Prof. Söding: „Auf der ganzen Klaviatur der Evangelisierung spielen“
Der Bochumer Neutestamentler
Thomas Söding begrüßt es, dass Papst Benedikt ein „Jahr des Glaubens“ angekündigt
hat. Im Gespräch mit Radio Vatikan gab der bekannte Theologe und Autor aber auch zu
bedenken, „dass man aber nicht nur von Rom aus den Masterplan aufstellen kann, und
dann müssen alle dem sozusagen nur folgen“.
„Ich meine, dass heute
auf der gesamten Klaviatur der Katechese, der Evangelisierung gespielt werden muss.
Und da sehe ich eben auf der einen Seite, dass die Initiativen, die jetzt starkgemacht
werden, sehr viel auf den Katechismus setzen... Aber das, was man glaubt, hängt ja
immer auch mit der Art und Weise zusammen, wie man eigentlich glaubt. Und deswegen
plädiere ich als Neutestamentler dafür, dass man mindestens ebenso stark betonen müsste:
Kenntnis der Heiligen Schrift!“
Damit meine er nicht „abprüfbares Wissen
darüber, wann welche Schriften entstanden sind“, sondern mehr Einstiegshilfen für
Menschen, die die Bibel lesen und verstehen wollen – „als eine ganz große Geschichte
des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen, als eine Sammlung von vielen auch
widersprüchlichen einzelnen Glaubensgeschichten“.
„Ich kenne viele,
die gesagt haben: Ich habe einmal versucht, die Bibel von Anfang bis Ende durchzulesen
– und die meisten sind dann so ehrlich und sagen, ich bin an einem bestimmten Punkt
gestrandet. Das kann man vielleicht auch verstehen, denn es wird einfach über längere
Zeiten hinweg zwar für jeden, der sich mit Geschichte beschäftigt, immer interessant
bleiben, aber für diejenigen, die nach der Bedeutung der Bibel heute fragen, etwas
mühsam werden. Deswegen bin ich entschieden der Auffassung, dass wir so etwas brauchen
wie eine Art Bibel für Einsteiger – für Leute, die verständlicherweise vor 1.500 Seiten
Heiliger Schrift etwas zurückschrecken und die jetzt nicht nur so etwas oberschullehrerhaft
an die Hand genommen werden, und dann werden ihnen sozusagen alle Schwierigkeiten
wegerklärt. Ich meine vielmehr, dass man erkennen kann - da hat die Bibelforschung
in der letzten Zeit auch relativ viel gemacht -: Die Bibel ist ein Buch aus vielen
Büchern, sie erzählt eine große Geschichte in vielen kleinen Geschichten. Und das
aufzuschlüsseln – den Anfang, das Ende, diese Turbulenzen, die Mitte, die durch Jesus
Christus selbst gebildet wird: So stelle ich mir vor, was eine Bibel für Einsteiger
sein könnte! Wenn man sich schon so viele Gedanken um Youcat macht (was ich sehr,
sehr gut finde): Dem müsste meines Erachtens eigentlich eine Jugendbibel an die Seite
gestellt werden.“
(rv 23.02.2012 sk)
Hier finden Sie das Interview
mit Prof. Söding im vollen Wortlaut. Die Fragen stellte Stefan v. Kempis.
„Das
Entscheidende scheint mir zunächst mal, dass es überhaupt ein Jahr des Glaubens gibt,
denn das sehe ich in einer bestimmten Linie: Nachdem das Wort Gottes in den Vordergrund
gestellt worden war, geht es jetzt in einer gewissen Konsequenz um den Glauben. In
der Tat: Wenn es um den Glauben geht, dann geht es in erster Linie um Jesus und sein
Verhältnis zu Gott. Um dieses Gottesverhältnis Jesu – wie hängt der Sohn mit dem Vater
zusammen – hat sich Joseph Ratzinger, hat sich Benedikt XVI. wahrscheinlich soviele
Gedanken gemacht wie kaum ein anderer; da hat er sicherlich seine starken Signale.“
Wir
erleben im Moment einen Boom von Jesusbüchern – ihre Qualität ist aber sehr unterschiedlich...
„Um
Jesus wird immer gestritten, das war nie anders – Gott sei dank! Das zeigt einfach,
wie bedeutend diese Gestalt gewesen ist, und sei es auch im Widerspruch. Das Entscheidende
ist, dass der Papst in seinen beiden Jesusbüchern im Grunde eine Idee gehabt hat:
die Idee, die eigentlich ganz einfach, aber doch neu zu entdecken ist, dass man Jesus
nur von Gott her verstehen kann. Oder zugespitzt formuliert: Jesus kann man nur aus
seiner Einheit mit dem Vater heraus verstehen. Das ist eine ganz klare, in gewisser
Weise auch einfache, damit auch wieder strittige These, die aber einen Schlüssel zu
sehr, sehr vielem liefert: im ersten Band zur Qualität, zur Intensität seiner Verkündigung,
und im zweiten Band dieses Zerrissensein des Leidenden, das aber von Gott her zu einer
Einheit versöhnt wird.“
Innerhalb des Neuen Testaments finden sich viele
Spannungen: Bei Johannes etwa gibt sich Jesus sehr direkt als Sohn Gottes zu erkennen,
bei Markus hingegen unterliegt das einem Schweigegebot.
