Ausmaße bis heute noch
gar nicht klar sind: Beben, Tsunami und Atomkatastrophe warfen nicht nur Japans Wirtschaft
um Jahre zurück, sondern traumatisierten weite Teile der japanischen Gesellschaft,
rissen Familien auseinander und stürzten Tausende Menschen in Armut. Und auch wenn
heute, ein Jahr nach der Katastrophe, Nothilfen geleistet, Geld geflossen und die
gröbsten Folgen beseitigt scheinen, liegt doch die Psyche vieler Japaner immer noch
in Trümmern:
„Auf der einen Seite ist diese Haltung, wir schaffen das, sehr
stark in Japan und auch sehr stark hier im Nordosten. Aber wenn man mal genauer dahinter
schaut, dann merkt man: Die Arbeitslosigkeit ist enorm gestiegen in diesem Jahr, Alkoholsucht,
Depression und die Steigerung von Suiziden – das sind natürlich auch Anzeichen der
Folgen der Katastrophe.“
Das hört sich nach einem enormen Bedarf an Seelsorge
und psychosozialer Betreuung an. Dabei ist es für die japanische Regierung anscheinend
schon eine Überforderung, für die grundlegenden gesellschaftlichen Abläufe zu sorgen:
„Die versuchen im Grunde genommen, einen Perspektivplan zu erstellen, um
die Zukunft gerade an der Pazifikküste zu gewährleisten, was natürlich enorme Vorbereitungen
verlangt und wo man Vieles noch nicht planen kann, wie man es wohl möchte. Weil es
auch von der Finanzierung her ein ganz, ganz großes Problem ist. Die Präfektur Fukushima
hat da eine ganz besondere Sorge, aber nicht nur Fukushima, sondern auch die anderen
Präfekturen sitzen noch auf ihrem Müll. Sie haben noch keine Wege und Lösungen, wie
sie den Müll loswerden. Denn die anderen Landesteile wehren sich dagegen, den Müll
aufzunehmen.“
Und das aus gutem Grund: Wer will schon radioaktiv verstrahlte
Trümmer auf der eigenen Müllhalde liegen haben? Viele Präfekturen haben verseuchten
Müll und Klärschlamm schon tonnenweise verfeuert und die breite Streuung radioaktiver
Strahlung in Kauf genommen – sie wussten einfach nicht mehr, wohin damit. Auch für
die zahlreichen Flüchtlinge und Obdachlose, die ihr Hab und Gut verloren, muss der
japanische Staat eine Lösung finden – die Gegend rund um die Atomkraftwerke von Fukushima
ist weitläufig unbewohnbar geworden.
Seit elf Jahren lebt Schwester Caelina
in Japan. Das Erdbeben vom 11. März 2011 erlebte sie an ihrem Arbeitsplatz mit. Das
Kinderheim „Fujinosono“ im Norden des Landes wurde durch das Beben so stark beschädigt,
dass die Kinder, Jugendlichen und Betreuer bis heute in Notunterkünften untergebracht
sind. Schwester Caelina und ihre Mitarbeiter mussten sich nach der Katastrophe vor
allem um die psychischen Folgen kümmern, die die Kinder durch die Katastrophe erlitten.
Bis heute gebe es fast täglich noch kleine Nachbeben, berichtet Schwester Caelina:
„Bei
den Kleinkindern hat es bis zum Spätherbst gedauert, dass allmählich Ruhe reinkam.
Die Kleinkinder konnten aus Angst zum Beispiel nicht allein auf die Toilette. Es musste
nur die Waschmaschine gehen oder der Kühlschrank summen, und sie bekamen Angst. Wir
mussten immer wieder mitgehen, um ihnen die Angst zu nehmen. Jetzt ist zumindest keine
panische Reaktion mehr zu beobachten.“
Die Pastoralreferentin bei der
deutschsprachigen Gemeinde in Tokio, Vera Markert, gedenkt im Gespräch mit Radio Vatikan
den Opfern der Katastrophe, die bis heute noch nicht geborgen werden konnten:
„Es
gab über 16.000 Opfer, und es gibt immer noch Kinder unter den Trümmern in Fukushima.
Wir dürfen sie nicht vergessen!“
Es habe sich in den Köpfen der Japaner
sehr viel verändert in Sachen „Umweltschutz“, erzählt Markert:
„Viele
AKW wurden stillgelegt. Es gibt nur noch zwei Atomkraftwerke in dem Land. Doch das
hat dazu geführt, dass Japan zurück auf Kohlekraftwerke zurückgekehrt ist und das
war sehr teuer für das Land.“
Alternative Energiegewinnung sei noch
nicht sehr verbreitet, sagt uns Vera Markert von der katholischen Gemeinde in Tokio.
Solaranlagen und Windkraft gehören noch nicht zum Alltag.
Nach der Katastrophe
von Fukushima müsse es nun darum gehen, den Energieverbrauch zu verringern, die Effizienz
der Energienutzung zu verbessern und die Suche nach alternativen Energien mit aller
Kraft voranzutreiben. Das schreibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Robert Zollitsch, zum Jahrestag der Katastrophe. Die Katastrophe habe uns
gelehrt, den Blick für die Schöpfung erneut zu schärfen.