Die wissenschaftliche
Erforschung des Petrusgrabes begann verhältnismäßig spät – 1939, als der Krieg schon
ausgebrochen war. Barbara Frale ist Historikerin und arbeitet am Vatikanischen Geheimarchiv.
Sie hat sich in einer ausschließlich auf Italienisch vorliegenden Publikation mit
dem Petrusgrab und einer historisch brisanten These dazu beschäftigt, mit der These
nämlich, dass am Ort der Ausgrabungen unter dem Petersdom geheime Treffen zum Sturz
Adolf Hitlers stattfanden. Später mehr dazu. Die Ausgrabungen ordnete 1939 niemand
anderer als der frisch gewählte Papst Pius XII. an, Eugenio Pacelli. Dazu sagte uns
Barbara Frale:
„Schon als Pacelli noch Kardinal war, gab es die Idee,
eine Ausgrabung am Petrusgrab zu machen. Die Entscheidung reifte, als man das Grab
von Papst Pius XI. in den Grotten anlegte – in einer Ecke, wo der Sarkophag nicht
genug Platz hatte. Man versuchte das besser zu lösen, machte Öffnungen im Boden, und
dabei kamen Reste von römischen Gebäuden aus der klassischen Zeit zum Vorschein. Und
vom Charakter dieser Fundstücke begriff man, dass da unten eine Nekropole war, eine
archäologische Stätte von unschätzbarem Wert.“
Dass da unten der Apostel
Petrus lag, besagte die Überlieferung. Die Faszination der Archäologie, genährt von
Generationen gerade auch deutscher Ausgräber, war seit zwei Jahrhunderten wach. Warum
diese Faszination der Archäologie, die Suche nach der greifbaren Wahrheit, bis dahin
ausgerechnet das Petrusgrab ausgespart hatte, den bedeutendsten Ort der christlichen
Archäologie in Europa, das erschließt sich dem Betrachter von heute nicht von selbst.
Die Historikerin erinnert:
„Es gab da auch ein hartnäckiges, abergläubiges
Vorurteil, das verhinderte, dass man dort grub. Als man in der Renaissance daran ging,
die alte, windschiefe Peterskirche aus dem 4. Jahrhundert von Kaiser Konstantin durch
den neuen Petersdom zu ersetzen, verunglückten Arbeiter, als sie an den Fundamenten
des Baldachins von Bernini gruben, also rund um die Confessio, die auf dem Petrusgrab
ruht. Diese Unfälle wurden als Verwarnung von Seiten des Apostels Petrus interpretiert,
als ein „wagt nicht, euch meinem Grab zu nähern, sonst straft Gott euch mit seinem
Zorn“. Dieser Aberglaube war so stark, dass er im 17. Jahrhundert sogar die Arbeiten
zu blockieren drohte, und er erwies sich als nachhaltig. 3:17 Eugenio Pacelli, der
1939 zum Papst gewählt wurde, war Römer, er kannte die Basilika, deren Erzpriester
er gewesen war. Er war ein leidenschaftlicher Bewunderer der römischen Antike, ein
mutiger Mann, vernunftbetont, ohne Vorurteile. Und als er Papst geworden war, entschied
er sich, der Sache mit dem Petrusgrab in der größten möglichen Diskretion auf den
Grund zu gehen. Beschlossen wurden die Ausgrabungen schon im Juni 1938. Aber in Wirklichkeit
begannen sie erst im Frühling 1941. Davor machte man nur schüchterne Sondierungen.“
Der heutige Erzpriester der Petersbasilika und damit oberster Hüter des
Petrusgrabes ist der italienische Kardinal Angelo Comastri. Er nennt noch einen weiteren
Grund dafür, warum in Bezug auf das Petrusgrab so große Zurückhaltung herrschte.
„Der
Grund ist, dass das Grab des Petrus mit Marmor bedeckt war, von den Baumeistern Kaiser
Konstantins im 4. Jahrhundert. Deshalb kam es quasi einer Profanation gleich, diese
Schichten von Marmor zu zerbrechen. Aber 1939 beschloss Pius XII. mit den Techniken
von heute, unter der Basilika zu graben und sich dem Petrusgrab von unten anzunähern.