„Es gibt Spannungen
innerhalb des Neuen Testaments, und die sind mir auch wichtig. Die zu harmonisieren
hilft gar nichts, sondern das war die ganz große Entscheidung der alten Kirche, zu
erkennen: Es gibt nicht nur das eine Evangelium, das ein für alle Mal alle Fragen
beantwortet, sondern immer nur bestimmte unterschiedliche, menschliche Eindrücke,
Erfahrungen, Zeugnisse, Traditionen. Vier von denen – die wichtigsten, die besten
– hat man ausgewählt, so dass man als intelligente Leserin bzw. Leser von heute auch
durch diese Evangelien hindurchgehen kann. In der Tat ist es so: Das Johannes-Evangelium
ist so etwas wie das Evangelium für die Fortgeschrittenen – allerdings ist es auch
ein Evangelium, das versucht, die Dinge ganz einfach zu machen, nämlich auf den Kern
zu konzentrieren. Auf das Gebet Jesu, auf seine Liebe zu Gott dem Vater, und auf seine
Liebe zu den Menschen. Wenn man auf die synoptischen Evangelien – Markus, Matthäus
und Lukas – zurückschaut, dann sieht man doch auf jeden Fall eines, denke ich: Für
Jesus ist nichts wichtiger als die Herrschaft Gottes. Die Herrschaft Gottes ist aber
für Jesus nicht nur ein Thema, sondern sie ist Gott selbst, der im Kommen ist! Das
große Thema der synoptischen Evangelien ist eigentlich: Wie nahe kommt Gott dem Menschen?
Und die Antwort, die die Evangelien geben – auch die nach Markus, Matthäus und Lukas
– lautet: unendlich nahe! Also meine ich, dass das Johannes-Evangelium hier eher etwas
expliziert, akzentuiert und zum Ausdruck bringt, was aber im Kern des neutestamentlichen
Evangeliums selber angelegt ist, nämlich, dass ich Botschaft und Bote nicht voneinander
trennen kann, oder dass ich Jesus nur von Gott her verstehen kann.“
Ein
Papier der Glaubenskongregation schlägt für das Jahr des Glaubens apologetische Bücher
vor. Läßt sich diese Form christlicher Schriften, die sich in der frühen Christenheit
entwickelt hat, heute sozusagen wiederbeleben?
„Die christliche Apologetik
ist ja in einer Zeit entstanden, in der andere die Meinungsführerschaft hatten und
wo sich dann alle intelligenten Köpfe des frühen Christentums, ihre Kräfte zusammennehmend,
zusammengesetzt und zunächst einmal gesagt haben: Also, liebe Leute, diese ganzen
kruden Vorurteile, die es da gegen das Christentum gibt, die haben mit Sachkenntnis
überhaupt nichts zu tun! Und vielleicht gibt es auch ein paar philosophische Gründe,
wirklich davon auszugehen, dass es nur einen Gott gibt – und natürlich wird dann jede
Vernunft wieder an die Grenze geführt angesichts des Kreuzes – das wird ja auch gar
nicht verschwiegen.
Ich meine, dass heute auf der gesamten Klaviatur der Katechese,
der Evangelisierung gespielt werden muss. Und da sehe ich eben auf der einen Seite,
dass die Initiativen, die jetzt starkgemacht werden, sehr viel auf den Katechismus
setzen, weil da eben kompakt und in unterschiedlichen Aggregatsformen für unterschiedliche
Altersklassen das, was man glaubt, zusammengefasst wird. Aber das, was man glaubt,
hängt ja immer auch mit der Art und Weise zusammen, wie man eigentlich glaubt (was
ja übrigens auch im Katechismus selbst so drinsteht). Und deswegen plädiere ich als
Neutestamentler dafür, dass man mindestens ebenso stark betonen müsste: Kenntnis der
Heiligen Schrift! „Die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen.“ Mit Kenntnis
der Heiligen Schrift meine ich jetzt nicht abprüfbares Wissen darüber, wann welche
Schriften entstanden sind, aber ich selber lese eben die Bibel als eine ganz große
Geschichte des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen, als eine Sammlung von
vielen auch widersprüchlichen einzelnen Glaubensgeschichten. Und ich bin der festen
Überzeugung, dass man die großen Begriffe, die klaren Definitionen des christlichen
Glaubens unbedingt benötigt, um sich verständlich zu machen – aber die sind leer,
wenn man nicht die Erfahrungen, wenn man nicht die Geschichte, wenn man nicht die
Menschen sieht, die überhaupt zu diesen Bekenntnissen gekommen sind! Und da ist die
Bibel das Pfund, mit dem man wuchern muss.“
Was heißt das konkret mit Blick
auf das Jahr des Glaubens?
