Benedikt XVI.: „Ein Wechselspiel von Glaube und Liebe“
Die Predigt Papst Benedikt XVI. während der Dankesmesse mit den neuen Kardinälen am
Hochfest Kathedra Petri.
Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im bischöflichen
und im priesterlichen Dienst, liebe Brüder und Schwestern!
Am Hochfest der
Kathedra des heiligen Apostels Petrus haben wir die Freude, uns gemeinsam mit den
neuen Kardinälen, die ich gestern in das Kardinalskollegium aufgenommen habe, um den
Altar des Herrn zu versammeln. An sie richte ich vor allem meinen herzlichen Gruß
und danke Kardinal Fernando Filoni für die freundlichen Worte, die er im Namen aller
an mich gerichtet hat. Ich schließe in meinen Gruß die anderen Purpurträger und alle
anwesenden Bischöfe ein sowie die geschätzten Vertreter des öffentlichen Lebens, die
Damen und Herren Botschafter, die Priester, die Ordensleute und alle Gläubigen, die
aus verschiedenen Teilen der Welt zu diesem frohen Anlaß gekommen sind, der einen
besonderen Charakter der Universalität trägt.
In der eben vorgetragenen zweiten
Lesung ermahnt der Apostel Petrus die „Ältesten“ der Kirche, eifrige und zuvorkommende
Hirten der Herde Christi zu sein (vgl. 1 Petr 5,1-2). Diese Worte sind vor
allem an euch gerichtet, liebe, verehrte Mitbrüder, die ihr bereits viele Verdienste
beim Volk Gottes habt durch euer großzügiges und weises Wirken im pastoralen Dienst
in wichtigen Diözesen oder in der Leitung der Dikasterien der Römischen Kurie oder
im kirchlichen Dienst der Forschung und der Lehre. Die neue Würde, die euch verliehen
wurde, möchte die Wertschätzung für eure treue Arbeit im Weinberg des Herrn bekunden,
die Gemeinschaften und Nationen ehren, aus denen ihr kommt und deren würdige Vertreter
ihr in der Kirche seid, euch mit neuen und wichtigeren kirchlichen Verantwortlichkeiten
betrauen und euch schließlich um eine noch größere Verfügbarkeit für Christus und
für die ganze christliche Gemeinschaft bitten. Diese Verfügbarkeit für den Dienst
des Evangeliums ist fest gegründet auf die Glaubensgewißheit. Denn wir wissen, daß
Gott seinen Verheißungen treu ist, und erwarten in der Hoffnung die Verwirklichung
dieser Worte des Apostels Petrus: „Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr
den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen“ (1 Petr 5,4).
Das
heutige Evangelium zeigt Petrus, der auf eine göttliche Eingebung hin seinen eigenen
festen Glauben an Jesus, den Sohn Gottes und verheißenen Messias, ausdrückt. Als Antwort
auf dieses, von Petrus auch im Namen der anderen Apostel abgelegte klare Glaubensbekenntnis
offenbart Christus ihm die Aufgabe, die er ihm anvertrauen will, nämlich der „Stein“,
der „Fels“ zu sein, das sichtbare Fundament, auf dem das ganze geistliche Gebäude
der Kirche aufgebaut ist (vgl. Mt 16,16-19). Diese Bezeichnung „Fels – Stein“
bezieht sich nicht auf den Charakter der Person, sondern ist nur von einem tieferen
Gesichtspunkt, vom Mysterium her zu verstehen: Durch die Aufgabe, die Jesus ihm überträgt,
wird Petrus das, was er aufgrund von „Fleisch und Blut“ nicht ist. Der Exeget Joachim
Jeremias hat gezeigt, daß im Hintergrund die Symbolsprache des „heiligen Felsens“
steht. Diesbezüglich kann uns ein rabbinischer Text hilfreich sein, in dem es heißt:
„Der Herr sprach: »Wie kann ich die Welt erschaffen, da diese Gottlosen erstehen und
mich ärgern werden?« Als aber Gott auf Abraham schaute, der erstehen sollte, sprach
er: »Siehe, ich habe einen Felsen gefunden, auf den ich die Welt bauen und gründen
kann.« Deshalb nannte er Abraham einen Felsen.“ Der Prophet Jesaja beruft sich darauf,
als er das Volk erinnert: „Blickt auf den Felsen, aus dem ihr gehauen seid … auf Abraham,
euren Vater“ (51,1-2). Abraham, der Vater der Glaubenden, wird mit seinem Glauben
als der Fels gesehen, der die Schöpfung stützt. Simon, der als erster Jesus als den
Christus bekannt hat und der erste Zeuge der Auferstehung war, wird nun mit seinem
erneuerten Glauben der Fels, der sich den zerstörerischen Kräften des Bösen widersetzt.