Klarerweise ohne die Basilika selbst anzutasten: Man konnte ja nicht den Petersdom
zerstören, um an das Petrusgrab zu gelangen. Davor gab es keine anderen Techniken.
Die Ausgrabungen haben die heidnische und frühchristliche Nekropole zutage gebracht,
und schließlich, immer mehr den Vatikanhügel ansteigend, das Petrusgrab.“
Gab
es nicht vielleicht auch Befürchtungen, die wissenschaftlichen Untersuchungen hätten
Befunde bringen können, die der katholischen Kirche ungelegen kamen? Das wollten wir
von Kardinal Comastri wissen.
„Nein, Angst gab es nicht. Sonst hätte Pius
die Grabungen ja nicht begonnen. Die Tatsache, dass der Papst die Grabungen anordnete,
zeigt uns, wie sicher er sich über die Solidität der Überlieferung war. Und im Übrigen
muss man sich auf fragen: Warum hat Konstantin ausgerechnet an dieser Stelle die Basilika
errichtet, die Petrus geweiht war? Das hier war eine Stadt der Toten, für die Römer
also ein Ort, den man auf keinen Fall zweckentfremden durfte. Und es war ein Hügel,
eigentlich ein unmöglicher Ort für eine Kirche. Trotzdem hat er diese Kirche gebaut.
Das ist nur mit einem starken Motiv zu erklären. Und dieser Grund konnte nur einer
sein: das Petrusgrab.“
Kaiser Konstantin hatte seinerzeit dafür Sorge getragen,
dass die Nekropole nicht demoliert wurde; sie wurde zugeschüttet, mit Erdreich angefüllt,
das zum Fundament der Basilika wurde. Recht genau 1500 Jahre später dann: Der Startschuss
für die Grabungen. Barbara Frale.
„Die Ausgrabungen wurden in vollkommener
Geheimhaltung durchgeführt. Denn es gab ein scharf antiklerikales Klima, einige sagten,
man werde dort nie etwas finden, weil das Grab des Petrus nie da unten war. Andere
sagten, man werde nichts finden wegen der Plünderungen während des Sacco di Roma 1527
in der Renaissance. Viele Sorgen also. Ein zweiter Grund für die Geheimhaltung war,
dass man die Leute auch aus Sicherheitsgründen fernhalten musste. Es war eine Ausgrabung
mit waghalsigen Gerüsten, man erschrickt fast, wenn man das heute auf den Fotos sieht.
Die Ausgräber waren ziemlich kühn, als sie sich nach und nach vorarbeiteten, sie gaben
ihr bestes. Aber der Wunsch, die Existenz dieses Grabes zu beweisen, war so stark,
dass man ungewöhnliche Vorgangsweisen in Kauf nahm.“
An dieser Stelle öffnen
wir eine Parenthese. Barbara Frale hat sich mit einem hochinteressanten historischen
Aspekt der Grabungen in der Vatikan-Nekropole beschäftigt, ein Aspekt, der wenig bekannt
ist und zweifellos noch vertieft werden muss. Es geht nicht um die Grabungen an sich,
es geht darum, dass sie möglicherweise Schauplatz geheimer Treffen waren. Eine Verschwörung
gegen Adolf Hitler, eingefädelt im Vatikan, am geheimsten Ort, den es in jenen Tagen
dort gab. Das ist eine kühne These, für die es freilich manch stichhaltiges Indiz
sowie Zeugnisse aus erster Hand gibt.
In der Kurzversion lautet die
These folgendermaßen: Es ging um einen Separatfrieden für Deutschland, den deutsche
Widerstandskämpfer mit England aushandeln wollten. Einer dieser Widerstandskämpfer
war der Münchner Anwalt Josef Müller, genannt: der Ochsensepp. Er traf sich nach eigenen
Aussagen, die er in den 60er Jahren in seinen Erinnerungen festhielt, mehrmals in
der Vatikan-Nekropole mit dem deutschen Prälaten Ludwig Kaas, dem früheren Zentrumspolitiker,
der sich 1933 in den Vatikan flüchtete und hier ein geheimes Informationsbüro eingerichtet
haben soll. Am Wort ist Barbara Frale.