„Ich kenne viele, die gesagt haben: Ich habe
einmal versucht, die Bibel von Anfang bis Ende durchzulesen – und die meisten sind
dann so ehrlich und sagen, ich bin an einem bestimmten Punkt gestrandet. Das kann
man vielleicht auch verstehen, denn es wird einfach über längere Zeiten hinweg zwar
für jeden, der sich mit Geschichte beschäftigt, immer interessant bleiben, aber für
diejenigen, die nach der Bedeutung der Bibel heute fragen, etwas mühsam werden. Deswegen
bin ich entschieden der Auffassung, dass wir so etwas brauchen wie eine Art Bibel
für Einsteiger – für Leute, die verständlicherweise vor 1.500 Seiten Heiliger Schrift
etwas zurückschrecken und die jetzt nicht nur so etwas oberschullehrerhaft an die
Hand genommen werden, und dann werden ihnen alle Schwierigkeiten wegerklärt. Ich meine
vielmehr, dass man erkennen kann - da hat die Bibelforschung in der letzten Zeit auch
relativ viel gemacht -: Die Bibel ist ein Buch aus vielen Büchern, sie erzählt eine
große Geschichte in vielen kleinen Geschichten. Und das aufzuschlüsseln – den Anfang,
das Ende, diese Turbulenzen sozusagen, die Mitte, die durch Jesus Christus selbst
gebildet wird: So stelle ich mir vor, was eine Bibel für Einsteiger sein könnte! Wenn
man sich schon so viele Gedanken um Youcat macht (was ich sehr, sehr gut finde): Dem
müsste meines Erachtens eigentlich eine Jugendbibel an die Seite gestellt werden.“
Wer
sollte die zusammenstellen? Die Bistümer? Jugendliche? Die vatikanische Glaubenskongregation?
„Am
besten doch zusammen! Also, jeder in seiner Art, jeder mit seiner Aufgabe. Die Glaubenskongregation
in Rom hat eine spezifische Aufgabe, die ihr so schnell auch keiner abnehmen kann;
es gibt diesen neuen Rat für die Neuevangelisierung, die werden wahrscheinlich doch
ziemlich aktiv sein.... Ich bin jetzt in Rom – darf ich sagen, dass man aber nicht
nur von Rom aus den Masterplan aufstellen kann, und dann müssen alle dem sozusagen
nur folgen? Das wird nicht klappen, wir brauchen sozusagen vieles gleichzeitig – aber
wir brauchen eben auch gute Vorlagen, gute Initiativen. Und da bin ich der Meinung:
Dieses Jahr des Glaubens, das ist etwas! Es kam ein bißchen überraschend für alle,
die die Sache nicht von Rom her kennen, deswegen gibt es wohl auch ein gewisses verhaltenes
Echo – aber es ist jedenfalls eine große Idee! Aber jetzt muss man noch mehr daraus
machen als das, was bislang für mich zu erkennen ist.“
Sollte der Papst
im Jahr des Glaubens das Credo neu für unsere Zeit formulieren, so wie es Papst Paul
VI. einmal zum Ende des Konzils getan hat (siehe unser Foto)?
„Ich persönlich
bin der Auffassung, dass das Credo das Letzte ist, was modernisiert werden muss. Das
Credo hat eine bestimmte Form, nämlich idealiter den Glauben aller zum Ausdruck zu
bringen. Das kann jetzt nicht nur die Schnittmenge der heutigen Generation sein, sondern
muss eben durch die Generationen hindurchgehen. Aber ich bin ebenso entschieden der
Meinung, dass es keine Fixierung auf diesen einen Text geben sollte! Genauso wie ich
bei der Bibel nicht der Meinung bin, dass man auf den Text fixiert sein müsste. Wir
müssen mit vielen Sprachen sprechen, wir müssen auch viele Sprecherinnen und Sprecher
gewinnen können. Und deswegen habe ich gar nichts dagegen, wenn jemand einlädt und
sagt: Jetzt sag doch mal das, was du glaubst, in deinen Worten... Aber ich finde es
auch sehr, sehr wichtig, dass das jetzt nicht irgendwie kontrolliert wird, ob das
alles richtig ist oder falsch. In Wirklichkeit geht es ja darum, durch den Kontakt
– sagen wir mal – mit dem Credo selbst eine Verbindung herzustellen, so dass mein
eigener, persönlicher Glaube, der mir wichtig bleiben kann, nicht einfach auf sich
selbst fixiert bleibt, sondern sich öffnen und den Anschluß gewinnen kann an die große
Tradition.
Umgekehrt jetzt nur das Glaubensbekenntnis zu sprechen und nicht
sozusagen den Geist des Glaubens einzuatmen, der diesen Worten Sinn verleiht – ja,
das ist ja auch nichts, worauf wir irgendetwas bauen können!“