Liebe
Brüder und Schwestern! Diese Episode aus dem Evangelium, die wir gehört haben, findet
eine weitere und noch anschaulichere Erklärung in einem sehr bekannten künstlerischen
Element, das den Petersdom ziert: im Kathedra-Altar. Wenn man durch das grandiose
Mittelschiff geht und nach Überwindung des Querschiffs zur Apsis gelangt, sieht man
sich vor einem riesigen Thron aus Bronze, der zu schweben scheint, in Wirklichkeit
aber von den vier Statuen großer Kirchenväter des Ostens und des Westens gehalten
wird. Und über dem Thron, umgeben von einem Triumph in der Luft schwebender Engel,
leuchtet im Ovalfenster die Herrlichkeit des Heiligen Geistes. Was sagt uns nun dieses
bildhauerische Gefüge, das wir dem Genie des Bernini verdanken? Es stellt eine Sicht
des Wesens der Kirche und – in ihr – des petrinischen Lehramtes dar.
Das Apsis-Fenster
öffnet die Kirche nach außen, zur gesamten Schöpfung hin, während das Bild der Taube
des Heiligen Geistes Gott als Quelle des Lichtes zeigt. Doch da ist auch noch ein
anderer Aspekt hervorzuheben: Die Kirche selbst ist nämlich wie ein Fenster, der Ort,
an dem Gott sich naht, unserer Welt entgegenkommt. Die Kirche existiert nicht für
sich selbst, sie ist nicht das endgültige Ziel, sondern muß über sich hinausweisen,
nach oben, über uns hinaus. Die Kirche ist wirklich sie selbst in dem Maß, in dem
sie den Anderen – den „Anderen“ schlechthin – durchscheinen läßt, von dem her
sie kommt und zu dem sie führt. Die Kirche ist der Ort, wo Gott bei uns „ankommt“
und wo wir zu ihm hin „aufbrechen“; sie hat die Aufgabe, außer sich selber auch jene
Welt zu öffnen, die dazu neigt, sich in sich selbst zu verschließen, und ihr das Licht
zu bringen, das von oben kommt, ohne das sie unbewohnbar würde.
Die große Kathedra
aus Bronze birgt einen hölzernen Thron aus dem 9. Jahrhundert, der lange Zeit für
den Stuhl des Apostels Petrus gehalten wurde und aufgrund seines hohen symbolischen
Wertes gerade über diesem Altar angebracht wurde. Er drückt nämlich die ständige Gegenwart
des Apostels im Lehramt seiner Nachfolger aus. Der Stuhl des heiligen Petrus ist –
so können wir sagen – der Thron der Wahrheit, der seinen Ursprung aus dem Auftrag
Christi nach dem Bekenntnis bei Cäsarea Philippi bezieht. Der Lehrstuhl ruft uns immer
wieder die Worte des Herrn an Petrus im Abendmahlssaal in Erinnerung: „Ich aber habe
für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt
hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,32).
Noch eine weitere Erinnerung
ruft die Kathedra Petri hervor: das berühmte Wort des heiligen Ignatius von Antiochien,
der in seinem Brief an die Römer die Kirche von Rom als die bezeichnet, „welche den
Vorsitz in der Liebe hat“ (Inscr.: PG 5,801). In der Tat ist der Vorsitz
im Glauben untrennbar an den Vorsitz in der Liebe gebunden. Ein Glaube ohne Liebe
wäre kein echter christlicher Glaube mehr. Aber die Worte des heiligen Ignatius haben
auch noch eine andere, sehr viel konkretere Bedeutung: Der Begriff „caritas
– Liebe“ wurde nämlich in der frühen Kirche auch als Bezeichnung für die Eucharistie
gebraucht. Die Eucharistie ist ja das Sacramentum caritatis Christi – das Sakrament
der Liebe Christi –, durch das er weiterhin uns alle zu sich hin zieht, wie er es
von der Höhe des Kreuzes aus getan hat (vgl. Joh 12,32). Darum bedeutet „den
Vorsitz in der Liebe haben“, die Menschen in eine eucharistische Umarmung – in die
Umarmung Christi – hineinziehen, die jede Schranke und jede Fremdheit überwindet und
aus den mannigfaltigen Verschiedenheiten die Gemeinschaft bildet. Das Petrusamt ist
also ein Primat in der Liebe im eucharistischen Sinn bzw. ein fürsorglicher Einsatz
für die weltweite Gemeinschaft der Kirche in Christus. Und die Eucharistie ist Gestalt
und Maßstab dieser Gemeinschaft sowie eine Garantie dafür, daß diese dem Kriterium
der Glaubensüberlieferung treu bleibt.