„Natürlich kam die archäologische
Absicht zuerst. Alles beginnt mit dem Vorhaben, das Grab des Apostels Petrus zu finden.
Nun ist es so, dass wir als Historiker, wenn wir die diesbezüglichen Dokumente und
Aufzeichnungen studieren, vor ziemlich großen Widersprüchen stehen. Zunächst: Die
Person, die die heikle Ausgrabung leiten soll, kennt sich nicht mit Archäologie aus.
Es ist der deutsche Monsignore Ludwig Kaas, der Sekretär und Ökonom der Bauhütte von
Sankt Peter. Zweitens: Die Sache ist geheim, niemand darf sich nähern. Und doch gibt
es da einen Rechtsanwalt aus München, Josef Müller, ziemlich jung, der seit Frühjahr
1939 nach Rom kommt, hier verschiedene Deutsche trifft, auch Kaas, den er gut kennt.
Und Kaas nimmt ihn mit in die Ausgrabung in der Nekropole. Dabei sind die Grabungen
sonst nicht einmal für Kardinäle zugänglich. 6:40 erst seit Frühjahr 1941 gibt es
überhaupt etwas zu sehen, wie wir aus einem Artikel in der Vatikanzeitung L Osservatore
Romano wissen. Aber Müller, ein junger deutscher Anwalt, der nichts mit dem Vatikan
zu tun hat, war schon zwei Jahre davor mit Kaas in die Nekropole hinuntergegangen.
Wenn es also nichts zu sehen gab, was machten sie da unten?“
Wahrscheinlich,
so die auf Dokumente gestützte Schlussfolgerung von Barbara Frale, tauschten sie Informationen
aus.
„Kaas war seit 1933 im Vatikan, 1936 wurde er Ökonom und Sekretär
der Bauhütte. Aber davor in Deutschland war er Politiker. Bis 1933 war Kaas Leiter
der Zentrumspartei. Als solcher stimmte er damals in einem Klima der Angst dem Ermächtigungsgesetz
zu, das Hitler die volle Macht sicherte. Wie viele andere machte er sich Illusionen
über Hitler und die Art dieser Macht: Es gab die Vorstellung, dass diese Gesetz nur
ein Übergang sei, dass es Deutschland nur dazu dienen sollte, sich wieder aufzurichten
und die Demokratie wiederherzustellen. Wie wir wissen, war es nicht so.
Als
Hitler an die Macht kam, begann er sofort, Gegner außer Gefecht zu setzen. Kaas rettete
sich nach Rom, wohin er von Eugenio Pacelli geholt wurde, dem Kardinalstaatssekretär,
der zuvor Nuntius in Deutschland gewesen war. 8:30 im Vatikan gründete der enttäuschte
und verbitterte Kaas ein geheimes Kabinett für Informationen, das die Kontakte hielt
zwischen dem Vatikan und der deutschen Kirche, die von Hitler verfolgt wurde. 8:54
Josef Müller war eine der Personen, die diese Kontakte hielten. Er arbeitete für den
deutschen Geheimdienst, in der von Wilhelm Canaris geleiteten Abteilung. Dieser hatte
den Größenwahn von Hitlers Plänen schon 1939 begriffen und einen Widerstand aufgebaut,
der das Nazi-Regime stürzen sollte, ein Widerstand, der in das Hitler-Attentat 1944
münden sollte. Es ging jetzt darum – und wir sprechen da immer noch von 1939 -, eine
Übereinkunft mit den Alliierten und einen Separatfrieden zu erzielen, der Deutschland
nicht komplett in die Knie zwingen sollte.
Josef Müller kam in den Vatikan,
um über Kaas bei Papst Pius XII. anzufragen, ob der ihm einen sicheren Ort für Kontakte
mit den Alliierten zur Verfügung stellen könne. Die Engländer hatten im Vatikan einen
Gesandten, Francis Osborne, sie waren grundsätzlich sogar mit einem Separatfrieden
für Deutschland einverstanden, aber nicht zu den Bedingungen, die Canaris vorschwebten.
