Nahaufnahme: Die Ausstellung über das Vatikanische Geheimarchiv
Zappendustere Räume, verwehrter Eintritt, verstaubte Folianten mit vielen, vielen
streng geheimen Geheimnissen – so präsentiert sich nach landläufiger Auffassung das
vatikanische Geheimarchiv. Die päpstliche Dokumentensammlung ist in Wirklichkeit gut
ausgeleuchtet und jedem Wissenschaftler mit seriösem Forschungsvorhaben zugänglich,
egal welcher Weltanschauung. „Die Aufgabe eines jeden Archivs, auch des unseren, ist
es nicht zu verstecken, sondern seine Dokumente so bekannt wie möglich zu machen“,
sagt Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. 2012 feiert
die päpstliche Dokumentensammlung ihr 400-jähriges Bestehen in der heutigen Form.
Aus diesem Anlass wurde an diesem Mittwoch eine große Ausstellung mit 100 ausgewählten
Dokumenten eröfnet: Lux in Arcana. Ort der Ausstellung ist nicht der Vatikan, sondern
sind die kapitolinischen Museen in Rom. Präfekt Sergio Pagano:
„Das hat teils
logistische Gründe. Es ist nämlich sehr kompliziert, großen Besuchermengen die Tore
in den Vatikan zu öffnen. Außer bei den Museen, die aber schon von Haus aus viel Andrang
haben. Aber es gibt auch einen ideellen Grund: Wir möchten zeigen, dass das Archiv
nichts verstecken will. Man kennt ja gewisse Romanciers und Krimi-Autoren, die im
negativen Sinn großes Interesse hervorrufen. Wir stehen aber nun im Dienst der Kultur.
In der Ausstellung zeigen wir Dokumente von hohem historischem Interesse, die erstmals
den Vatikan verlassen und auf italienischen Boden wandern; die vatikanischen Autoritäten
haben das anstandslos genehmigt.“
Es ist bekannt, das das Vatikan-Archiv
„geheim“ heißt, weil es das Privatarchiv der Päpste ist, und nicht weil dort alles
unter Verschluss bleiben soll. Wird nun eine solche Ausstellung wirklich Vorbehalte
gegen die Öffnungspolitik des Archivs abbauen können?
„Ich fürchte nicht:
Vorurteile gibt es immer, und wenn jemand auch angesichts großen Freimuts das Gegenteil
glauben will, dann steht ihm das frei! Dennoch glaube ich, dass die Ausstellung dazu
beiträgt, falsche Hypothesen über die Geheimnisse des Vatikans abzubauen. Denn über
die Dokumente hinaus wird es auch Filme geben, man sieht die Räume des Geheimarchivs,
die unterirdischen Magazine, die Leute, die dort arbeiten, die Büros und Werkstätten.
Nichts bleibt verborgen: Wer die Ausstellung sieht, kann sich ein Bild über die tatsächliche
Wirklichkeit des Geheimarchivs machen.“
100 Dokumente werden für die Ausstellung
ausgewählt. Das ist sehr wenig angesichts der Abermillionen vorhandenen Dokumente:
85 Regalkilometer füllen sie. Nach welchen Kriterien haben Sie die Ausstellungsstücke
ausgesucht?
„Die Ausstellung wird, so hoffen wir, von einer großen Zahl
Besucher aus verschiedenen Kontinenten besucht werden. Auch von Leuten verschiedenen
Glaubens, nicht nur Christen. Da gibt es also zunächst geographische Kriterien: So
viele Dokumente wie möglich aus der ganzen katholischen Welt zu zeigen, wo überall
die Kirche präsent ist. Dann: der materielle und der ästhetische Wert der Dokumente.
Das vielleicht schönste, wertvollste Stück in der Ausstellung wird ein Brief von Philipp
II. von Spanien sein, das ein Goldsiegel von mehr als 900 Gramm trägt, also fast ein
Kilo Gold. Das zeigt den Reichtum Spaniens in jenem Moment. Es wird also eine Schau
mit großer Bandbreite.“
Rund zehn Dokumente betreffen unmittelbar den deutschen
Sprachraum. Eines davon ist das Wormser Konkordat.
„Das Konkordat von
Worms ist ein ganz einzigartiges Dokument, eines der wertvollsten unseres Archivs.
Es ist der Friedensschluss zwischen Papst Calixt II. und Heinrich V. im Jahr 1122,
der Schlussstrich unter den Investiturstreit. Der Kaiser verpflichtet sich gegenüber
dem Papst, sich nicht länger einzumischen in die Ernennung von Bischöfen. Einzigartig
ist das Dokument deshalb, weil es nur in zwei Exemplaren existierte: eines für den
Kaiser, eines für den Papst. Wir haben das Exemplar des Papstes, während das des Kaisers
leider verloren ging. Geschrieben ist es auf sehr grobem Pergament, und mit der Unterschrift
dese Kaisers in Kreuzform mit verschiedenfarbiger Tinte.“
Von hohem historischem
Wert sind auch die Dokumente zu Martin Luther.
„In der Ausstellung ist
zu sehen das Register, das die Bulle Exsurge domine von 1520 beinhaltet. Damit verurteilte
Leo X. die Thesen Luthers. Im selben Register ist auch die Bulle verzeichnet, mit
der Luther exkommuniziert wurde. Das ist ein päpstliches Register, also ein schmuckloses
Verwaltungsdokument, aber eben mit sehr weitreichenden Folgen. Auch weil die originalen
Bullen, die nach Deutschland geschickt wurden, von Luther bekanntlich verbrannt wurden.
