2012-02-29 13:23:35

Nahaufnahme: Die Ausstellung über das Vatikanische Geheimarchiv


Zappendustere Räume, verwehrter Eintritt, verstaubte Folianten mit vielen, vielen streng geheimen Geheimnissen – so präsentiert sich nach landläufiger Auffassung das vatikanische Geheimarchiv. Die päpstliche Dokumentensammlung ist in Wirklichkeit gut ausgeleuchtet und jedem Wissenschaftler mit seriösem Forschungsvorhaben zugänglich, egal welcher Weltanschauung. „Die Aufgabe eines jeden Archivs, auch des unseren, ist es nicht zu verstecken, sondern seine Dokumente so bekannt wie möglich zu machen“, sagt Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. 2012 feiert die päpstliche Dokumentensammlung ihr 400-jähriges Bestehen in der heutigen Form. Aus diesem Anlass wurde an diesem Mittwoch eine große Ausstellung mit 100 ausgewählten Dokumenten eröfnet: Lux in Arcana. Ort der Ausstellung ist nicht der Vatikan, sondern sind die kapitolinischen Museen in Rom. Präfekt Sergio Pagano:

„Das hat teils logistische Gründe. Es ist nämlich sehr kompliziert, großen Besuchermengen die Tore in den Vatikan zu öffnen. Außer bei den Museen, die aber schon von Haus aus viel Andrang haben. Aber es gibt auch einen ideellen Grund: Wir möchten zeigen, dass das Archiv nichts verstecken will. Man kennt ja gewisse Romanciers und Krimi-Autoren, die im negativen Sinn großes Interesse hervorrufen. Wir stehen aber nun im Dienst der Kultur. In der Ausstellung zeigen wir Dokumente von hohem historischem Interesse, die erstmals den Vatikan verlassen und auf italienischen Boden wandern; die vatikanischen Autoritäten haben das anstandslos genehmigt.“

Es ist bekannt, das das Vatikan-Archiv „geheim“ heißt, weil es das Privatarchiv der Päpste ist, und nicht weil dort alles unter Verschluss bleiben soll. Wird nun eine solche Ausstellung wirklich Vorbehalte gegen die Öffnungspolitik des Archivs abbauen können?

„Ich fürchte nicht: Vorurteile gibt es immer, und wenn jemand auch angesichts großen Freimuts das Gegenteil glauben will, dann steht ihm das frei! Dennoch glaube ich, dass die Ausstellung dazu beiträgt, falsche Hypothesen über die Geheimnisse des Vatikans abzubauen. Denn über die Dokumente hinaus wird es auch Filme geben, man sieht die Räume des Geheimarchivs, die unterirdischen Magazine, die Leute, die dort arbeiten, die Büros und Werkstätten. Nichts bleibt verborgen: Wer die Ausstellung sieht, kann sich ein Bild über die tatsächliche Wirklichkeit des Geheimarchivs machen.“

100 Dokumente werden für die Ausstellung ausgewählt. Das ist sehr wenig angesichts der Abermillionen vorhandenen Dokumente: 85 Regalkilometer füllen sie. Nach welchen Kriterien haben Sie die Ausstellungsstücke ausgesucht?

„Die Ausstellung wird, so hoffen wir, von einer großen Zahl Besucher aus verschiedenen Kontinenten besucht werden. Auch von Leuten verschiedenen Glaubens, nicht nur Christen. Da gibt es also zunächst geographische Kriterien: So viele Dokumente wie möglich aus der ganzen katholischen Welt zu zeigen, wo überall die Kirche präsent ist. Dann: der materielle und der ästhetische Wert der Dokumente. Das vielleicht schönste, wertvollste Stück in der Ausstellung wird ein Brief von Philipp II. von Spanien sein, das ein Goldsiegel von mehr als 900 Gramm trägt, also fast ein Kilo Gold. Das zeigt den Reichtum Spaniens in jenem Moment. Es wird also eine Schau mit großer Bandbreite.“

Rund zehn Dokumente betreffen unmittelbar den deutschen Sprachraum. Eines davon ist das Wormser Konkordat.

„Das Konkordat von Worms ist ein ganz einzigartiges Dokument, eines der wertvollsten unseres Archivs. Es ist der Friedensschluss zwischen Papst Calixt II. und Heinrich V. im Jahr 1122, der Schlussstrich unter den Investiturstreit. Der Kaiser verpflichtet sich gegenüber dem Papst, sich nicht länger einzumischen in die Ernennung von Bischöfen. Einzigartig ist das Dokument deshalb, weil es nur in zwei Exemplaren existierte: eines für den Kaiser, eines für den Papst. Wir haben das Exemplar des Papstes, während das des Kaisers leider verloren ging. Geschrieben ist es auf sehr grobem Pergament, und mit der Unterschrift dese Kaisers in Kreuzform mit verschiedenfarbiger Tinte.“

Von hohem historischem Wert sind auch die Dokumente zu Martin Luther.