Dennoch blieben die deutschen Widerstandskämpfer bei ihrem Ansinnen, sich mit den
Alliierten an einem sicheren Ort im Vatikan zurückzuziehen, um sie zu überzeugen.
Es waren paradoxe Situationen. Müller brachte in den Vatikan die Pläne der Angriffe
gegen Belgien mit einer Woche Vorsprung. Der Vatikan gab sie umgehend an Belgien weiter,
das präventiv hätte handeln können gegen den Anmarsch Hitlers: Aber man glaubte den
Plänen nicht, weil sie aus dem Vatikan kamen. Es schien den Belgiern unwahrscheinlich,
dass ausgerechnet der Vatikan die geheimen Anweisungen Hitlers in der Hand haben könnte.
Belgien hätte rechtzeitig eine Verteidigungsstrategie entwickeln können, die gewisse
historische Dynamiken hätte ändern können.
Es gibt also diese geheimen
Zusammenkünfte in den vatikanischen Grotten, die parallel zu den Ausgrabungen stattfanden
und genauso faszinierend sind wie diese.“
Die deutsch-vatikanische
Verschwörung gegen Hitler ist keine Erfindung. Frale bezieht sich in ihren Recherchen
auf Dokumente aus dem Archiv des Staatssekretariats, auf die Erinnerungen von Josef
Müller, die er in den 1960er Jahren niederschrieb, sowie auf Beiträge von anglo-amerikanischen
Historikern wie dem Jesuiten Robert Graham oder dem Briten Owen Chadwick, Priester
der anglikanischen Kirche.
„Die Schlüsselfigur ist Prälat Ludwig Kaas.
Als Ausgrabungsleiter behielt er mit einem Auge die Archäologen im Blick, die mitunter
auch mit ungeeigneten Methoden vorgingen. Und mit dem anderen Auge kontrollierte er
die Bewegungen rund um den Austausch von Informationen, die gelegentlich dort unten
in der Vatikan-Nekropole stattfanden. Wir haben da beispielsweise ein Dokument, das
vor Jahren veröffentlicht wurde. Es stammt von dem deutschen Diplomaten Fritz Menshausen,
Botschaftsrat an der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Dieser schickte einen
Protestbrief an Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione, in dem er schrieb: „Im Vatikan
findet eine Verschwörung statt, und im Mittelpunkt steht Kaas. Der Vatikan verletzt
die Neutralität mit den Engländern – wir wissen das!“ Klarerweise wies das Staatssekretariat
das sofort zurück. Aber interessanterweise trägt das Dokument eine handschriftliche
Notiz von Maglione, der schrieb: „Menshausen weiß alles“.
Der deutsche
Jesuitenpater Robert Leiber war eine weitere Schüsselfigur – er sicherte den direkten
Draht zu Papst Pius XII.
„ Pater Leiber war Beichtvater von Pius XII.,
und der Papst setzte ihn als Helfer von Kaas ein; denn Leiber war auch ein Kontaktmann
von Müller. Müller kam nicht nur in den Vatikan, denn das wäre aufgefallen, er traf
Leiber an der Gregoriana-Universität, die auf römischem Boden liegt. Die Universität
wird von Jesuiten geleitet, Leiber lehrte dort Kirchenrecht, und Müller hätte theoretisch
auch für Bildungszwecke dorthin gehen können. In Wirklichkeit waren die Kontakte zwischen
Müller und Leiber ziemlich intensiv und immer gebunden an die Aktivitäten der Geheimdienste,
die im deutschen Untergrund den Widerstand gegen Hitler betrieben.
Pius XII.
bediente sich dieser Kontakte über Leiber, denn wenn er Kaas zu oft gesehen hätte,
dann hätte er Verdacht geweckt unter den Spionen, die da und dort im Vatikan saßen.
Kaas konnte den Papst zwar regelmäßig sehen, aber sicher nicht jeden Tag. Leiber hingegen
war der Beichtvater des Papstes, Pius hatte also eine bessere Ausrede, Leiber zu rufen
anstelle von Kaas, mit dem Vorwand, beichten zu wollen. Man war generell vorsichtig.