Das heißt, man kennt nicht den Wortlaut des Textes, außer durch spätere Kopien.“
Die
reformatorische Kirchenspaltung ist derart bedeutend, dass noch ein zweites Dokument
über Luther in der Ausstellung zu sehen ist: das Wormser Edikt von Karl V. gegen Martin
Luther von bezüglich 1521, die Verhängung der Reichsacht für den Reformator.
Die
übrigen Dokumente, die den deutschen Sprachraum betreffen, sind in chronologischer
Reihenfolge: aus dem Jahr 962 das Privilegium Ottonianum von Otto I., eine Bestätigung
des Kirchenstaates. Dann das Wormser Konkordat von 1122 zwischen Papst Calixt II.
und Heinrich V., das den Investiturstreit über die Einsetzung von Bischöfen beendete.
Aus dem Jahr 1164 stammt ein kaiserliches Dokument von Friedrich I. Barbarossa. Es
folgen zwei päpstliche Bullen, die deutsche Kaiser betreffen, nämlich aus dem Jahr
1245die Bulle Papst Innozenz IV. zur Absetzung Kaiser Friedrich II.; und die Bulle
Clemens VII. zur Kaiserkrönung von Karl V. aus dem Jahr 1530. Aus dem Jahr 1770 stammt
ein Dokument, das Wolfgang Amadeus Mozart betrifft: die Verleihung des „Goldsporns“
an den erst 14-jährigen Musiker. Bischof Pagano:
„Mozart kam nach Rom,
für eine Reise mit dem Vater. Berühmt ist, dass er in der Sixtinischen Kapelle das
Miserere von Allegri hörte, das er dann Ton für Ton nur vom Hören her niedergeschrieben
haben soll. Da der 13jährige so berühmt war, wollte ihn der Papst in Privataudienz
empfangen, und dabei verlieh er ihm eine sehr hohe Auszeichnung, den so genannten
Goldsporn, mit dem auch ein Titel verbunden war, „Palatin-Graf“. Das zeigt die Wertschätzung,
die der Papst für den jungen Musiker hat, denn der Goldsporn wurde nur sehr selten
verliehen.“
Auch ein Brief der österreichischen Kaiserin Elisabeth, genannt
Sissi, von 1868 wird in der Ausstellung zu sehen sein.
„Das ist ein persönlicher
Brief an Papst Pius IX., einfach ein Grußbrief, aber handgeschrieben, und da Elisabeth
so berühmt war und heute noch populär ist, haben wir ihr Schreiben in die Ausstellung
aufgenommen.“
Geöffnet sind die Bestände des Vatikanischen Geheimarchivs
bis Februar 1939. Noch unter Verschluss hingegen sind alle Bestände ab dem Pontifikat
von Pius XII.; sie werden derzeit geordnet. Dennoch werden in der Ausstellung auch
einige wenige Dokumente aus der Zeit des 2. Weltkriegs zu sehen sein, allerdings aus
Beständen, die bereits der Forschung offen stehen. Unter anderem plant Pagano ein
Dokument zu zeigen, das das Leben in einem Konzentrationslager beleuchtet: den Brief
eines Gefangenen oder eines Angehörigen etwa. Allerdings wird sich dies erst im Dezember
konkretisieren. Fest steht, dass eine Nachfrage nach dem Schicksal von Edith Stein
und ihrer ebenfalls konvertierten Schwester Rosa Stein Teil der Ausstellung sein wird.
„Das ist ein Dokument des vatikanischen Informationsbüros über Kriegsgefangene.
Dieser Bestand gehört auch zum Geheimarchiv und ist sehr umfangreich, fast zweieinhalb
Millionen Blätter. Es sind Informationen über alle Kriegsgefangenen, übe deren Verbleib
der Heilige Stuhl Nachforschungen anstellte, Menschen, die auf den Schlachtfeldern
geblieben waren, in den KZs, auf den Kriegsschiffen. Denn die Angehörigen wandten
sich in solchen Fällen oft an den Papst und den Vatikan auf der Suche. Und unter diesen
war auch eine Anfrage nach 1945 nach dem Verleib von Edith Stein und ihrer Schwester
Rosa. Der Heilige Stuhl suchte in seinen Unterlagen, und der Substitut Montini, der
spätere Papst Paul VI., antwortete der Familie. Die Schwestern waren bis 1944 im Kloster,
danach wurden sie deportiert.“
Wann werden die Bestände zum 2. Weltkrieg
freigegeben? Dazu Präfekt Pagano im September 2010:
„Die Öffnung des gesamten
Pontifikates von Pius XII. von 1939 bis 1958 wird seit nunmehr fünf Jahren vorbereitet.
Sechs bis sieben Archivisten arbeiten ausschließlich daran. Aber wir brauchen noch
drei bis vier Jahre, um die Dokumente zu ordnen. Danach werden wir dem Heiligen Vater
unsere Arbeit unterbreiten, der die letzte Entscheidung über die Öffnung trifft.“
Wird es Überraschungen geben?
„ Mein Eindruck ist, dass sich
das, was die Historiker über Pius XII. schon herausgefunden haben, bestätigen wird.
Gewiss, es wird auch neue Aspekte an diesem Pontifikat geben, aber doch in engen Grenzen.“
(Der vorliegende Archivbeitrag wurde am 7.9.2011 bei uns ausgestrahlt.)