UN-Bericht zur Religionsfreiheit: „Enttäuschung über arabischen Frühling“
Von bürokratischen
Hürden für Religionsgemeinschaften bis zur blutigen Verfolgung religiöser Minderheiten
– religiöse Diskriminierung hat viele Gesichter. Ebenso vielfältig sind die Ursachen
für die Einschränkung der Religionsfreiheit, sie reichen von politischem Kalkül und
Machtwillen bis hin zu Vorurteilen und niederen Instinkten. Der deutsche UN-Sonderberichterstatter
für Religions- und Glaubensfreiheit Heiner Bielefeldt stellt an diesem Dienstag im
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf seinen Jahresbericht zur Religionsfreiheit
vor. Im Vorab-Interview mit dem Kölner Domradio erläutert der katholische Theologe
anhand von Beispielen, wie sich religiöse Diskriminierung heute zeigt:„Diskriminierungen
können zum Beispiel darin bestehen, dass bestimmte religiöse Gruppen, Minderheiten
sich jedes Jahr neu registrieren lassen müssen; die müssen also immer wieder bürokratische
Verfahren durchlaufen. Ohne Registrierung gelten ihre Aktivitäten zum Teil als illegal.
In vielen Staaten ist es so, dass es nur ein bestimmtes Set von erlaubten religiösen
Optionen gibt. Da kann man entweder Jude, Christ oder Moslem sein - für Zeugen Jehovas
und andere ist überhaupt kein Platz vorgesehen. Dann ist die Schulsituation ein wichtiger
Punkt: Es gibt Länder wie Saudi-Arabien, wo auch innerislamische Minderheiten erleben,
dass ihnen in der Schule ein Lehrplan aufgedrückt wird, wonach sie eine ganz bestimmte
Interpretation des sunnitischen Islam lernen und als Voraussetzung auch der Schulabschlüsse
entsprechende Kurse belegen müssen.“ Eine ernüchternde Zwischenbilanz zur Situation
religiöser Minderheiten in den Ländern des arabischen Frühlings zieht Bielefeldt mit
Blick auf die Hoffnungen der Christen in der Region: „Es ist ganz viel Ernüchterung
eingetreten. Die Hoffnungen junger Menschen, die vor einem Jahr in Ägypten noch sehr
hochgeschraubt waren, dass sich auch für Minderheiten neue Möglichkeiten auftun würden,
sind zu einem großen Teil mittlerweile zurückgegangen. Es ist in Teilen der Bevölkerung
regelrecht Verbitterung eingetreten. Diejenigen, die damals auf die Straße gegangen
sind, fühlen sich um die Früchte der Revolution betrogen. Wenn man sich erinnert:
Genau vor einem Jahr gab es zum Teil auch bewegende Bilder von Kopten und Muslimen,
die gemeinsam auf dem Tahrir-Platz demonstriert und sich sogar zum Teil gegenseitig
den Rücken freigehalten haben. Das sollte man nicht vergessen: dieses Potential der
Zusammenarbeit, das es gibt. Das sind auch wichtige historische Erfahrungen.“ Auch
wenn hier viele Hoffnungen geplatzt seien, dürfe man trotzdem das Potential der Gesellschaft
nie unterschätzen, räumt Bielefeldt weiter ein. Nach dem Ergebnis der jüngsten Wahlen
sei in Ägypten allerdings zu befürchten, dass im Land eine harsche Religionspolitik
Einzug halten werde, die die Dominanz des Islam weiter stärken werde. Bielefeldt
arbeitet als unabhängiger Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit
im Auftrag des Menschenrechtrats. In halbjährigen Berichten stellt er die Situation
der Religionsfreiheit in den verschiedenen Ländern der Welt vor und gibt konkrete
Empfehlungen für deren Verbesserung. Das Amt des UN-Sonderberichterstatters wurde
1986 geschaffen, Bielefeldt übernahm die Position 2010. Seit 1986 verschickten die
bisherigen vier Sonderberichterstatter 1.250 Protestbriefe an Regierungen in 130 Ländern.
Sie setzten sich für Menschen ein, die in ihrer Religionsausübung behindert oder wegen
ihres Glaubens diskriminiert wurden. (domradio 06.03.2012 pr)