Der britische Gesandte Osborne verkleidete sich sogar einmal als päpstlicher Majordomus,
begleitete die Tochter eines hohen englischen Politikers in Audienz zum Papst. Osborne
musste dem Papst eine wichtige Botschaft überbringen, er hatte ihn aber erst wenige
Tage zuvor gesehen. Das wäre aufgefallen. Also verkleidete er sich. Das ist für uns
heute vielleicht amüsant, aber erinnern wir uns: die Zeiten waren andere. 25:05 wir
reden von einer Zeit, in der im Vatikan eine eigene Abteilung für Verschlüsselungen
eingerichtet ist, dort werden Botschaften von einem Schlüssel in den anderen übertragen.
Das ist das Klima jener Jahre. Das klingt für uns nach Spionage-Thriller, aber es
ist die Wahrheit. Und sie ist dokumentiert.“
Knapp gesagt: Das deutsch-vatikanische
Komplott scheiterte – England nahm die Informationen aus dem Vatikan nicht ernst genug,
spielte auf Zeit und wollte keine günstigen Bedingungen für Deutschland akzeptieren.
Barbara Frale geht in Sachen Petrusgrab noch einer weiteren hochinteressanten
These nach: der These, dass im Vatikan versteckte Juden bei den Grabungen in der Nekropole
während des II. Weltkriegs mithalfen.
„Wir wissen heute, dass rund 500
Juden im Vatikan versteckt waren. Das sagen uns unter anderem jüdische Historiker,
die selbst dabei waren. Viele von ihnen waren im Palazzo della Canonica untergebracht,
der gleich neben dem Petersdom liegt, in Wohnungen der Kanoniker, die sie aufnahmen.
Einige Fotos von den Ausgrabungen zeigen Arbeiter mit kurzärmeligen Hemden, als ob
es heiß wäre, und mit Kopfbedeckungen, die aussehen wie eine Kippa. Das ist nun absolut
kein Beweis. Aber wir haben auch ein Aquarell von den Ausgrabungen, das Fresken der
Nekropole abbildet, von 1945, firmiert von A. Levi, das ist ein jüdischer Nachname.
Wir wissen aber, dass vor 1951 niemand zu den Ausgrabungen hinabsteigen durfte. Mit
einer einzigen Ausnahme, Kardinal Sapieha, der 1946 anlässlich seiner Kardinalserhebung
eine Sondergenehmigung erhielt.
Wer nun dieser Levi war, ist ein Rätsel. Es
ist aber möglich, dass die Juden, die im Kanoniker-Palast untergebracht waren, Hilfsarbeiten
für die Ausgrabungen erledigten. Ich betone, das ist eine Hypothese. Es ging sicher
nicht um eine Beteiligung an der Ausgrabung als solcher. Aber Arbeitskraft wurde ja
viel benötigt. Da mussten rund 10.000 Kubikmeter Erdreich aus den Grotten herausgeschafft
werden. Und tausende Zielgesteine hinein, die dazu dienten, die Stützmauer zu bauen.
Dass die Juden bis zu den Gräbern selbst hineinkamen, ist sehr unwahrscheinlich. Immerhin,
es gibt die Hypothese, dass sie bei den Ausgrabungen halfen. Aber solange wir nicht
die vatikanischen Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg haben, können wir sie nicht
als sicher ansehen.“
Jüdische Asylanten, die während des Kriegs sichere
Zuflucht im Vatikan gefunden hatten, die helfen, das Grab des Juden Petrus freizulegen:
Eine Geschichte, die noch geschrieben werden muss. Das Vatikanische Geheimarchiv,
dessen Bestände ab 1939 in wenigen Jahren freigegeben werden sollen, könnte Licht
auf dieses Mysterium werfen.
Wir schließen an diesem Punkt unsere Klammer
und wenden uns wieder Kardinal Comastri zu, dem Erzpriester des Petersdoms und Präsidenten
der Bauhütte von Sankt Peter. Was heißt es aus seiner Sicht für die Christenheit,
das Petrusgrab im Vatikan zu haben?