Die große Kathedra wird gestützt von
den Kirchenvätern. Die beiden Lehrer des Ostens – der heilige Johannes Chrysostomus
und der heilige Athanasius – stellen gemeinsam mit den lateinischen – dem heiligen
Ambrosius und dem heiligen Augustinus – die Gesamtheit der Überlieferung und somit
den Reichtum des Ausdrucks des wahren Glaubens der einen Kirche dar. Dieses Element
des Altars sagt uns, daß die Liebe sich auf den Glauben gründet. Sie zerbröckelt,
wenn der Mensch nicht mehr auf Gott vertraut und ihm nicht gehorcht. Alles in der
Kirche ist auf den Glauben gegründet: die Sakramente, die Liturgie, die Evangelisierung,
die Liebe. Auch das Recht, auch die Autorität in der Kirche fußen auf dem Glauben.
Die Kirche regelt sich nicht in autonomer Weise, sie gibt sich nicht selbst ihre Ordnung,
sondern empfängt sie vom Wort Gottes, das sie im Glauben hört und zu verstehen und
zu leben sucht. Die Kirchenväter haben in der Gemeinschaft der Kirche die Funktion
von Bürgen für die Treue zur Heiligen Schrift. Sie sichern eine zuverlässige, solide
Exegese, die fähig ist, mit der Kathedra Petri ein festes, einheitliches Gefüge zu
bilden. Die im Licht der Väter vom Lehramt maßgeblich interpretierte Heilige Schrift
erleuchtet den Weg der Kirche in der Zeit, indem sie ihr inmitten der geschichtlichen
Veränderungen ein beständiges Fundament geben.
Nachdem wir die verschiedenen
Elemente des Kathedra-Altars bedacht haben, wollen wir ihn nun in seiner Gesamtheit
betrachten. Und dabei sehen wir, daß er von einer zweifachen Bewegung durchzogen ist:
von einem Aufstieg und einem Abstieg. Es ist das Wechselspiel zwischen Glaube und
Liebe. Die Kathedra ist an diesem Ort stark hervorgehoben, denn hier ist das Grab
des Apostels Petrus, doch auch sie strebt der Liebe Gottes zu. In der Tat ist der
Glaube auf die Liebe hin ausgerichtet. Ein egoistischer Glaube wäre ein unwahrer Glaube.
Wer an Jesus Christus glaubt und in die Dynamik der Liebe eintritt, die in der Eucharistie
ihre Quelle hat, entdeckt die wahre Freude und wird seinerseits fähig, nach der Logik
des Schenkens zu leben. Der wahre Glaube ist erleuchtet von der Liebe und führt zur
Liebe, nach oben, wie der Kathedra-Altar bis zum leuchtenden Fenster, zur Herrlichkeit
des Heiligen Geistes emporführt, dem eigentlichen Brennpunkt für den Blick des Pilgers,
wenn dieser die Schwelle des Petersdoms überschreitet. Dieses Fenster heben der Triumph
der Engel und der großen vergoldete Strahlenkranz in höchstem Maße hervor, mit einem
Eindruck der überquellenden Fülle, welche den Reichtum der Gemeinschaft Gottes zum
Ausdruck bringt. Gott ist nicht Einsamkeit, sondern glorreiche, freudvolle, sich verströmende,
strahlende Liebe.
Liebe Brüder und Schwestern, uns, einem jeden Christen ist
das Geschenk dieser Liebe anvertraut: ein Geschenk zum Verschenken, mit dem Zeugnis
unseres Lebens. Das ist besonders eure Aufgabe, verehrte Mitbrüder im Kardinalat:
die Freude der Liebe Christi zu bezeugen. Wir vertrauen nun euren neuen kirchlichen
Dienst der Jungfrau Maria an. Sie war zugegen, als sich die Gemeinschaft der Apostel
in der Erwartung des Heiligen Geistes im Gebet versammelt hatte (vgl. Apg 1,14).
Sie, die Mutter des menschgewordenen Wortes, schütze den Weg der Kirche, unterstütze
mit ihrer Fürsprache das Werk der Hirten und behüte unter ihrem Mantel das ganze Kardinalskollegium.
Amen!