„In der Ausstellung ist zu sehen das Register, das die Bulle Exsurge domine von 1520 beinhaltet. Damit verurteilte Leo X. die Thesen Luthers. Im selben Register ist auch die Bulle verzeichnet, mit der Luther exkommuniziert wurde. Das ist ein päpstliches Register, also ein schmuckloses Verwaltungsdokument, aber eben mit sehr weitreichenden Folgen. Auch weil die originalen Bullen, die nach Deutschland geschickt wurden, von Luther bekanntlich verbrannt wurden. Das heißt, man kennt nicht den Wortlaut des Textes, außer durch spätere Kopien.“

Die reformatorische Kirchenspaltung ist derart bedeutend, dass noch ein zweites Dokument über Luther in der Ausstellung zu sehen ist: das Wormser Edikt von Karl V. gegen Martin Luther von bezüglich 1521, die Verhängung der Reichsacht für den Reformator.

Die übrigen Dokumente, die den deutschen Sprachraum betreffen, sind in chronologischer Reihenfolge: aus dem Jahr 962 das Privilegium Ottonianum von Otto I., eine Bestätigung des Kirchenstaates. Dann das Wormser Konkordat von 1122 zwischen Papst Calixt II. und Heinrich V., das den Investiturstreit über die Einsetzung von Bischöfen beendete. Aus dem Jahr 1164 stammt ein kaiserliches Dokument von Friedrich I. Barbarossa. Es folgen zwei päpstliche Bullen, die deutsche Kaiser betreffen, nämlich aus dem Jahr 1245die Bulle Papst Innozenz IV. zur Absetzung Kaiser Friedrich II.; und die Bulle Clemens VII. zur Kaiserkrönung von Karl V. aus dem Jahr 1530. Aus dem Jahr 1770 stammt ein Dokument, das Wolfgang Amadeus Mozart betrifft: die Verleihung des „Goldsporns“ an den erst 14-jährigen Musiker. Bischof Pagano:

„Mozart kam nach Rom, für eine Reise mit dem Vater. Berühmt ist, dass er in der Sixtinischen Kapelle das Miserere von Allegri hörte, das er dann Ton für Ton nur vom Hören her niedergeschrieben haben soll. Da der 13jährige so berühmt war, wollte ihn der Papst in Privataudienz empfangen, und dabei verlieh er ihm eine sehr hohe Auszeichnung, den so genannten Goldsporn, mit dem auch ein Titel verbunden war, „Palatin-Graf“. Das zeigt die Wertschätzung, die der Papst für den jungen Musiker hat, denn der Goldsporn wurde nur sehr selten verliehen.“

Auch ein Brief der österreichischen Kaiserin Elisabeth, genannt Sissi, von 1868 wird in der Ausstellung zu sehen sein.

„Das ist ein persönlicher Brief an Papst Pius IX., einfach ein Grußbrief, aber handgeschrieben, und da Elisabeth so berühmt war und heute noch populär ist, haben wir ihr Schreiben in die Ausstellung aufgenommen.“

Geöffnet sind die Bestände des Vatikanischen Geheimarchivs bis Februar 1939. Noch unter Verschluss hingegen sind alle Bestände ab dem Pontifikat von Pius XII.; sie werden derzeit geordnet. Dennoch werden in der Ausstellung auch einige wenige Dokumente aus der Zeit des 2. Weltkriegs zu sehen sein, allerdings aus Beständen, die bereits der Forschung offen stehen. Unter anderem plant Pagano ein Dokument zu zeigen, das das Leben in einem Konzentrationslager beleuchtet: den Brief eines Gefangenen oder eines Angehörigen etwa. Allerdings wird sich dies erst im Dezember konkretisieren. Fest steht, dass eine Nachfrage nach dem Schicksal von Edith Stein und ihrer ebenfalls konvertierten Schwester Rosa Stein Teil der Ausstellung sein wird.

„Das ist ein Dokument des vatikanischen Informationsbüros über Kriegsgefangene. Dieser Bestand gehört auch zum Geheimarchiv und ist sehr umfangreich, fast zweieinhalb Millionen Blätter. Es sind Informationen über alle Kriegsgefangenen, übe deren Verbleib der Heilige Stuhl Nachforschungen anstellte, Menschen, die auf den Schlachtfeldern geblieben waren, in den KZs, auf den Kriegsschiffen. Denn die Angehörigen wandten sich in solchen Fällen oft an den Papst und den Vatikan auf der Suche. Und unter diesen war auch eine Anfrage nach 1945 nach dem Verleib von Edith Stein und ihrer Schwester Rosa. Der Heilige Stuhl suchte in seinen Unterlagen, und der Substitut Montini, der spätere Papst Paul VI., antwortete der Familie. Die Schwestern waren bis 1944 im Kloster, danach wurden sie deportiert.“

Wann werden die Bestände zum 2. Weltkrieg freigegeben? Dazu Präfekt Pagano im September 2010:

„Die Öffnung des gesamten Pontifikates von Pius XII. von 1939 bis 1958 wird seit nunmehr fünf Jahren vorbereitet. Sechs bis sieben Archivisten arbeiten ausschließlich daran. Aber wir brauchen noch drei bis vier Jahre, um die Dokumente zu ordnen. Danach werden wir dem Heiligen Vater unsere Arbeit unterbreiten, der die letzte Entscheidung über die Öffnung trifft.“

Wird es Überraschungen geben?

„ Mein Eindruck ist, dass sich das, was die Historiker über Pius XII. schon herausgefunden haben, bestätigen wird. Gewiss, es wird auch neue Aspekte an diesem Pontifikat geben, aber doch in engen Grenzen.“

(Der vorliegende Archivbeitrag wurde am 7.9.2011 bei uns ausgestrahlt.)

(rv 29.02.2012 gs)








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