„Das Grab des Petrus gibt uns die
Gewissheit, das Petrus hier in Rom als Märtyrer gestorben ist. Auf gewisse Weise hat
er damit die Sendung, die Jesus ihm für die ganze Kirche anvertraut hat, an Rom gebunden.“
Vom Leben des Petrus in Rom wissen wir heute nichts. Kein Dokument bezeugt
das Wirken des Fischers aus Galiläa in der Hauptstadt des römischen Reiches. Doch
Kardinal Comastri rollt die Sache vom anderen Ende auf: Nicht der Rom-Aufenthalt des
Petrus gibt uns die Gewissheit, dass hier sein Grab ist. Sondern das Grab gibt uns
die Gewissheit, dass Petrus in Rom war, hier gestorben ist, hier seine Sendung gleichsam
begann. So kann Comastri gelassen sagen:
„Das Problem ist nicht das Grab.
Sondern die Gewissheit, dass Petrus nach Rom gekommen ist und hier gestorben ist.
Wenn paradoxerweise die Knochen, die hier aufbewahrt werden, nicht die von Petrus
sein sollten, dann ändert das nichts. Fest steht, dass Petrus nach Rom gekommen ist.
Und er ist infolgedessen als Bischof von Rom gestorben, denn wo Petrus ist, ist Petrus
Bischof. Er ist der oberste Hirte. Es ist diese Gewissheit, die aus dem Sitz von Rom
den Sitz des Petrus macht. Es ist der Sitz des Auftrags, den Jesus dem Petrus gegeben
hat.“
Das Petrusamt ist heute ein Hindernis für die Ökumene. Was können
Katholiken den übrigen Christen sagen über die Rolle des Petrus heute?
„Wir
müssen etwas neu entdecken: die positive Rolle der Sendung des Petrus, der Sendung
des Papstes. Wenn man die Evangelien liest, spürt man ganz stark, wie sehr Jesus sich
um die Einheit sorgt. Vater, mach, dass sie eins sind, damit die Welt glaubt, dass
du mich geschickt hast. Das ist ein punktgenaues Gebet. Nun, Petrus ist nichts anderes
als der Mann, der dazu bestimmt ist, für die Einheit zu leiden. Dazu bestimmt, zu
kämpfen, um die Einheit zu erhalten. Das ist die Funktion des Petrus. Deshalb stört
Petrus. Weil Petrus ein Mann mit dem Auftrag ist, den Stolz, der trennt, zu bekämpfen.“
Der Petersdom – Herz der katholischen Kirche. Anziehungspunkt für zahllose
Christen, Glaubige, Pilger, Touristen. Jeden Tag strömen zwischen 25.000 und 30.000
Menschen in den Petersdom.
„Viele kommen wegen der Faszination Kunst,
aber überwiegend wegen der Faszination des Glaubens. Eine Kirche, die dazu berufen
ist, die Kirche zu sein, die alle Kirchen zusammenhält, übt eine Faszination aus,
weckt zumindest Neugier. Das Grab des Petrus übt erst recht Faszination aus, denn
der Petersdom ist ja nichts anderes als ein Rahmen zum diesem Grab. Alles begann mit
diesem Grab.“
Dieses schlichte kleine Grab wollen viele sehen – viel mehr,
als hinabsteigen können in die engen, feuchten Gänge. Nur in kleinen Gruppen sind
die Besucher zugelassen. Jährlich sehen höchstens 60.000 Menschen das Petrusgrab -
nur jeder 200. von jenen 12 Millionen, die den Petersdom sehen. Was tun sie da unten?
„Sicherlich
hören sie erneut das Gebet Jesu und denken über das nach, was Jesus zu Petrus sagte:
du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen. Und die Mächte
der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Das Grab des Petrus zu besuchen, das
ist wie die Gewissheit zu besuchen, dass die Kirche, gegründet von Jesus Christus
und von diesem dem Petrus anvertraut, inmitten des Sturmes ihren Weg behält, aber
nicht vom Sturm besiegt wird.“ (rv 21.03.2012 gs)