Europa sollte mehr
Vertrauen in den christlichen Glauben haben. Dazu ermutigt die britische Politikerin
und Muslima Baroness Sayeeda Warsi. Die Ministerin im Kabinett von Premier David Cameron
ist mit einer britischen Regierungsdelegation zu einem zweitägigen Besuch in den Vatikan
gekommen; dabei stand an diesem Mittwoch auch eine Begegnung mit Papst Benedikt XVI.
auf dem Programm. Warsi, Tochter pakistanischer Einwanderer, setzt sich in dem säkular
geprägten Land für die Anerkennung der identitätsbildenden Rolle der Religion im öffentlichen
Leben ein: Ihrer Ansicht nach kann die Religion grundlegend die Gerechtigkeit in Gesellschaften
fördern. Unter diesem Motto stehe auch ihr Besuch im Vatikan, kündigte Warsi im Vorfeld
ihrer Rom-Visite an.
Der Islam in Großbritannien sei selbst auch durch
das überwiegend christliche Umfeld geprägt, sagte die Muslima in einer Ansprache vor
Diplomatenschülern des Heiligen Stuhls am Dienstagnachmittag. Papst Benedikt XVI.
habe bei seiner Großbritannienreise von den „unaufgebbaren Wurzeln des Christentums“
gesprochen – diese könne man ebenso wenig abschaffen wie die Kirchtürme im Land. Warsi:
„Um
sicher zu stellen, dass der Glaube seinen eigenen Ort in der Öffentlichkeit hat und
dass der Frieden in der Gesellschaft gefördert wird, müssen sich Menschen ihrer religiösen
Identität sicherer werden, überzeugter in ihrem Glauben. Das bedeutet in der Praxis,
dass Glauben nicht verwässert wird und Nationen ihr religiöses Erbe nicht verleugnen.
Um diesen Gedanken zu Ende zu führen: Europa muss sich seines Christentums sicherer
werden.“
Zu häufig werde die Religion verdächtigt und es überwiege
die Angst vor ihr, fuhr die Ministerin mit Blick auf das viel diskutierte Verbot religiöser
Zeichen in der Öffentlichkeit säkular geprägter Gesellschaften fort. Dem läge das
Missverständnis zu Grunde, dass Gleichheit und Religionsfreiheit für alle nur dadurch
geschaffen werden könne, dass man das eigene religiöse Erbe zurückdränge, so Warsi:
„Ich sage nicht, dass alles, was im Namen von Religion getan wurde,
für diesen Kontinent ein Segen war; zu viel Blut ist vergossen worden. Aber zu versuchen,
unsere Geschichte auszulöschen, ist falsch. Ich weiß, dass es einfach ist, in unserer
globalisierten Welt zu denken, dass das Menschenverbindende darin besteht, unsere
Identität zu verwässern. Mein Argument dagegen ist, dass der einzige Weg der Annahme
von anderen die Sicherheit der eigenen Identität ist. Das bedeutet noch etwas: Diese
Überzeugung hat die Kraft, Offenheit zu garantieren. Nur wenn man in der eigenen Identität
zufrieden ist, ist man bereit zu akzeptieren, dass der Andere keine Gefahr darstellt
und nur dann kann ich die Anwesenheit von Differenz wirklich akzeptieren und nicht
bloß tolerieren.“
Religionen reflektieren immer auch die jeweilige
Nationalität und das jeweilige kulturelle Erbe, so Warsi weiter. Sie selbst fühle
sich deswegen durchaus als britische Muslima, die in einem Land und mit einem Erbe
lebe, das von einer starken christlichen Identität geprägt sei. Das habe ihr selbst
Stärke im eigenen Glauben gegeben.
„Auf so viele verschiedene Weisen
gibt Glauben der Gesellschaft zusätzliche Stärke! Vertrauen in den eigenen Glauben
lässt uns den Glauben anderer gegen Angriffe verteidigen. Der Glaube verlangt, dass
wir uns für den Nächsten einsetzen. Wie es der vierte Kalif Ali ibn Abi Talib ausgedrückt
hat: ‚Jeder Mensch ist dein Bruder, entweder im Glauben oder als Mensch‘. Wer den
Nächsten unterdrückt, unterdrückt auch mich selbst. Wer sich für den Glauben anderer
einsetzt, ist nicht ,weniger‘ Christ, Jude oder Muslim, sondern mehr.“
Die Zustimmung zur Religion sei bedroht, Glaube werde zunehmend marginalisiert,
so die Politikerin weiter. Warsi nahm in diesem Zusammenhang die Argumentation Papst
Benedikt XVI. bei seiner Rede in der Westminster Hall aus dem Jahr 2010 auf: Spiritualität
werde weggedrückt, Göttlichkeit herabgewürdigt. Man betrachte in ihrem Land Glauben
zunehmend als ein „Hobby von Ausländern und Minderheiten“, als exzentrisch, berichtete
Warsi. Die Lösung bestehe nicht darin, die Tür für andere Menschen und Religionen
zu schließen, sondern die Identität des Kontinentes zu stärken. Das Problem, und hier
zitierte Warsi Kanzlerin Angela Merkel, sei nicht, dass man ,zu viel Islam‘ habe,
sondern ,zu wenig Christentum‘.
„Für Europa bedeutet das, mehr auf die
eigenen christlichen Wurzeln zu setzen und mit diesem Vertrauen offener zu werden.
Die Menschen müssen realisieren, dass auf unserem Kontinent und darüber hinaus, die
Lehren und die Werte des Christentums so beständig sind wie ,Westminster Abbey‘, so
unauslöschlich wie Da Vincis ,Letztes Abendmahl‘ und so beständig wie Christus der
Erlöser. Und dieses Christentum ist für unsere Zukunft genauso wichtig wie für unsere
Vergangenheit.“