Syrien: „Knäuel von politischen und wirtschaftlichen Interessen“
Der UNO-Sondergesandte
für Syrien Kofi Annan ruft die syrischen Oppositionsgruppen dazu auf, konstruktiv
an einer Lösung des schweren Konflikts mitzuarbeiten. Der frühere UNO-Generalsekretär
wird am Wochenende in Damaskus erwartet. Zum ersten Mal seit Beginn der syrischen
Unruhen ist offenbar ein ranghohes Regierungsmitglied, nämlich der stellvertretende
Ölminister, zu den Aufständischen übergelaufen.
UNO-Nothilfekoordinatorin
Valerie Amos konnte am Mittwoch Homs besuchen – und fand die drittgrößte Stadt „total
zerstört“ und nahezu menschenleer vor. Nach schweren Kämpfen hatte die Armee die Stadt
vergangene Woche eingenommen. Seither sollen Tausende Zivilisten aus den vormals umkämpften
Stadtteilen geflohen sein. Aktivisten hatten in den vergangenen Tagen über Hinrichtungen,
Massenfestnahmen, Vergewaltigungen und Plünderungen in Homs berichtet.
Etwa
2.000 Flüchtlinge haben außerdem in den letzten Tagen die Grenze zum Libanon überschritten
– erklärt zumindest die UNO. Pater Paul Karam, der Direktor der Päpstlichen Missionswerke,
will das im Gespräch mit uns nicht bestätigen. Und er zeigt deutliche Sorge, dass
eine Flüchtlingswelle aus Syrien den Libanon (wieder) destabilisieren könnte.
„Wir
haben diese Zahl, die die UNO angibt, hier nicht gesehen! Der Libanon ist jedenfalls
ein kleines Land und kann nicht alle Flüchtlinge stabil aufnehmen. Wir haben schon
die Erfahrung mit palästinensischen Flüchtlingen gemacht, die seit über sechzig Jahren
hier sind, und fragen uns: Was haben wir denn erreicht, welche friedliche Lösung kann
es denn geben, wenn ein Volk vertrieben wird und in einer anderen Nation in Zelte
gesperrt wird – ist das die Lösung, die die internationale Gemeinschaft will? Das
libanesische Volk ist wirklich sehr gastfreundlich, aber es braucht Hilfe. Man kann
nicht einfach sagen: Kommt hierhin, hier könnt ihr ewig bleiben. Nein! Das ist nicht
gerecht!“
Was in Syrien derzeit geschehe, gehe alle Menschen in der Region
an, sagt Pater Karam: „Und die Lage ist nicht so, dass wir besonders beruhigt sein
könnten.” Keiner wisse, wie der syrische Konflikt enden werde, aber die Gefahren seien
groß, schließlich gebe es in der Region „ein Knäuel von politischen und wirtschaftlichen
Interessen“. In einer solchen Lage solle der Westen sich bitte um „mehr Gleichgewicht“
bemühen „und nicht zuerst an seine eigenen Interessen denken“.
„Was passiert
denn gerade in diesem Prozess, der Arabischer Frühling heißt? Wenn das Ergebnis ein
jeweils strengeres Regime als das frühere ist, dann werden wir nie einen wirklichen
Arabischen Frühling haben, dann wird das zu einem strengen Winter. Ich will es klar
sagen: Erst wenn es in all diesen arabischen Ländern Religions- und Meinungsfreiheit
gibt, erst dann können wir überhaupt damit anfangen, von einem Klima der Demokratie
zu sprechen!“